Worum geht es?
(Kurzbeschreibung des Verlags:)
Ein Vulkanausbruch auf Island legt den europäischen Luftverkehr lahm, Zehntausende Menschen stranden an den Flughäfen. Während die Bilder der Aschewolke um die Welt gehen, steht über der Themse ein strahlend blauer Frühlingshimmel. Die Stadt wirkt wie abgeschnitten vom Rest der Welt. Auf der London Bridge begegnet die Erzählerin einem jungen Mann mit einem Feuermal im Gesicht. Jonathan verkauft die Obdachlosenzeitung. Er ist von der Südküste hierher geflüchtet, wo das Meer sich nimmt, was ihm nicht zusteht. Die beiden sind einander eigenartig vertraut. Sie teilen Verletzungen – den frühen Verlust des Vaters – und Hoffnungen, und allmählich, mit jedem Treffen ein wenig mehr, gehen die vergessenen Geheimnisse des einen in den anderen über. Dann aber verschwindet Jonathan ebenso plötzlich, wie sie einander begegnet sind, die Flugzeuge kehren zurück. Als der Frühling sich seinem Ende nähert, macht die Erzählerin sich auf die Suche, nach Jonathan, nach sich selbst.
Ein zutiefst bewegender Roman über die eruptive Kraft der Erinnerung, die Suche nach der verlorenen Zeit. Über das Wiederfinden der eigenen Geschichte in einem anderen Menschen.
Warum ich es gelesen habe?
Obgleich dieses Buch war den Deutschen Buchpreis 2014 nominiert war und es sogar auf die offizielle Shortlist schaffte, verpasste es den Einzug auf meine persönliche Shortlist denn knapp. Zwar war das Buch bei mir in der engeren Wahl; letzten Endes war es mir dann aber doch zu „britisch“.
Gelesen habe ich es nun trotzdem, weil es auch für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde, was mich dann doch neugierig machte, zu erfahren, was das besondere an diesem Buch ist.
Wie war mein erster Eindruck?
Mir fiel es schwer, in die Geschichte hineinzufinden und dieser zu folgen.
Die Handlung springt sehr stark. Aktuelle Erlebnisse und Wahrnehmungen der Erzählerin rufen immer wieder deren Assoziationen und Erinnerungen zu Dingen aus der Vergangenheit wach. Diese sind zum Teil selbst erlebt, zum Teil aber auch rein historisch. Diese Wechsel kommen dabei vollkommen unvermittelt und ohne jede Ankündigung, was mich des Öftern orien¬tier-ungs¬¬¬los machte. Auch verstand ich nicht alle Gedankensprünge der Erzählerin wie etwa die-jenigen an die Anschläge auf die Londoner U-Bahn.
Hinzu kommt, dass es sich wieder einmal um einen dieser mich so nervenden Romane handelt, in dem es auch bei wörtlicher Rede keine Anführungszeichen gibt. Auch das trägt nicht gerade zu einem flüssigen Lesekomfort bei.
Wie fand ich das Buch insgesamt?
Über diese Frage habe ich lange nachgedacht, ohne sie wirklich beantworten zu können. Ich dachte, manches wird vielleicht klarer, wenn sich die Geschichte erst einmal „gesetzt“ hat. Bis jetzt ist das aber nicht geschehen.
Ich gebe zu, dass ich mir unter diesem Roman etwas anderes vorgestellt hatte. Ich dachte, es ginge mehr um den Vulkanausbruch und die Sperrung des europäischen Luftraums. Leutenegger benutzt diese Ausnahmesituation in „Panischer Frühling“ aber nur dazu, eine ganz besondere Atmosphäre des Abgeschnitten-seins der Briten vom europäischen Festland zu kreieren. – Für mich persönlich war das eine kleine Enttäuschung.
Die Geschichte, die Leutenegger stattdessen erzählt, ist einerseits anrührend, machte mich andererseits aber auch etwas ratlos.
Anrührend, weil in der Erzählung sehr gut deutlich wird, dass Zeitungsverkäufer Jonathan und die Erzählerin trotz ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft in gewisser Weise ein ähnliches Schicksal – nämlich den frühen Tod des Vaters – teilen. Sie erkennen in den Geschichten des An–deren sich selbst wieder. Dies lässt zwischen beiden über alle offensichtlichen äußeren Unter–schiede hinweg eine tiefe Verbundenheit entstehen, die beide zwar nicht benennen aber sehr wohl spüren können.
Leider bleibt die Erzählung jedoch auf dieser Ebene stehen, ohne sich in irgendeiner Form weiterzuentwickeln, was mich etwas ratlos zurückließ. Weder erlebt der Leser eine innere Veränderung bei der Erzählerin bzw. Jonathan, noch gelingt es den beiden, dieses diffuse, für beide nicht recht greif- oder beschreibbare Gefühl der Nähe und des gegenseitigen Erkennens weiter mit Leben zu füllen und zu nähren. Stattdessen belassen es beide dabei, sich Geschichte aus ihrer Vergangenheit zu erzählen und die Gegenwart zur Gänze auszusparen.
Der Roman endet dann ausgerechnet an der Stelle, an der es für mich sehr richtig interessant geworden wäre, nämlich als die Erzählerin nach Jonathans Verschwinden beschließt, in an der Südküste Englands, wo er aufwuchs, zu suchen.
Wie sieht diese Suche aus? Findet sie Jonathan? Wie reagiert er hierauf? Wie geht es mit den beiden weiter? Was verspricht sie sich von dieser Suche? Was erwartet sie von Jonathan, sollte sie ihn tatsächlichen finden? – Keine dieser Fragen wird beantwortet. Die Einleitung des Romans nimmt so tatsächlich die gesamte Handlung bereits vorweg.
Auch blieb es mir bis zum Schluss ein Rätsel, weshalb die einzelnen Kapitel abwechselnd mit „low water“ und „high water“ überschrieben sind. Zwar findet sich auf Seite 69 der Hinweis, dass „die Flut zurückbringe, was die Ebbe nimmt“. Es ist aber keineswegs so, dass nur in den „high water“-Kapiteln Erinnerungen ausgetauscht und beschrieben würden, während in den „low water“-Kapiteln die Gegenwart geschildert wird.
Außerdem taucht immer wieder eine junge Frau im Amazonas auf -scheinbar die Tochter der Erzählerin. Aber auch dieser Charakter wird weder weiter entwickelt; noch ist die junge Frau in irgend einer Form relevant für das, was hier erzählt werden soll. Ein Streichen der Passagen hätte m.E. keinen Unterschied gemacht.
Diese Kritikpunkte sind vor allem deshalb so schade, weil Leutenegger einen sehr feinen Um–gang mit Sprache pflegt. Dies beweist sie vor allem bei ihren bildreichen Schilderungen des Frühlings in den Londoner Parks, wo z.B. „Wellen von lichtem Grün über die Welt flossen“ (Seite 65).
Auch an Medienkritik wird nicht gespart. So heißt es beispielsweise auf Seite 62: „Doch der Flugverkehr hatte sich restlos normalisiert. Kein Wort mehr von den verendeten Tiere, den Kindern mit Atemnot, dem mühseligen Ascheräumen von Feldern und Gehöften. Die Tagesschau war längst zu neueren Sensationen übergegangen.“