Gertrud Tinning

 4,2 Sterne bei 39 Bewertungen
Autorenbild von Gertrud Tinning (©Tine Harden)

Lebenslauf

Gertrud Tinning wurde 1958 geboren, hat an der Writers‘ School of Children Literatur studiert und für die UN in Kenia und Sri Lanka gearbeitet. Heute ist sie Dozentin an der International High School in Helsingör, Dänemark. Im Jahr 2013 erschien ihr erster Roman "Wie kleine Soldaten", in Dänemark. 2019 erschien ihr Roman "En uretfærdig tid", der 2021 ins Deutsche übersetzt mit dem Titel "Die Frauen von Kopenhagen" im Diana Verlag herausgebracht wurde.

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Cover des Buches Die Frauen von Kopenhagen (ISBN: 9783453360921)

Die Frauen von Kopenhagen

 (39)
Erschienen am 14.09.2022

Im Gespräch mit Autorin Gertrud Tinning über Feminismus, die Arbeiterbewegung und deren Ur-sprünge in Dänemark

Ich war wahrscheinlich das Kind in unserer Stadt, das die meisten Bücher aus der Biblio-thek ausgeliehen hat. Auch heute lese ich im-mer noch sehr viel - gefühlt die ganze Zeit. Während meines Studiums, verbrachte ich ein Auslandsjahr in Kolumbien, um für meine Masterarbeit Feldstudien durchzuführen. Die Gebäude in der Gegend, in der ich gewohnt habe, stammten noch aus der Kolonialzeit. Das Haus, in dem ich ein Zimmer gemietet hatte, war Teil eines Komplexes mit noch an-deren alten Häusern, und dort lebten unzäh-lige skurrile, seltsame Leute. Ich begann, die Eigenheiten der Menschen und die besonde-ren Geräusche dort festzuhalten. Richtige Ge-schichten habe ich allerdings erst geschrieben, als ich einen Job bei der UN bekommen habe und ich mit meiner Familie nach Kenia gezogen bin. Meine älteste Tochter war damals zwei Jahre alt, wir hatten nur wenige Kinderbücher für sie mitgenommen und die Auswahl an Bü-chern, die wir in Kenia für sie finden konnten, war eher spärlich – so musste ich anfangen, Geschichten zu erfinden. Als ich später nach Sri Lanka versetzt wurde, habe ich damit weiter-gemacht mir Geschichten auszudenken – aber nun mit mehr Wünschen und Ideen von meiner Tochter. Wir gingen wieder nach Dänemark zurück und als ich dann wieder in Mutterschutz mit meiner zweiten Tochter war, fing ich an einige der Geschichten zu Papier zu bringen. Eine davon sendete ich an einen Verlag, der das Manuskript zwar nicht veröffentlichen wollte, mir aber vorschlug, mich bei der „Writer’s School for Children’s Literature“ zu bewerben. Das tat ich dann und wurde zugelassen. So kam es, dass ich plötzlich einen Vollzeitjob und zwei kleine Kinder hatte. Es wurde immer schwieriger, Zeit zum Schreiben zu finden. Also bin ich früh morgens aufgestanden und habe geschrieben, was ich bis heute so beibehalten habe. Hej, jeg er Gertrud! – Mein Weg zur Autorin von Gertrud Tinning

Was hat Sie dazu inspiriert, diesen Roman zu schreiben? Haben Sie eine persönliche Verbindung zu der Geschichte?

Ich bin Dozentin an einer Hochschule in Dänemark mit Studierenden aus der ganzen Welt. Diese sagen oft, dass ich so viel Glück habe, dass es hier so ein großartiges Sozialsystem und gute Gehälter gibt. Wenn ich sie allerdings frage, warum das so ist, haben sie keine Ahnung. Viele wissen nicht, was eine Gewerk-schaft ist und dass ein Sozialsystem nicht einfach so entsteht, sondern das Ergebnis langjähriger Streiks, Aufstände und Demonstrationen ist. So kam mir die Idee, einen Roman über diese Bemühungen zu schreiben und darüber, wie hart Frauen um ihre Rechte kämpfen mussten. Ich habe zwar keine Tante oder Großmutter, die in Rubens Tuchfabrik gearbeitet hat, aber ich bin 62 Jahre alt und wie bei vielen Dänen ist es auch bei meiner Familie nicht allzu viele Generationen her, dass sie arm war. Mein Großvater mütterlicherseits war ein schwedischer Forstarbeiter ohne große fi-nanzielle Mittel, der sich das Ticket nach Amerika nicht leisten konnte und deshalb nach Dänemark auswanderte. Mein Großvater väterlicherseits war der erste in seiner Familie, der eine Ausbildung ab-solvierte – was nur deshalb möglich war, weil er abends nach der Arbeit dafür lernte. Eine weitere Ge-neration verging, bevor die Frauen in der Familie eine höhere Ausbildung als die Grundschule erhielten.

Anna Lindenbaum organisierte den ersten Arbeiterinnenstreik bei Rubens und ist die reale Grundlage für Ihre Protagonistin Anna Christensen. Wann sind Sie auf Anna Lindenbaums Geschichte und die Fabrik Rubens gestoßen?

Ich suchte nach einer Fabrik in Kopenhagen, in der in den 1880er Jahren viele Frauen beschäftigt waren. Die Tuchfabrik Rubens war das Unternehmen, das zu dieser Zeit die meisten Frauen angestellt hatte, und da dort auch der erste große Frauenstreik stattfand, hatte ich keine Zweifel, dass hier die Handlung des Buches spielt. Auf Anna Lindenbaum bin ich gestoßen, als ich gerade mit meiner Recherche anfing, aber nirgendwo konnte ich mehr als eine gelegentliche Erwähnung von ihr finden.

In Ihrem Buch ist auch die Schere zwischen Arm und Reich ein großes Thema. Wie viel hat sich hierbei bis heute tatsächlich in Dänemark geändert?

Seit 1885 – das Jahr, in dem auch Die Frauen von Kopenhagen beginnt –, ist viel passiert. Die Arbeite-rinnen und Arbeiter organisierten sich selbst, und am Anfang ging es erst langsam voran. Allmählich jedoch wurden bessere Löhne und Arbeitsbedingungen ausgehandelt. 1907 wurden unter anderem Ar-beitslosenfonds von den Gewerkschaften eingerichtet und verwaltet – diese allerdings wurden vom Staat unterstützt. 1930 konnte ein Arbeitnehmer ein halbes Jahr lang Arbeitslosengeld erhalten. Vor 25 Jahren war Dänemark im westlichen Raum das Land, in dem die geringste Ungleichheit bestand. Dies hat sich jedoch ein wenig geändert, seit wir 2001 die erste neoliberale Regierung erhalten haben.

Dänemark zählt mittlerweile zu den Ländern mit den besten Arbeitsbedingungen (vor allem auch für Frauen). Hat die Frauenarbeiterbewegung den Grundstein dafür gelegt?

Daran gibt es keinen Zweifel. Ein langer Mutterschaftsurlaub oder die sogenannte „Kinderbetreuungs-garantie“, die bedeutet, dass jedes Kinder einen Platz im Kindergarten bekommen kann, geben Frauen die Möglichkeit, mehr oder weniger gleichberechtigt mit Männern zu arbeiten. All dies sind Bedingun-gen, für die Frauenorganisationen gekämpft haben.

Welche Bedeutung hatte die Arbeiterbewegung in Dänemark damals und welche hat sie heute?

Die Gewerkschaften waren zusammen mit den Sozialdemokraten absolut entscheidend für den Aufbau des Sozialsystems in Dänemark. Viele Jahre lang war es an vielen Arbeitsplätzen völlig inakzeptabel, nicht Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Leider ist dies nicht mehr der Fall – Individualismus, Priva-tisierung und verstärkter Wettbewerb haben sich hier negativ ausgewirkt. Die Gewerkschaften spielen jedoch nach wie vor eine wichtige Rolle bei den Verhandlungsgehältern und Arbeitsbedingungen.

Ihre Protagonistinnen Nelly und Anna sind selbstbewusste Frauen, die für Ihre Rechte einstehen und dabei nicht dem damaligen Stereotyp entsprechen – heute würden wir sie Feministinnen nennen. Denken Sie, dass die Reise des Feminismus jemals enden wird?

Nein, die Reise des Feminismus wird nie enden. Sie wird neue Formen annehmen und neue Inhalte haben (beispielsweise die #MeToo-Debatte), aber niemals enden. Die Ausprägungen des Feminismus hängen sehr davon ab, wo dieser stattfindet. An einigen Orten auf der Welt hat die Reise gerade erst begonnen.

Welche Bedeutung hat der feministische Aktivismus für Sie?

Für mich persönlich sind die größten Elemente des feministisches Aktivismus die Art und Weise, wie ich unterrichte und meine Interaktion mit Studentinnen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und anderen Ländern. Manchmal fragen sie mich, wenn sie Hilfe und Rat benötigen, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und nicht nur den Wünschen ihrer Eltern zu folgen – zum Beispiel in den Bereichen, wann, wie oder ob sie heiraten oder was sie studieren sollen. Ich unterrichte ein Fach namens Green Activism und es ist interessant, dass es weit mehr weiblich als männliche Studierende gibt, die dieses Fach wählen. Es scheint, als hätten sich Green Activism und Feminismus zusammengetan.

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Neue Rezensionen zu Gertrud Tinning

Cover des Buches Die Frauen von Kopenhagen (ISBN: 9783453360921)
mama2009s avatar

Rezension zu "Die Frauen von Kopenhagen" von Gertrud Tinning

Mutige Frauen
mama2009vor 3 Jahren

Meine Meinung und Fazit:


Mit "Die Frauen von Kopenhagen" legt Gertrud Tinning einen unglaublich spannenden Roman über die damalige harte Zeit vor. Das Leben ist unvorstellbar hart und ein Menschenleben zählt so gut wie gar nicht. Und erst recht kein Frauenleben. Die handelnden Personen sind junge Frauen, deren Wille nichts zählt und die unheimlich hart arbeiten. Und am Ende kaum genug zum Leben haben. Die jungene Frauen kämpfen für Verbesserungen und wollen die Ungerechtigkeiten nicht mehr hinnehmen. Doch allein kann niemand etwas ausrichten und es wird der Beginn der Frauenorganisationen dargestellt. Für mich sehr stimmig. 

Folgende Stellen sind mir in Erinnerung geblieben. Stelle aus Kapitel 5"... So war das Leben. Elend und ungerecht."

Bildhafte Sprache Kapitel 6 "Sie hatte schlecht geschlafen, weil die Fragen hartnäckig wie Ratten an ihr nagten." 

Kapitel 44: "Hoch über ihr zog ein Vogelschwarm in spitzer Formation vorbei. Dort oben war es sauber und unkompliziert, aber hier unten auf der Erde waren die Verhältnisse vollkommen verkehrt, die Menschen hatten alles zerstört. Doch nicht der Gestank und die Hässlichkeit waren das Schlimmste, sondern dass die Leute eine Tugend daraus machten, sich gegenseitig das Leben zu erschweren."

Mein Dank geht an das Team vom Diana Verlag für das bereitgestellte Rezi-Exemplar und an die Autorin für den gut recherchierten Roman. 

Cover des Buches Die Frauen von Kopenhagen (ISBN: 9783453292512)
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Rezension zu "Die Frauen von Kopenhagen" von Gertrud Tinning

Historisch interessant, aber sehr düster und deprimierend
Connys_Buecherweltvor 3 Jahren

Kopenhagen 1885: Nelly und Marie arbeiten in der größten Weberei Kopenhagens - bis Marie bei einem Unfall am Webstuhl schwer verletzt wird. Die Verantwortlichen versuchen die Sache zu vertuschen, doch Nelly sucht Gerechtigkeit - nichtsahnend, dass sie damit sich und ihren Geliebten Johannes in große Gefahr bringt. Dessen Schwester Anna kommt zur selben Zeit aus Jütland nach Kopenhagen und begibt sich furchtlos in einen fast aussichtslosen und gefährlichen Kampf... 

"Die Frauen von Kopenhagen" stammt aus der Feder der dänischen Autprin Gertrud Tilling. Die Inhaltsangabe klang vielversprechend, doch so richtig überzeugt hat mich der Roman leider nicht. 

Zunächst geht es recht spannend los - mit einem entsetzlichen Unfall in der Tuchfabrik Rubens, der auf sehr dramatische und eindringliche Weise zeigt, welch unmenschliche Arbeitsbedingungen dort herrschen. Mit Nelly habe ich daher sofort mitgefühlt. Leider wechselt die Perspektive bald von Nelly zu Anna, womit ich nicht gerechnet hatte. Ebensowenig wie mit der ziemlich deprimierenden Handlung. 

Dabei fand ich den Einblick in die Anfänge der dänischen Arbeiterbewegung und den Kampf um mehr Frauenrechte durchaus interessant. Ebenso wie die Schauplätze und die anschauliche Darstellung der damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen. 

Trotzdem konnte mich das Ganze nicht so fesseln wie erhofft. Denn ich fand die Story einfach zu düster. Und zu hoffnungslos. Denn nach Maries Unfall folgen noch weitere schreckliche und traurige Ereignisse. Der Tod spielt eine große Rolle;  Krankheit, Folter, Gewalt, Gefängnis, Blut und Leichen. Definitiv keine leichte Lektüre. Vielleicht war ich auch einfach nicht in der richtigen Stimmung, aber mir war es eindeutig zu viel des Schlechten. Irgendwie hatte ich hier auch mehr Arbeiter- und Frauenrechte-Kampf statts Krimi erwartet. Daher habe ich mich vor allem in der zweiten Hälfte nur durch das Buch gequält und viele Passagen überflogen. Zumindest am Ende blitzt ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont auf, was die Story aber auch nicht wirklich rettet. 

Insgesamt kann ich daher "Die Frauen von Kopenhagen" nur sehr eingeschränkt empfehlen. Historisch interessant, aber für mich zu düster und deprimierend. Knappe 3 Sterne von mir. 

Cover des Buches Die Frauen von Kopenhagen (ISBN: 9783453292512)
Kiwilippes avatar

Rezension zu "Die Frauen von Kopenhagen" von Gertrud Tinning

Hat mich sehr begeistert
Kiwilippevor 3 Jahren

Die Autorin Gertrud Tinning  konnte mich mit ihrem flüssigen und leichten Schreibstil total von dem Buch begeistern.

Besonders gefallen hat mir, wie sie die damalige Zeit beschrieben hat, von Klassenunterschieden, die Unterschiede zwischen dem Stadt und Landleben hat sie sehr anschaulich dargestellt und die Arbeitsbedingungen in der Fabrik konnten mich sehr vereinnahmen. 

Erschreckend und grausam zu lesen waren auch die Zustände in der Besserungsanstalt sowie  im Gefängnis die Johannes erleben musste. 

Es war toll wie schnell ich in dem historischen Roman gefangen war und mich die Ausbeutung und der tägliche Kampf ums Überleben der Menschen zu der damaligen Zeit mitfiebern lies.

Gekoppelt mit einem Mord etwas Spannung und der Suche nach dem Täter gaben dem Buch noch eine etwas andere, unterhaltsame Wendung, was mich bis zum Schluss fesseln konnte und mir sehr gut gefallen hat.

Ein sehr gelungenes Buch was ich wirklich gerne empfehlen kann.

Gespräche aus der Community

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