Cover des Buches Seine Heiligkeit (ISBN: 9783492055758)
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Rezension zu Seine Heiligkeit von Gianluigi Nuzzi

Von "allgemein öffentlichem Belang"?

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Als ich diesen zähen, meistens ziemlich öden und langweiligen Text nach vielen Tagen endlich hinter mich gebracht hatte, verstand ich die Reaktion Joseph Ratzingers angesichts seiner von ihm damals befürchteten Wahl zum Papst. Er hatte wohl inständig gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorbeigehen würde. Papst und gleichzeitig sehr alt zu sein, erscheint angesichts der vielfältigen Aufgaben und der undurchsichtigen Strukturen und Machtverhältnisse innerhalb der katholischen Kirche keine Aufgabe zu sein, die man unbedingt herbeisehnt.

In diesem mit viel Getöse auf den Markt geworfenen Buch findet man zahlreiche Dokumente, die der päpstliche Kammerdiener aus den Privaträumen des Oberhirten stahl. Wer Diebesgut bewusst weiter verkauft, wird als Hehler bezeichnet und macht sich strafbar. Das gilt offenbar nicht, wenn man dafür höhere Werte heranziehen kann. Etwa "Transparenz" oder "Aufdeckung von Korruption".

Dazu schreibt der Autor in der Einleitung: "Gegen die italienische Originalfassung dieses Buches wurde vielfältige Kritik aus dem Vatikan laut. Mir wurde ein "krimineller Akt" vorgeworfen, weil ich mit der Offenlegung delikater und streng vertraulicher Angelegenheiten gegen die gebotene Diskretion verstoßen hätte. Allerdings sind Fakten, die zwischenstaatliche Beziehungen, Korruptionsvorwürfe, mangelnde Transparenz und Interessen in einer Religionsgemeinschaft betreffen, die über eine Milliarde Gläubige zählt, von allgemeinem öffentlichem Belang."

Das wäre ein starkes Argument, wenn die Dokumente etwas Systematisches hergeben würden. Aber das tun sie nicht. Auch ohne sie zu kennen, kann man sich leicht überlegen, dass der Zuträger weder den Überblick, noch die geistigen Fähigkeiten besaß, um systematisch vorzugehen. Er klaute offenbar einfach alles, was ihm in die Finger kam und ihm von gewissem Wert erschien. Und auch der Autor versucht nicht, irgendeine Systematik in diese Dokumente zu bringen. Vielmehr werden einfach die ihm bedeutungsvoll erscheinenden Dokumente nach Themen geordnet, teilweise zitiert und kommentiert.

Und etwas anderes kann man auch nicht erwarten. Es öffnet sich ein kleines Fenster in die Geheimnisse des Vatikans, durch das man die komplexen Vorgänge in einer so riesigen Behörde kaum durchschauen wird. Man darf sich wohl auch nicht der Illusion hingeben, dass man mit den hier veröffentlichen Dokumenten die entsprechenden Vorgänge wirklich kennen würde, denn das Diebesgut bildet nur einen Teil dieser Vorgänge ab.

Dass es im Vatikan Korruption, Machtmissbrauch und allerlei andere weniger schöne Dinge gegeben hat und immer geben wird, wusste man sicher auch vorher, weil sie einfach zwangsläufig immer und überall in solchen Strukturen auftreten. Und Nuzzi wird selbst nicht glauben, dass sich mit der Veröffentlichung dieser vertraulichen Dokumente irgendetwas Grundsätzliches im Vatikan ändern wird, außer vielleicht, dass man nun noch vorsichtiger sein wird.

Was bringt das Buch nun wirklich ans Tageslicht? Nach knapp vierzig Seiten Einleitung werden zahlreiche Affären und Vorgänge diskutiert, die dem Papst schriftlich vorgetragen wurden. Wenn man gewisse Figuren im Vatikan oder die italienische Innenpolitik nicht kennt, dann wird es recht schwierig, die Sensationskraft dieser Vorgänge zu verstehen, die es wahrscheinlich sowieso nicht wirklich gibt. Zunächst wird lang und breit eine Beschwerde eines offenbar bekannten Journalisten diskutiert, der sich beim Papst über seine öffentliche Demontage beklagt. Danach geht es um die schwierige Finanzlage des Vatikans, um Reformbemühungen auf diesem Gebiet und deren Torpedierung.

Lang und breit werden danach Dokumente kommentiert, die die Suche des Vatikans nach einem Ausweg aus einer drohenden höheren Immobilien-Besteuerung durch den italienischen Staat belegen.

Auch der Fall Ruby taucht in den Akten des Papstes auf. Dass der Vatikan Geheimagenten auf italienischem Boden beschäftigt, wird in einem weiteren Kapitel enthüllt. Doch diese Enthüllungen sind ebenso dürftig wie das Meiste vorher.

Immer wieder befasst sich der Autor mit dem Kardinal-Staatssekretär Bertone, dem ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Danach geht es um verschiedene Gemeinschaften innerhalb der katholischen Kirche und dabei insbesondere um die Piusbrüder-Affäre, die seinerzeit auch gewisse Irritationen zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und dem Papst herbeiführte.

Wie lächerlich manche Vorgänge sind, sieht man am Kapitel über den Weltbild-Verlag, der der katholischen Kirche gehört, aber damals offenbar Soft-Pornos vertrieb. Natürlich kann man sich moralisch entrüsten und der Kirche vorwerfen, sie verdiene an Dingen, die sie verurteilt. Aber es gibt wohl Schlimmeres auf Gottes Erde.

Im vorletzten Kapitel geht es um ökonomische Verschiebungen in der Welt, die einen direkten Einfluss auf die Finanzlage des Vatikans haben werden. Das wäre wirklich eine interessante Geschichte, wenn man sie tiefgründiger beleuchten würde. Denn es fällt dem Katholizismus zunehmend schwerer, missionarisch aufzutreten. Andere Glaubensgemeinschaften gehen da wesentlich aggressiver vor. Und zusätzlich verschiebt sich der Reichtum weg von den alten katholischen Hochburgen der westlichen Industriestaaten hin zu den asiatischen Mächten, in denen es die katholische Kirche schwer hat, sich zu behaupten.

Doch dem Autor sind Skandalgeschichten näher, etwa dubiose Morde an Priestern in Südamerika oder andere Vorgänge, die aus der abgeschirmten Chiffrierstelle des Vatikans auf den Schreibtisch des Papstes und anschließend zu Nuzzi gelangten. Damit endet dieses reichlich überschätzte Buch. Es folgen dann noch Kopien einiger Dokumente, ihre Übersetzung ins Deutsche und zahlreiche Anmerkungen.

Mit "Seiner Heiligkeit" hat dieses Buch herzlich wenig zu tun. Wenn man etwas aus diesem Werk über den Papst lernen kann, dann, dass es keine besonders lustige Aufgabe ist, auf dem "Heiligen Stuhl" zu sitzen. Mit welchem dubiosen Zeug sich Ratzinger beschäftigen muss, ist schon erstaunlich. Sensationen waren jedenfalls nicht darunter.
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