Rezension zu "Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit" von Gianni Jovanovic
“Denke ich also an meine Kindheit zurück, dann denke ich an Röcke, Armut und Gewalt. Und ich denke an die ewige Sorge, heute könnte der letzte Tag sein.” (S.28)
Gianni Jovanovics Eltern sind aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gezogen. Er ist in Rüsselsheim 1978 geboren und lernt schon sehr früh rassistische Erfahrungen zu erleben, die anfangs für ihn und seine Familie als Begriff ‚strukturellen Rassismus‘ nicht zu benennen wusste. Gerade mal mit 14 Jahren verheiraten seine Eltern ihn mit einer 13-Jährigen. Sehr schnell wurde er Vater und als gerade mal das erste Kind fast 1 Jahr wird, erfährt er, dass seine Frau Zwillinge bekommen wird. Zu dieser Zeit ist er 17 Jahre alt. Sein Begehren zu Männern merkte Gianni eigentlich schon mit 14, outete sich erst mit 20 als schwul. Mittlerweile lebt er zusammen mit seinem Partner seit 18 Jahren. Stolzer Großvater ist er zudem auch noch. Gianni gilt als die Stimme für Rom_nja und Sinti_zze.
Eine mitreißende Erzählung, die Gianni Jovanovic hier mit der Journalistin Oyindamola Alashe verfasst hat. Wie wenig wir als Gesellschaft über das ehemalige Jugoslawien als auch über dir Rom_nja und Sinti_zze wissen. Viele Jahre wurde und wird immer noch diese marginalisierte Gruppe stark unsichtbar gemacht. Nicht nur, dass wir jahrelang das Z-Wort als eine normale Bezeichnung für eine bestimmte Gruppe benutzt haben, sondern, dass die historische Geschichte komplett ausradiert wirkt. So wichtig, dass Gianni versucht hat - auch wenn er am Anfang des Buches meint, keine Stimme für alle sein zu können - die wichtigsten Details aufzugreifen. Mit seiner eigenen Erfahrung beschreibt Gianni welche Traditionen die Rom_nja und Sinti_zze haben.
Bemerkenswert und herzzerreißend ist dieser Abschnitt als Jovanovic versucht die Situation mit seinen Kindern, vor allem mit seinem Sohn zu schildern, der sich zunächst für seinen Vater fremdschämt, dass er gerne sich als Drag verkleidet und offen schwul ist. Dies hat dem Sohn sein männliches Bild eines Mannes geschadet und die Angst in der Schule gehänselt zu werden, stieg. Auch früh wurde der Sohn von den Großeltern zwangsverheiratet, als Gianni seine Kinder aus Selbstschutz verlassen musste.
Ich kann euch nur dieses Buch von ganzem Herzen empfehlen! Eine ganze Podcastfolge könnte ich machen, damit ich euch zeigen könnte, wie wichtig es ist diese Erfahrung zu teilen und mehr Lücken zu füllen.
“Ständige Mikroaggressionen - böse Blicke, gehässige Worte oder unangenehme Fragen -, aber auch körperliche und seelische Grausamkeit durch Mitmenschen und der Druck on Behörden haben uns krank gemacht. Nur waren wir uns dessen meist nicht bewusst, denn wir waren zu sehr damit beschäftigt, im Leben zurechtzukommen.” (S.29)