Ist das Kunst oder kann das weg?
Das von Gill Gartenstadt vorgestellte Thema wäre an und für sich gar nicht uninteressant. Anhand von Fernando Pessoa, einem portugiesischen Klassiker, lässt die Autorin sogenannte Heteronyme durch Portugals und Deutschlands Hauptstädte geistern. Ja, geistern muss man fast wörtlich nehmen, denn die Protagonisten, Fernando und Vladimir, der erstere in Lissabon, der zweite in Berlin heimisch, haben nicht viel Fleisch und Blut auf den Knochen. Ein Heteronym ist die ausgedachte Figur eines Autors, mit der er sich identifiziert. Neben Fernando und Vladimir kommt noch ein echtes Geistwesen ins Spiel, ein gewisser Lucardo, der eine Art Vampir ist, der aber kein Blut saugt und in „Fernando fährt“.
Die Handlung ist ziemlich wirr und kraus, soweit sie überhaupt existiert. Einer will mithilfe des ihm innewohnenden Geistvampirs ein aufsehenerregendes Vampirbuch schreiben, ein anderer Karriere machen. Als es nicht gelingt, wird er eine Art DragQueen, à la Olivia Jones, singt Fado und meuchelt seine Liebhaber. Wieso? Das weiss man nicht. Weil es halt strange ist.
Eine Handlung im normalen Sinn gibt es nicht. Der Roman ist durchzogen von Belehrungen über die Buchhandlung Bertrand in Lissabon oder andere städtebaulichen Fakten, über das Leben Pessoas, etc. Das mutet manchmal an wie das auszugsweise Lesen in einem Reiseführer. Obwohl ich beide Hauptstädte sehr gut kenne, ist bei mir weder ein Berlin- noch ein Lissabonfeeling aufgekommen. Die Atmosphäre ist nicht rübergekommen. Wenn ich den Versuch der Autorin, die Stimmung der Örtlichkeiten in den Griff zu bekommen, mit den versierten Beschreibungen der Autoren meiner kürzlichen Lektüren vergleiche ("Die Brandungswelle", Glaudie Galley, "Das Gedächtnis der Insel", Christian Bude, "Bis an die Grenze", Dave Eggers oder auch "Ein Mann der Tat", Richard Russo, der eine US-Kleinstadt beschreibt), schneidet Gartenstadts atmosphärische Umsetzung leider schlecht ab. Ein paar Straßenzüge aufzuschreiben, die die Protagonisten entlangschlendern, das reicht nicht, um Stimmung zu erzeugen, Fadosänger auftreten zu lassen und Fadotexte zu rezitieren, auch nicht.
Was sonst noch fehlt: Es fehlen Dialoge, es fehlt soziales Umfeld, es fehlt Spannung, Beziehung, Motiv, es fehlt alles. Warum sind die Menschen, wie sie sind? Wenn schon äusserlich nichts passiert, sollte doch im Inneren der Protagonisten etwas los sein. Das ist nicht der Fall. Die Protagonisten sind und bleiben blutleer. Wie das mit dem Inbesitznehmen Fernandos durch den Vampir Lucardo funktioniert, was interessant gewesen wäre, ist nur angedeutet. Kommunikation zwischen den beiden findet ebenfalls nur minimalistisch statt.
Auf der Berliner Ebene: Warum wird jemand zum Mörder, nur weil er eine Enttäuschung erlebt? Die Auflösung nachher wirkt entweder billig oder hilflos, wie man es eben beurteilen will.
Die Autorin meint, sie hätte ihren Roman an Pessoas, ebenfalls arg handlungsarmes, fragmentarisches Werk angepasst. Nun, das muss schiefgehen. Denn diese Art von Literatur ist Klassik, heute nur noch wenig angesagt und es würde außerordentlich viel künstlerisches Handwerkszeug und Können erfordern, handlungsarme Fragmente auf faszinierende Weise ins Heute zu transportieren. Pessoa mag Kunst sein, "Flying Fish und Fado" ist es meiner Meinung nach nicht.
Sprachlich gibt es keine Höhepunkte. Abiaufsatzniveau. Das ist ja nicht übel, reicht aber nicht fürs anerkannte Autorenhandwerk.
Abschließend möchte ich Bodo Kirchhoff aus seinem Büchlein „Widerfahrnis“ zitieren: „Wussten Sie, dass der immer verbreitetere Wunsch, den eigenen Namen nicht bloß am Türschild, sondern auch auf einem Buchumschlag zu sehen, der Tod des guten Buches ist?" Damit bringt der Autor meine eigene Meinung, was Selbstpublisher betrifft, ziemlich gut auf den Punkt. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.
Fazit: Strange ist gut, wenn man es kann.
Kategorie: i.w.S. Unterhaltung
Verlag: Gill Gartenstadt, 2017