Gioacchino Criaco

 4,2 Sterne bei 5 Bewertungen

Lebenslauf

Geboren 1965 in Africo, Kalabrien. Studium der Rechtswissenschaften in Bologna, Anwalt in Mailand. Nach 20 Jahren Rückkehr nach Africo. Der Vater Domenico wurde 1993 in einer Blutfehde umgebracht. Der Bruder Pietro Criaco war bis zu seiner Verhaftung einer der 30 meistgesuchten Kriminellen.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Gioacchino Criaco

Cover des Buches Schwarze Seelen (ISBN: 9783852566849)

Schwarze Seelen

(4)
Erschienen am 08.03.2016
Cover des Buches Die Söhne der Winde (ISBN: 9783852567709)

Die Söhne der Winde

(1)
Erschienen am 05.03.2019

Neue Rezensionen zu Gioacchino Criaco

Cover des Buches Schwarze Seelen (ISBN: 9783852566849)
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Rezension zu "Schwarze Seelen" von Gioacchino Criaco

Phil_G
Düstere Geschichte

Süditalien, genauer gesagt Kalabrien. Noch genauer Aspromonte (deutsch "rauher Berg"). Die Geschichte junger Männer, die ihrem Alltag entfliehen wollen, um nicht das Leben ihrer Väter leben zu müssen. Sie wählen dafür die Karriere in der 'Ndranghetta, der kalabresischen Mafia.
Das Leben führt sie nach Mailand. Tod und Gewalt ist ihr Alltag.

Der Bruder des Autors war einer der meistgesuchten Verbrecher Italiens. Er bezahlte es wie sein Vater mit dem Leben. Ob der Schmerz den Autor dazu veranlasste so distanziert, kühl zu schreiben, oder ob er den harten Mann spielen wollte, ist mir nicht klar.
Es bleibt eine düstere Geschichte, mit viel Unausgesprochenem. Vielleicht weil der Autor zum Schutz der Familie gewisse Dinge nicht sagen darf?

Cover des Buches Die Söhne der Winde (ISBN: 9783852567709)
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Rezension zu "Die Söhne der Winde" von Gioacchino Criaco

Gwhynwhyfar
Eine Hommage an die Mütter der Söhne der Winde - großartiger Noir-Roman

Der erste Satz: »Das Wunder des hl. Sebastian war der Höhepunkt des Jahres, wenn nicht gar des ganzen Lebens, das Außergewöhnliche schlechthin, das Außergewöhnlichste, was man je zu sehen bekam, nicht einmal bei den Filmvorführungen im Pfarrsaal bekam man so etwas zu sehen, dabei sah man alles Mögliche in den Western, den Kung-Fu oder den Römerfilmen.«

Africo, das Dorf der Ärmsten, denen man alles genommen hatte, die man umgesiedelt hat. Nicht Afrika, Africo in Kalabrien, hinter dem Aspromonte-Gebirge am Jonischen Meer. 1951 wurde durch ein Unwetter das Dorf zerstört, halb weggeschwemmt. 15 Kilometer unterhalb siedelte man die Menschen im Sumpfgebiet neu an, baute Häuser aus Billigbeton, man versprach seitens der Regierung Unterstützung, Arbeitsplätze, Infrastruktur. Das Dorf war nur zu Fuß oder mit dem Eselskarren zu erreichen, ein versprochener Bahnhof wurde nie gebaut, von Arbeitsplätzen keine Rede mehr. Der Ackerboden wurde von der kommunistischen Regierung verstaatlicht, eingezäunt und lag von nun an brach. Der Rest gehörte Großgrundbesitzern. Der Großteil der Männer zog in die weite Welt: USA, Kanada, Deutschland, Turin. Manche schickten hin und wieder Geld oder sie brachten etwas mit, wenn sie Weihnachten nach Hause kamen. Einige Männer kamen nur ein, zwei Mal und dann waren sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Zurück blieben Mütter, die alleine ihre Kinder großziehen mussten, sie ernährten sich durch harte Arbeit auf den Jasminfeldern, Bohnenernte usw. Das Geld langte vorn und hinten nicht. Und so war es für die ´Ndrangheta ein leichtes Spiel hier ihre Handlanger zu rekrutieren. Gioacchino Criaco, stammt aus Africo, und auch seine Familiengeschichte ist von der Mafia gezeichnet: Sein Vater, ein Ziegenhirte, wurde 1993 in einer Blutfehde umgebracht, sein Bruder war einst, der meistgesuchteste Kriminelle in ganz Italien, der heute in Isolationshaft sitzt. Gioacchino Criaco selbst wurde Strafverteidiger, durch ein Begabtenstipendium bekam er die Möglichkeit zu studieren. In seinem Roman »Schwarze Seelen« hat er das Hineinrutschen von Kindern und Jugendlichen in die Verbrecherszene sehr ergreifend beschrieben. Africo ist speziell. Die Via Giacomo Matteotti im Dorf nennt man »die Straße der Todgeweihten«, weil im Jahr 2013 hier 33 von 50 Bewohnern an Krebs verstarben. Die ´Ndrangheta betreibt hier ein großes Geschäft mit Giftmüllverklappung. Der Müll stammt aus Nordeuropa. Und sicher findet man in den Roman des Autors einige autobiografische Züge.

»Ich hatte mich noch nicht entschieden, was ich tun würde, unter den Verwandten meines Vaters gab es zwar ein paar Mafiosi, aber keinen einzigen unter den Verwandten meiner Mutter.«

Dies ist die Geschichte von Nicola und seinen Freunden Filippo und Antonio, ein Szenario aus den Sechzigern. Nicolas Vater arbeitet in Wolfsburg bei VW, kommt nur alle paar Jahre nach Hause, er war schon lange nicht mehr da, schon lange bleibt seine Geldspritze aus. Seine Mutter schuftet auf den Feldern, der Geruch von Jasmin liegt zur Blütezeit schwer über dem Dorf. Zu essen gibt es nicht viel, Pasta mit Kartoffeln ist bereits eine Delikatesse. Meist gibt es Pasta mit Kunstsoße, die aus Wasser und widerlichem roten Pulver hergestellt wird, da gehackte Tomaten zu teuer sind. Das Dorf besteht zum größten Teil aus Frauen und Kindern, alten Leuten. Einfluss haben der Pfarrer und der heilige Sebastian, sowie die Gnura, eine Heilkundige – eben der Aberglaube. »Wenn einer Mafiosi als Freunde hat, muss er nicht gehen, dann hat er hier alles, was er braucht.« Auch die haben das Sagen und sie bieten Geld und Jobs. Die wiederum wohnen nicht im Dorf, sondern in ihren Häusern in den Bergen. Und fast jeder Junge im Dorf hat einen einflussreichen Mafioso als Verwandten. Der Einfluss des Dons ist groß, denn der Staat hat Kalabrien völlig im Stich gelassen – der Don kümmert sich. Die Carabinieri sind verhasst – sie stehen nicht für Gesetz und Ordnung, sondern für Staatsbüttel und Ausbeutung.



In der Schule von Nicola gibt es keine Bücher. Seine Mutter steht in gekrümmter Haltung die ganze Nacht auf den Jasminfeldern, um Blüten zu ernten, den einzigen Luxus den sie sich gönnen ist die heiße Milch zum Frühstück, den die Mutter aufsetzt, wenn die sie von den Feldern kommt, Jasminduft erfüllt den Raum. Irgendwann wäre Nicola doch gern ein Mafioso, denn über so einen macht man sich nicht lustig, traut sich nicht, ihm das Holz zu stehlen und sie tragen ihre Mütze frech schief auf dem Kopf. Und man muss nicht hungern! Die Jungs bekommen die Gelegenheit, für ziemlich viel Geld einen Sack aufzubewahren. Mehr müssen sie nicht tun. Nach einer Woche den Sack zurückbringen – Geld abholen. Neugierig schauen sie hinein: zwei Pistolen und ein Batzen Geld.

»… die Hauptregel war: Anhand der Fleischstücke erkannte man, wie bedeutend jemand war. Abgesehen davon, dass die Kellner ihre Verwandten und Freunde zu begünstigen versuchten, landete das beste Fleisch im Magen der Banditen und der Signuri: Arzt, Bürgermeister, Mafioso waren besonders gierig. Die höchste Verehrung genoss der Mafiaboss.«

Die Jungen dürfen bei Hochzeiten servieren und neben dem Lohn dürfen sie ein wenig Essen mit nach Hause nehmen: Fleisch, Kuchen, Brot, ein Festessen für die Familie. Und sie haben auch gleich eine Ausrede für das andere Geld, das sie verdienen – alles Kellnerjobs. Und so kommt eins zum anderen, immer tiefer geraten sie in Mafiajobs hinein, bis eines Tages Papula ins Dorf zurückkehrt, einer, der in Deutschland gearbeitet hat. Ein charismatischer Typ, der zum Kampf aufruft. Zum Kampf gegen die Großgrundbesitzer, – gegen die Mafia – für bessere Arbeitsbedingungen, für einen Bahnhof, für Infrastruktur und Arbeitsplätze. Es kommt zum Volksaufstand der Jugendlichen und Frauen geführt wird, der als »Moti di Reggio« bekannt ist. - Der Roman ist eine Hommage an die Mütter, die zur Armee auflaufen in der ein oder anderen Situation.

»Von hier aus wirkte das Dorf Africo in seiner Mulde wie eine friedvolle Welt, man konnte sich die Dornen im Herzen seiner Bewohner gar nicht vorstellen; zum ersten Mal betrachtete ich es aus so großer Entfernung, zum ersten Mal schlug ich meine Augen fern der Aurora auf, und es war, als würde ich zur Zimmerdecke hinaufsteigen und meinen Körper in den Laken von oben betrachten. Noch nie hatte ich im Morgengrauen Brot und Käse gegessen und noch nie hatte ich die Nacht gebeten, meine Flucht zu bewachen, anstatt zu schlafen.«

Aber es ist nicht nur die Geschichte an sich, die fasziert, die bedrückt. Es ist auch die Sprache von Gioacchino Criaco, die wortgewaltig den Leser in Bann zieht. Er ist ein großartiger Erzähler. Brachiale Brutalität der Worte abwechselnd mit Liebe zum Land und seinen Gerüchen, ein Kalabrien mit berauschender Landschaft, Reichtum und landwirtschaftlicher Ressourcen – wenn man sie nutzen würde. Der Autor rüttelt an den Ursachen des armen Mezzogiorno, erklärt, warum noch heute vielen jungen Leuten nichts anderes übrig bleibt, als in den Norden auszuwandern. Will man verstehen, worin der Zorn der Menschen gegen den Staat liegt, gegen alles, was von Oben kommt und warum die Mafia so leichtes Spiel im Süden von Italien hatte, so muss man die Romane von Gioacchino Criaco lesen. 

Cover des Buches Schwarze Seelen (ISBN: 9783852566849)
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Rezension zu "Schwarze Seelen" von Gioacchino Criaco

Gwhynwhyfar
moderne Geschichte aus Süditalien

»Wir entschieden uns dafür, in Freiheit, aber bewaffnet zu leben, bereit uns zu verteidigen und anzugreifen. Ehrenmänner und Bullen waren gleichermaßen unsere Feinde.«

Organisiertes Verbrechen in Kalabrien. Die Geschichte der Ndrangheta aus der Innenansicht von einem, der hautnah dabei war. Der Autor Gioacchino Criaco, 1965 geboren in Kalabrien, stammt aus einer Hirtenfamile, arbeitete über 30 Jahre als Rechts-anwalt in Mailand. Sein Vater wurde bei einer Blutfehde ermordet, sein Bruder war einer der 30 meistgesuchtesten Kriminellen in Italien. Und so klingt dieser Bestseller aus Italien, in der Ichform geschrieben, wie eine Autobiografie. Und genau das macht den Reiz aus.

Drei Freunde wachsen in dem kleinen kalabrischen Bergdorf Africa (hier ist der Schriftsteller geboren) auf. Das Dorf wird später umgesiedelt, die Einwohner entwurzelt.

Bevor sie 20 Jahre alt sind, hatten sie: »Bereits gestohlen, Überfälle begangen, Menschen entführt und getötet. Wir lehnten die Welt, in die wir lebten ab, weil sie nicht die unsere war, und nahmen uns, was wir wollten.«

Den Namen des Icherzählers erfahren wir nicht, nur die seiner Freunde, Luciano und Luigi. Sie nennen sich Söhne der Wälder. Dichte, unwegsame Waldungen, Pinien, Eichen, Buchen, Lärchen, ein Gebiet, das nur der begeht, der sich auch auskennt. Immer wieder werden die drei Jungen als Erwachsene zurückkehren, in die Einsamkeit ihrer Wälder, ihre Wunden lecken, sich verstecken. Die Liebe zur Natur, zu diesen Bergen, durchzieht den gesamten Roman. Ein Ort sich zu erden, in der Kälte, der Kargheit und Schönheit.
Criaco beschreibt die kärgliche Landschaft der Ziegenhirten, Häuser, in denen man nicht aufrecht stehen kann, die nur ein Zimmer zum Leben und Schlafen haben, die Zinkwanne, die er als Luxus beschreibt, in der alle sechs Familienmitglieder in lau-warmen Wasser einmal wöchentlich baden, natürlich alle in derselben Brühe. Um das karge Leben ein wenig aufzubessern, verdienen sich die Hirten mit Geiselnahmen Geld dazu, bzw. sie verstecken Geiseln und gesuchte Kriminelle in Ställen in den Ber-gen für die Mafia. Die Geiseln reden sie schlicht mit Schwein an. Manche dieser Geiseln leben über Jahre mit den Hirten, weil die Verwandten nicht zahlen wollen. Manche dürfen mit ins Dorf kommen, gehen mit den Geiselnehmern wandern, völlig traumatisiert sind sie nicht in der Lage, abzuhauen. Manch einer kommt nach Jahren zu einem Freundschaftsbesuch zurück.

Die drei Jungen möchten mehr vom Leben, das Haus der Eltern ausschachten, darin stehen können, anbauen, ein eigenes Zimmer besitzen und das ein oder andere nützliche Ding anschaffen, wie eine Zinkwanne. Aber das Wichtigste, sie wollen heraus aus diesem Leben und verstehen, dass nur Bildung zählen kann. Sie sind fleißig, wissbegierig. Aber die Schule kostet Geld, das ihre Eltern nicht haben. Der Chef der Ndrangheta gibt ihnen die Möglichkeit des Geldverdienens mit kleinen Jobs, bis hin zu Mord. Alle im Dorf sind vom Don abhängig, wer sich gegen ihn stellt, wird vom Blei durch-siebt, wie Lucianos Vater, den er nie kennenlernte. Wer hier lebt, stirbt aus Armut o-der im Kugelhagel, so berichtet der Erzähler. Irgendwann machen die Jungen ihre ei-genen Geschäfte, sie sind schwarze Seelen geworden. Sie studieren in Milano und steigen ins internationale Drogengeschäft ein, legen sich mit den ganz Großen an. Und sie mogeln sich durch die Justiz.

»Die Übereinkunft sah für mich keine Haftstrafe vor.«

Fasziniert, fast voyeuristisch, zieht der Autor von der ersten Seite an den Leser in die Geschichte hinein, in das Dorf Africo, in die Welt der Berge, in die Welt des Dons. Ein Milieu aus Angst, in der Kriminalität zum normalen Leben gehört, wenn man überleben will. Große Erzählkunst, mit der der Autor berichtet, nicht wertet. Man ist er-staunt über das einfache Leben der Hirten und über ihre Dreistigkeit, mit der sie Entführungsopfer wie die Schweine halten. Die drei Jungen wollen mehr vom Leben. Sie wachsen in einer Umgebung von Unrecht und Gewalt auf, wollen dies Leben hinter sich lassen, studieren. Doch wie soll man das Studium finanzieren? Die Kette der Ge-walt schließt sich und irgendwann gibt es keine Retour, sie Sitzen im Drogengeschäft. Doch die Obrigkeit schießt zurück.
Der Leser erfährt, die Jungen wollten mit der Tradition brechen, feine Leute werden, Juristen, Mediziner. Doch wie kann man aus einem Kreis ausbrechen, wenn man längst Teil des Kettengliedes ist? Und ewig lockt das große Geld.

»Ein gewisses Milieu ertrüge es nicht, dass es im Restaurant, im Stadion, bei Konzerten, überall, an zweiter Stelle kam, nach den arroganten und unwissenden Politikern und sogar hinter den stinkenden Bauern und Hirten, die mit Straftaten reich gewor-den waren und mit den ersten wetteiferten. Die sogenannten gebildeten Klassen, die vor Moral trieften, gemeinsam mit politischen Kreisen, die auf kürzestem Weg zur Macht gelangen wollten, wären bereit, zum Angriff überzugehen.«

Dieser Roman ist ein Stück Italien, ein Einblick in die italienische Gesellschaftsordnung. Und sicherlich ist ein Teil der Geschichte von Gioacchino Criaco. Man fragt sich beim Lesen, was ist wahr, was Fiktion? Ist dies in großen Teilen die Geschichte seines Bruders? Letztendlich ist es egal, denn dies ist trotz aller Fiktion die Geschichte der Ndrangheta. Ein hervorragendes Buch, um die schwarze Seele Italiens zu verstehen, spannend geschrieben bis zur letzten Seite. Die Sprache ist nüchtern, sachlich, liest sich wie ein Tatsachenbericht, sicher mit Absicht so gewählt. Der Autor will nichts entschuldigen, sich nicht rechtfertigen. Vielleicht möchte er erklären, die Strukturen einer Parallelgesellschaft.

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