Rezension zu "Ein pflichtbewusster Mörder" von Giorgio Scerbanenco
Ein Häufchen Elend hockt vor Duca Lamerti auf dem Stuhl im Hauptkommissariat in Mailand. Amanzi Berzaghi war schon öfter bei der Polizei. Nicht als Zeuge oder gar als Beschuldigter, sondern als besorgter Vater, der seine Tochter vermisst. Carrua, Lambertis Vorgesetzter, der ihm hilfreich unter die Arme gegriffen hat als man ihm die Approbation entzog, Carrua, der Ermittler, der Lamberti zu seinem Assistenten machte, damit Lamberti nicht dort landet, wo man Gestrandete häufig findet, dieser Carrua schanzt ihm nun einen Fall zu, den er selbst nicht bearbeiten kann und will.
Donatella Berzaghi wurde aus der väterlichen Wohnung entführt. Und nun sitzt ihr Papa bei Lamberti und erzählt zum zigsten Mal, was vor Monaten geschehen ist.
Seine Tochter ist eine echte Schönheit. Sehr auffallend. Nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Körpergröße und ihres Gewichtes. Sie misst knapp zwei Meter und wiegt fast zwei Zentner. Die Männer pfeifen ihr hinterher. Und sie lächelt freundlich, zuvorkommend, ja fordernd zurück. Donatella ist 28 Jahre alt, im Kopf ist sie allerdings im Grundschulalter. Ihr alleinerziehender Vater kümmert sich rührend um sein Töchterchen. Jede Arbeitspause geht er nach Hause, um nach ihr zu sehen. Er versteckt sie nicht daheim, er beschützt sie vor der Welt da draußen. Und somit für sich selbst. Einziger Trost ist die Bar gegenüber. Dort klagt er sein Leid dem Barbesitzer. Erzählt wie er seine wunderschöne Donatella in ihrem goldenen Käfig ein Bett auf Daunen gebaut hat. So dass das Vögelchen nicht auszufliegen versucht.
Doch nun ist es doch passiert. Irgendwo im Rotlichtmilieu ist untergetaucht. Das findet Lamberti in gewohnter – und absolut nicht regelkonformen – Art und Weise heraus. Nur wo? Wie kann er sie auffinden? Er wird sie finden, das steht fest. Doch das Ergebnis haut ihn wie den Leser um: Sie wurde verbrannt. Bei lebendigem Leibe. Auf der Straße nach Lodi. In einem Laubhaufen. Das muss man erstmal verkraften! Als Ermittler, aber auch vor allem als hingebungsvoller, sich aufopfernder Papa. Die Täter zu finden ähnelt der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch Lamberti schnüffelt unentwegt weiter. Wenn er wüsste, dass ein Anderer schon viel weiter ist. Und vor allem bereit ist noch weiter zu gehen…
Abschluss der Romanreihe um den ungewöhnlichen Ermittler mit medizinischem Background Duca Lamberti. Nur vier Romane reichen aus, um dem Genre Krimi in Italien die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdient. Lamberti lamentiert nicht, er handelt. Die Approbation ist weg, bene. Wenn die Gerechtigkeit nicht nur eine Phrase ist, wird sie siegen und ihm den rechten Pfad weisen. Doch was wird er tun? Giorgio Scerbanenco legt seinem Helden diese Fragen in den Mund. Er muss es nicht laut aussprechen. Man fühlt wie es in ihm arbeitet. Und man gönnt ihm den ihm zustehenden Lohn.