„Ich möchte meinen Herzschlag behalten. Ich möchte ihn für mich selbst haben, und ich will ihn selbst tragen und möchte nicht nur als Schatten im Körper eines anderen existieren, in der Erinnerung eines anderen” (S.35).
Der 60jährigen Nahid bleibt nicht viel. Nur die traurige Gewissheit, dass sie bald sterben wird. Unheilbar an Krebs. Ihr Leben war und ist geprägt von Verlusterfahrungen. Vor 40 Jahren floh sie mit ihrem vor kurzem verstorbenen Mann Masood und ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter Aram aus dem Iran nach Schweden. Ließ ihre Heimat, ihre Mutter und Familie zurück, verlor den Glauben an die iranische Revolution 1979, in dessen Zuge bei einer Demonstration ihre jüngste Schwester spurlos verschwunden ist. Und Nahid verlor auch das Vertrauen in das Leben, in sich selbst, in die Liebe und in ihre Mitmenschen.
Konfrontiert mit dem nahenden Tod, lässt die Ich-Erzählerin schonungslos ehrlich in Vorwärts- und Rückwärtsblenden ihr Leben Revue passieren. Oft unfähig zur realen liebevollen und empathischen Kommunikation auf Augenhöhe, erzählt Nahid ihrer Tochter in Gedanken von ihren Ängsten, ihrer unstillbaren Lebenssehnsucht, von den schmerzlichen Fluchterfahrungen, dem Leben im Exil sowie der Aufgabe ihrer Ideale, Träume und der Hoffnung auf wahrhafte Freiheit. Sie berichtet von häuslicher Gewalt, den grauenhaften Erlebnissen während der iranischen Revolution, ihren nagenden Zweifeln an der Mutterrolle und ihrer unfassbaren Einsamkeit.
Eine Sympathieträgerin ist Nahid nicht. Aufgrund ihrer leidvollen Erfahrungen hat sie sich zu einer ambivalenten, zerrissenen, bindungsunfähigen und narzisstischen Persönlichkeit entwickelt, die ihre eigenen unerfüllten Wünsche auf ihre Tochter projiziert und zunächst kaum Zugang zu ihren Gefühlen findet. Schreit dadurch im übertragenen Sinn doch eigentlich nur stumm um Hilfe und Zuwendung. Nur peu á peu öffnet sich Nahid im Romanverlauf ihren Gefühlen, lässt Anzeichen von Demut erkennen. Können Mutter und Tochter wieder zueinander finden? Sich „einander bleiben", wenn alles verloren scheint?
Der Roman von Golnaz Hashemzadeh, die wie ihre Protagonistin aus dem Iran geflohen und in Schweden aufgewachsen ist, liest sich wie im Rausch. Er besticht durch eine schnörkel- und erbarmungslose Sprache sowie eine gekonnte psychologische Figurenzeichnung mit allen Facetten des menschlichen Seins im Rahmen der geschilderten Erfahrungen. Das Lesen schmerzt ungemein, bewegt, verstört an vielen Stellen und wühlt innerlich auf. Aber auch im positiven Sinn. Für mich ein Lesehighlight und eine unbedingte Empfehlung.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Sigrid C. Engeler.