Wer diesen Roman in die Hand nimmt, wird schon auf den ersten Zeilen feststellen, dass ihn eine Art literarischer Kampfhund anfällt, sich wüst knurrend, sabbernd, geifernd und mit reichlich spitzen Zähnen im mächtigen Gebiss festbeißt und nicht wieder loslässt - es sei denn, man legt das Buch beiseite. Was man unbedingt vermeiden sollte, denn hinter einer Nebelwand wüsten Gepöbels schimmert ein kleiner Schatz.
Es ist die Geschichte einer Rückkehr in die Heimat aus einer Art Exil. Da sich beides in jenem Landstrich befindet, der mit ziemlich zerbeulten und verrosteten Namen »Ex-Jugoslawien« bezeichnet wird, ist es selbstverständlich kompliziert; und hierzulande wahrscheinlich nicht gerade mit Sachwissen überfrachtet.
Einige Kenntnisse über die Nachwehen des Bürgerkrieges, der sich dem Staatszerfall anschloss, und die aufgeheizte politische Situation der Gegenwart erhöhen den Lesegenuss, denn das alles hinterlässt Echos und macht viele Andeutungen verständlich. Notwendig ist das nicht, umgekehrt erhält der unbedarfte Leser eine Art Crash-Kurs über das, was das komplizierte Durcheinander im Alltag anrichtet.
Autor Goran Vojnović hat in seinem Roman »18 Kilometer bis Ljubljana« die Rückkehr seines Helden auf komische, oft geradezu groteske Weise inszeniert. Eigentlich ist es nämlich eine Flucht, denn in #Bosnien hat sich Marko in die falsche Frau (Muslimin) verliebt und mit den falschen Leuten angelegt, die ihn zwar nicht umbringen, aber via Beziehungen von der Polizei verfolgen lassen.
Zuhause wartet ein schwer erkrankter Vater mit seiner Frau, deren Ehe eine Art wechselseitiger Belagerungszustand ist; die ehemaligen Freunde von Marko sind ihm fremd geworden, was Vojnović mit Genuss vor dem Leser ausbreitet. Und in allem rumort die Historie, von der sich Marko eigentlich freimachen will, was ihm jedoch nicht recht gelingt. Der Roman aber, der ist rundum gelungen.
Goran Vojnović
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Goran Vojnović
18 Kilometer bis Ljubljana
Tschefuren raus!
Unter dem Feigenbaum
Vaters Land
Neue Rezensionen zu Goran Vojnović
Der Ich-Erzähler Marko Dordic erzählt von seinem Versuch, in seiner alten Heimat Slowenien wieder Fuß zu fassen. Zurück aus Bosnien, wo er sonst eine Haftstrafe hätte antreten müssen, bei seinen Eltern in Fuzine, ist er sich der quälenden Perspektivlosigkeit junger Männer willkürlich ausgesetzt. Nebenbei ist sein Vater an einem Tumor erkrankt. Dieser weigert sich aber strikt, diese Diagnose anzunehmen. Marcos Eltern stammten aus Bosnien, sind somit eigentlich „Ausländer“ in Slowenien, Tschefuren. An und für sich ein Schimpfwort – und es kommt im Roman sehr oft oft.
In den Jahren, und auch durch den Balkankrieg, hat sich vieles geändert. Auch in Fuzine steht vieles auf Veränderung – nicht nur der Ort an sich, auch die Menschen haben sich verändert.
Marko erzählt von seinem Aufenthalt in Bosnien bei seinen Großeltern. Und von seiner ersten großen Liebe Alma, eine Muslimin. Alles birgt im Hintergrund Konfliktmaterial – strenger Katholizismus versus Islam – die Wunden des Krieges schwären immer noch nach.
Seine Protagonist:Innen wählte der Autor mit viel Bedacht. Sie klingen authentisch, die Dialoge sind so, wie sie sein sollten und triefen von purer Realität. Familienzusammenhalt und die Konflikte des Erwachsenwerdens sowie fehlende Zukunftsperspektiven, Gefängnisaufenthalte, Drogenkonsum, prägen die Schreibart.
Für meinen Geschmack schießt der Autor dabei übers Ziel hinaus. Die Sprache ist oftmals äußerst derb, wohl so, wie sich Zwanzigjährige wohl unterhalten. Ein Umstand, mit dem ich eigentlich gar nicht umgehen kann. Mehr als einmal wollte ich deswegen das Buch schon abbrechen.
Und dennoch will man mehr von der Geschichte wissen – Vojnovic hat meines Erachtens hier einen sehr guten Gesellschaftsroman verfasst, der sich einer gewissen Tiefe nicht entziehen kann. Realistisch und authentisch bis in die verbalen Entgleisungen hinein. Aber damit muss man Leser:In erst mal klar kommen. Dennoch schafft er es, Wut, Trauer, Hass und Liebe, Fürsorge über die Zeilen zu vermitteln.
Slowenien, das ist die Kultband Laibach, das ist die Grotte von Postojna, das sind Bled & Bohinj, Edvard Kardelj und die Lippizaner. Aber zu Slowenien gehören auch die bosnischen Gastarbeiter(kinder), die eben keine ethnischen Slowenen sind und die oft am Rande der Gesellschaft stehen & von der Mehrheitsgesellschaft abwertend „Tschefuren“ (Kanaken oder Tschuschen) genannt werden.
In „18 Kilometer bis Ljubljana“ erzählt der Ich-Erzähler Marko Đorđić seine Geschichte. Der in Slowenien geborene Sohn bosnisch – serbischer Gastarbeiter lebt zunächst im slowenischen „Ghetto“ Fužine (bei Ljubljana), um dann bei Verwandten in Bosnien zehn Jahre lang unterzutauchen. Bei seiner Rückkehr nach Slowenien muss er feststellen, dass sein Vater an Krebs erkrankt ist und dass einer seiner besten Freunde (ein Ex-Junkie) Wahhabit geworden ist. Marko durchlebt eine existentielle Krise, der Roman ist insgesamt auch eine Nationalismus – Kritik (der Protagonist nennt etwa Albaner ironisch „Schippis“, Kroaten sind „Ustascha“.) Political Correctness darf man hier nicht erwarten (sehr erfrischend), und manche Passagen wirken auf manche Leser und Leserinnen eventuell misogyn. Basketball spielt eine große Rolle. Es wird viel geflucht, was dazu führen kann, dass man beim Lesen nach einer Zeit mental „mit den Augen rollt.“ Andererseits wirkt das Ganze immer authentisch, man glaubt wirklich, dass hier ein 28jähriger von seiner wilden Jugend berichtet. Oft ist das Ganze brüllend komisch („Er sah aus, als würde er auf Skiern springen, der Arsch.“), stellenweise aber auch anrührend und weise. Als Markos Großmutter etwa hört, dass in Fužine ein Seniorenheim gebaut wurde, graut ihr vor dem Ort, „wo sie die Alten in Heime stecken wie in ein Gefängnis.“ Marko stellt weiters fest: „Die Altersheime sind für sie der Beweis, dass die Partisanen verloren haben und dass die Menschen nicht mehr zählen, nur das Geld zählt noch.“
Bei der Lektüre des Romans kommt man ins Grübeln, man fragt sich, ob Mitteleuropa wirklich so fortschrittlich ist („Das Festnetz ist bei den Tschefuren ein Familienmitglied, wie Hunde und Katzen bei den Slowenen.“), wenn man vom wirtschaftlichen Erfolg einmal absieht. Die Geschichte gleitet aber an keiner Stelle ins Weinerliche ab. Die große Stärke des Romans ist die Figurenzeichnung, und die Geschichte ist mehr als eine „Ex-Jugo-Ballade“, ich denke, dass die story Gastarbeiterkinder oder auch Migrantenkinder allgemein berühren wird. Die deutsche Übersetzung ist stellenweise zu wörtlich (man sieht nicht etwas „aus dem Flugzeug“, sondern schon von Weitem, etwas ist glasklar. Es heisst „alles der gleiche Scheiß“ und nicht „derselbe Schwanz“(Pos.24), da im Deutschen im Gegensatz zu den meisten slawischen Sprachen die meisten Flüche eben nicht genital konnotiert sind. Es gibt im Text Austriazismen wie „Häfen“ für den Knast, das Gefängnis und „Tschick“ für die Kippe bzw. den Zigarettenstummel, ein Turzismus wird nicht ins Deutsche übersetzt, warum eigentlich, wenn man als Leser weiß, dass ein Bettlaken gemeint ist, wirkt der Text meines Erachtens etwas anders (Ich habe vorab das E-book gelesen).
Bei „18 Kilometer bis Ljubljana“ handelt es sich wohl um eine Fortsetzung. Ich habe Lust bekommen, auch den ersten Band rund um das Kind von Binnenmigranten in Slowenien („Tschefuren raus!“) zu lesen.
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