„Doppelleben“ von Gottfried Benn ist eine faszinierende Mischung aus Autobiografie und intellektueller Selbstreflexion, die mich gleichermaßen beeindruckt und verwirrt hat. Stell dir vor, du sitzt mit einem alten Freund zusammen, der dir sein Leben erzählt – nicht chronologisch und manchmal nicht einmal zusammenhängend, aber immer tiefgründig und voller Einsichten. So in etwa fühlt sich dieses Buch an.
Benn, ein Dichter und Arzt, der während der turbulenten Zeiten des 20. Jahrhunderts lebte, teilt in „Doppelleben“ zwei seiner wichtigsten Schriften: „Lebensweg eines Intellektualisten“ und „Doppelleben“. Der erste Teil stammt aus dem Jahr 1934 und der zweite Teil wurde 1950 geschrieben. Beide Texte sind beeindruckende Zeugnisse seiner Selbstreflexion und seines künstlerischen Weges.
Im „Lebensweg eines Intellektualisten“ lernst du Benn von seiner jovialen Seite kennen. Er beginnt mit Anekdoten über seine Familie, seine Bildung und seine Erfahrungen als Militärarzt. Besonders spannend fand ich seine Erörterungen über seine expressionistische Schaffensphase. Hier tauchen Figuren wie Pameelen und Rönne auf, die das moderne, gebrochene Menschenbild repräsentieren. Stell dir vor, du stehst mitten im expressionistischen Drama und fragst dich: „Was zur Hölle bedeutet das alles?“ Genau diese Frage stellt Benn und beantwortet sie auf eine Art und Weise, die gleichzeitig erhellend und verwirrend ist.
Der zweite Teil, „Doppelleben“, geht tiefer in Benns Beziehung zum Nationalsozialismus und seine Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, ein. Er schildert seine wenigen, unglücklichen Begegnungen mit den Nazis, seine öffentliche Anfeindung und den Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer. Interessant ist auch der Briefwechsel mit Klaus Mann, der Benns Position gegenüber den Emigranten kritisch hinterfragt. Benn verteidigt seine Entscheidung mit einer Mischung aus Rationalität und fatalistischer Akzeptanz, was mich manchmal ins Grübeln brachte.
Was „Doppelleben“ wirklich lesenswert macht, ist Benns Fähigkeit, komplexe Gedanken klar und dennoch poetisch auszudrücken. Seine kunsttheoretischen Erörterungen sind faszinierend, wenn auch manchmal schwer zugänglich. Er spricht über die Destruktion als schöpferische Methode und erhebt die Kunst zu einem anthropologischen Prinzip. Dabei bleibt er stets ein Außenseiter, ein Intellektueller, der sich nie ganz der Realität oder dem Alltag verpflichtet fühlt.
Ein kleiner humoristischer Seitenhieb sei mir gestattet: Wenn du dich je gefragt hast, wie es sich anfühlt, in einem expressionistischen Drama zu leben, dann gibt dir Benns „Doppelleben“ eine ziemlich gute Vorstellung davon. Es ist, als würde man in einem Nebel aus Metaphern und Symbolen wandeln, immer auf der Suche nach dem nächsten klaren Gedanken.
Insgesamt ist „Doppelleben“ ein Buch, das dich fordert, aber auch reich belohnt. Es ist keine leichte Lektüre, aber wenn du bereit bist, dich auf Benns Welt einzulassen, wirst du mit tiefen Einsichten und einem besseren Verständnis für einen der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts belohnt.