Cover des Buches FINSTERE NACHT (ISBN: 9783958350878)
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Rezension zu FINSTERE NACHT von Greg F. Gifune

"Nacht. Tiefe Nacht. Finstere Nacht." - Subtiler Horror

von chuma vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Eine Geschichte voller subtilem Horror, spannend aber auch stellenweise verwirrend. Unterm Strich aber durchaus fesselnd.

Rezension

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chumavor 8 Jahren

Es sollte ein entspannter Ausflug in die Wälder Maines für Seth, seinen Bruder Raymond und zwei seiner Freunde werden: Eine gemütliche Hütte, Kaminfeuer, Kartenspielen und Bier. Doch dann taucht die junge Christy desorientiert, halbnackt und blutbeschmiert auf. Das Mädchen verhält sich seltsam, berichtet zögerlich von einer Entführung und Vergewaltigung sowie dem Mord an ihrem Peiniger. Trotz ihrer Panik bleibt den Männern zunächst nichts anderes übrig als Christy zu beruhigen und bei sich einzuquartieren, denn ein Schneesturm macht die Fahrt in den nächstgelegenen Ort und damit auch jeglichen Kontakt zur Polizei unmöglich. Von einer seltsamen Unruhe beherrscht beschließen sie über Nacht abwechselnd Wache zu halten, doch als der nächste Tag anbricht ist Christy verschwunden und mit ihr Raymond. Eine quälende Angst überwältigt Seth und seine Freunde, denn keiner von ihnen kann sich an die letzte Nacht erinnern - nur an eine tiefe Finsternis und noch dunklere Schatten in ihr.


Leseeindruck
"Finstere Nacht" ist im Original bereits im Jahr 2006 (Titel "Deep Night") erschienen, wurde viele Jahre später nun endlich Dank dem LUZIFER-Verlag ins Deutsche übersetzt und so dem Leser hierzulande zugänglich gemacht. Die Inhaltsbeschreibung und auch das gelungene Cover versprechen eine düstere Horrorgeschichte, die anfangs durchaus an Stephen Kings "Duddits - Dreamcatcher" erinnert: Eine Hütte in den Wäldern, vier Männer von der Außenwelt abgeschnitten durch einen Schneesturm und das Böse (hier in Gestalt eines unschuldig wirkenden Mädchens), das Einzug hält. Keine Sorge, das sind auch schon alle Parallelen zu Kings Werk, Gifunes Geschichte ist insgesamt etwas anders angelegt.

Der Leser, der den schnellen und blutigen Horror bevorzugt, wird hier eher enttäuscht sein, denn ganz nach seiner Fasson spielt Gifune auch hier wieder mit dem subtilen, nicht greifbaren Horror. Träume und Visionen sind die bevorzugten Mittel des Autors, den Leser immer wieder in die Irre zu führen, ihn auf eine neue Fährte zu locken, nur um ihn dann erneut fragend innehalten zu lassen. Und so baut sich die Geschichte sehr langsam und teilweise auch sehr undurchsichtig auf. Nicht unbedingt zum Nachteil der Spannungskurve, denn die ist meines Erachtens durchweg rund, aber sicher dennoch nicht jedermanns Sache. Liest man einen Roman Gifunes, so wird man als Leser irgendwie selbst zu einer Figur in der Geschichte, ohne Rettungsseil und doppelten Boden wird man unbemerkt zum Spielball des Autors, durchlebt dieselben Ängste, Verwirrungen und Zweifel wie der Protagonist. Genau das ist es, was mich an Gifunes Werken immer wieder fasziniert.

Der Aufbau ist interessant: Die Geschichte beginnt im Verhörraum einer Polizeistation. Seth sitzt Detective Frank Datalia gegenüber und berichtet von seinen Erlebnissen. Genau wie Frank erfahren wir nun rückblickend, was geschehen ist. Die eigentliche Erzählung wird ebenfalls durch (Kindheits-)Erinnerungen des Protagonisten Seth unterbrochen, die wiederum eng mit Raymond, seinem vier Jahre jüngeren Bruder, gekoppelt sind. Nach und nach entspinnt sich so eine komplexe Geschichte, die sich letztlich als viele Geschichten in einer tarnt.

"Was genau möchten Sie mir denn sagen?" "Alles", sagte der Mann, wobei ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielte, "und nichts."

Übrigens gibt es ein aufschlussreiches Detail, wenn man sich die Einteilung und Benennung der Kapitel genauer anschaut: Alpha und Omega.
Die Symbole für Anfang und Ende, für das Umfassende aber auch für Gott und insbesondere für Christus als den Ersten und Letzten. "Umgangssprachlich bezeichnet „A und O“ das Mindeste, das man von einer Sache wissen muss, um sie vollständig zu erfassen." (Quelle: Wikipedia) Wenn man das Buch gelesen hat, so macht diese Verwendung hier durchaus Sinn und ruft (zumindest bei mir) auch einen kleine Aha-Effekt hervor.

Die Charaktere, allen voran unser Protagonist Seth, aus dessen Sicht die Geschichte geschildert wird, sind gut ausgebaut und interagieren sehr gut miteinander. Wie im wahren Leben, lernen wir sie nach und nach näher kennen, ihre Schwächen, Stärken und Beziehungen zueinander. Der Autor überreizt hier nichts, bleibt in sicheren Gewässern und hält die Figurenanzahl überschaubar. Hier gibt es nichts auszusetzen.

Immer wieder besonders ist Gifunes Schreibstil, obwohl dieser in "Finstere Nacht" nicht ganz so hervorstechend metaphorisch und stellenweise poetisch ist wie beispielsweise in "House of Rain". Dennoch weiß er auch hier zu fesseln und durch die Geschichte zu tragen.

"Es gibt in unserer alltäglichen Welt viele Orte, die für die Verdammten, die Verlorenen und die Hoffnungslosen reserviert sind."

"Schmerzen sind genau wie der Glaube eine Empfindung, die man zwar mitteilen kann, die aber extrem persönlich ist (...)"

Mit der Bewertung dieses Romans habe ich mich dieses Mal etwas schwer getan. Ich kann mich nicht so recht entscheiden, schwanke zwischen 3,5 und 4 Sternen, tendiere aber mehr zu der höheren Bewertung. Gifune hat vieles richtig gemacht, mich aber auch ein wenig zu oft verwirrt, letztlich konnte mich "Finstere Nacht" aber stets fesseln und oft auch überraschen, vor allen Dingen aber zum Nachdenken anregen und so bleibenden Eindruck hinterlassen. Und wenn ein Buch das bei mir auslöst, so ist es eben irgendwie auch besonders.


Fazit
Dies ist eine Geschichte voller subtilem und leisem Horror, die sich langsam und diffizil aufbaut. Nicht alle Fragen werden beantwortet, vieles wird im Dunkeln gelassen aber genau dadurch wird man als Leser zum Reflektieren und Nachdenken aufgefordert. Wer es mag, sich eine Geschichte auf diese Art zu erarbeiten, dabei einen flüssigen und metaphorischen Schreibstil sowie gut ausgearbeitete Charaktere bevorzugt, der sollte definitiv in die "Finstere Nacht" eintauchen. Doch Vorsicht, die Dunkelheit bringt Veränderung und "Unser Verstand ist das Schlachtfeld (...)".
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