Rezension zu "Verschwörung in Sarajevo" von Gregor Mayer
Was wollten die Attentäter von Sarajevo mit ihrer Tat erreichen? Wer waren die jungen Männer, die sich zu einem Anschlag auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand entschlossen? Woher kamen sie, und welche Faktoren beeinflussten ihr Weltbild und ihre politischen Anschauungen? Das sind die Fragen, denen der österreichische Journalist und Balkanexperte Gregor Mayer in seinem schmalen Büchlein über die Attentäter von Sarajevo nachgeht. Gavrilo Princip, der die tödlichen Schüsse auf das Thronfolgerpaar abgab, steht im Mittelpunkt der Darstellung, doch steht er zugleich stellvertretend für die ganze Gruppe der Attentäter und für ein Milieu radikalisierter Schüler und Studenten, die sich dem Kampf gegen die Habsburgermonarchie verschrieben hatten.
Die Geschichte des Attentats von Sarajevo ist schon oft erzählt worden, und auch Mayer gewinnt ihr keine neuen oder originellen Einsichten ab. Wie andere Autoren vor ihm sah er sich mit einem handfesten Quellenproblem konfrontiert. Über die Vorbereitung des Anschlags liegen fast keine Quellen vor, denn Princip und seine Mitstreiter hinterließen kaum Spuren. Brauchbare Quellen über die Verschwörergruppe, ihre politischen Ansichten und Ziele sowie die Vorbereitung des Anschlags stammen fast ausschließlich aus der Zeit nach dem Attentat. Dazu gehören die Ermittlungs- und Prozessunterlagen, aber auch Gesprächsmitschriften, die der Wiener Nervenarzt Martin Pappenheim anfertigte, als er 1916 mehrfach den in der Festung Theresienstadt inhaftierten Princip interviewte.
Über Princip selbst und seine Mitverschwörer sind nur dürftige biographische Angaben bekannt. Mayer zieht diese wenigen Informationen heran und verortet die Jugendlichen zugleich in ihrer Zeit und in ihrem sozialen bzw. politischen Umfeld. Der bosnische Serbe Princip und seine Mitstreiter träumten von einer Vereinigung der südslawischen Völker und von der Verdrängung Österreich-Ungarns aus dem Balkanraum. Bosnien-Herzegowina sollte von der Fremdherrschaft befreit werden. In Gymnasien und Studentenkreisen entstanden Diskussions- und Lesezirkel, in denen sich die jungen Männer zunehmend radikalisierten. Viele drifteten in Untergrund- und Geheimorganisationen ab. Russische Revolutionäre und Terroristen waren für sie ein Vorbild, dem es nachzueifern galt. Schließlich fassten Princip und Co. den Entschluss, zur "Propaganda der Tat" überzugehen und ihre Ziele mit terroristischen Methoden umzusetzen.
Erzherzog Franz Ferdinand wurde als Ziel ausgewählt, weil es hieß, dass er nach der Thronbesteigung Zugeständnisse an die Südslawen der Doppelmonarchie machen und auf diese Weise die Nationalitätenprobleme entschärfen wolle. Das lag nicht im Interesse der Verschwörer. Mit technischer und logistischer Unterstützung des serbischen Militärgeheimdienstes - aber nicht auf dessen Geheiß - bereiteten sie das Attentat vor. Das alles ist hinlänglich bekannt. Mayer betont, dass die Gruppe um Princip letztlich keine genauen Vorstellungen davon hatte, was das Attentat konkret bewirken sollte. Ihr Ziel - die Gründung eines südslawischen Staates - erreichten die Verschwörer allenfalls auf indirektem Wege. Das Attentat führte zum Weltkrieg, zum Zusammenbruch Österreich-Ungarns, zur Bildung des Königreiches Jugoslawien, eines Staates, der allerdings kaum den verschwommenen, idealistischen Vorstellungen der jugendlichen Attentäter von Sarajevo entsprach.
Auch wenn es nichts Neues bietet, ist Mayers Buch eine lesenswerte Ergänzung zu anderen Büchern, die Vorgeschichte und Anlässe des Ersten Weltkrieges behandeln.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im April 2014 bei Amazon gepostet)