Cover des Buches Wicked (ISBN: 9780755331604)
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Rezension zu Wicked von Gregory Maguire

Something WICKED this way comes...

von booksnstories vor 10 Jahren

Rezension

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booksnstoriesvor 10 Jahren
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Es wäre falsch abzustreiten, dass meine Begeisterung für das Musical maßgeblich für die Kaufentscheidung von Maguires Roman war. WICKED war, ist und wird immer eines meiner Lieblingsmusicals sein. Gerade aus diesem Grund ist es mir wichtig, an dieser Stelle deutlich zu machen, dass der Roman ziemlich wenig mit dem Musical gemeinsam hat. Die Protagonisten sind größtenteils identisch, deren Beziehungen zueinander und die Bedeutung, die sie einnehmen, unterscheiden sich jedoch teilweise gravierend. Viele Musical-Fans waren mehr als enttäuscht von dem Roman, daher sei gesagt: Wer den feschen Fiyero mag, dem alle Frauenherzen zufliegen – im Roman ist er eher ein Außenseiter, wird sogar in bester Highschoolmanier verprügelt und ist bestimmt nicht das Objekt irgendeiner weiblichen Begierde. Wer von der wunderbaren Freundschaft zwischen Elphaba und Glinda gerührt ist – sie existiert im Buch so gut wie nicht. Während es im Musical vor dem unvermeidlichen Tod der grünen Hexe einen herzzerreißenden Abschied zwischen den beiden gibt, endet die Freundschaft, die eigentlich kaum mehr als eine Schulbekanntschaft ist, im Roman mit einem Streit aus dem der Autor den Leser mit einem schlichten “…und sie sahen sich nie wieder” verabschiedet. Deprimierend. Grob kann man daher also sagen, alles was man an dem Musical liebt – wizige Dialoge, wahre Freundschaft, ein hoffnungsvolles Ende, dass einen (gottverdammt) zu Tränen rührt und die Erkenntnis, dass Elphaba nur ein Opfer der äußeren Umstände ist – wird man im Roman vergeblich suchen. Dort hat man stattdessen Charaktere, die dem Leser zwar schon so etwas wie Sympathie entlocken, denen der Autor aber einfach keinen glücklichen Moment gönnt. JEder einzelne ist vom Schicksal gebeutelt, dort wird betrogen, daktatorisch unterdrückt, gestorben und gelitten. Gute Laune bekommt man da wirklich nicht.

Ebenso wenig bei Maguires gewöhnungsbedürftigem Schreibstil. Ich möchte von mir behaupten, dass ich mit der englischen Sprache gut zurecht komme, da ich viele englische Romane lese und die meisten Filme und Serien im Original schaue. Aber dieser Roman hat mir wirklich zugesetzt. Ich habe ihn nun zum zweiten Mal gelesen und etliche Sätze oder ganze Passagen mehrere Male wiederholt und weiß teilweise noch immer nicht, was der Autor mir eigentlich sagen will. Da gibt es Wortneuschöpfungen, dort wird einfach mal ein Buchstabe weggelassen. Ähnlich Anstrengendes ist mir bisher nur mit “A Clockwork Orange” untergekommen. Ob diese Dinge auch bei Maguire ein bewusstes Stilelement sind – who knows. Doch nicht nur von der sprachlichen Seite betrachtet, fällt es manchmal schwer dem Romantext zu folgen. Auch inhaltlich gibt es den ein oder anderen Widerspruch oder Dinge, die sich erst am Ende voll und ganz erschließen, ohne eigentlich von großer Bedeutung zu sein. So verstehe ich auch nach mehrmaligem Nachlesen noch immer nicht, wie der Zauberer Elphabas Vater sein kann, wenn er erst nach ihrer Geburt mit dem Ballon nach Oz gelangt. Zwar bemüht sich Maguire im Abschluss der Reihe (“Out of Oz”) mit einem Zeitstrahl für Klarheit zu sorgen, aber für mich steht das Ganze auf sehr wackligen Füßen. Ich rede mir ein, dass die Antwort in irgendeiner Passage verborgen liegt, die ich einfach sprachlich nicht verstanden habe.

Doch nun die Antwort auf die Frage, warum ich dem Buch trotzdem eine so gute Bewertung gebe. Man muss Maguire Tribut für das zollen, was er geschaffen hat. “Der Zauberer von Oz” ist wie keine andere Geschichte im amerikanischen Bewusstsein verankert. Es gehört Mut dazu, sich ein solches Werk zu eigen zu machen. Und an Vorstellungskraft mangelt es Maguire beileibe nicht. Oz ist kein zweites Wunderland. Oz ist ein Ort, an dem es hinter der Fassade an allen Ecken und Enden politisch und gesellschaftlich gährt. Maguire macht aus dem Zauberer einen skrupellosen Despoten, der Minderheiten unterdrückt und gesamte ethnische Gruppen wegen Bodenschätzen aus ihrem Land vertreibt oder gar ermorden lässt. Der religiöse Fanatismus des Vater und das lasterhafte Treiben der Mutter stellen die Weichen für alles, was ihren Kindern Elphaba und Nessarose später widerfährt. So sieht es fast so aus, als hätten die Schwestern gar keine andere Wahl gehabt, als zu den bösen Hexen des Westens und Ostens zu werden. Und dies ist das zentralen Thema des Romans: Was ist die Natur des Bösen und woher kommt es? Was wird uns als böse verkauft, obwohl es im Kern vielleicht sogar gut ist? Dies mag sehr philosophisch erscheinen, aber in Anbetracht dieser Fragestellung ist der Roman einfach brilliant. Wenn Baums “Der Zauberer von Oz” Ausdruck des amerikanischen Bewusstseins ist, so richtet Maguire mit seinem komplexen Bild des Landes Oz und Elphaba als Ausgeburt der “wickedness” ihrer Umgebung die Kritik an die amerikanische Gesellschaft selbst. Und wenn man sich dies einmal vor Augen geführt hat, begreift man auch, was der Roman tatsächlich aussagen soll.
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