Cover des Buches Worte in meiner Hand (ISBN: 9783471351239)
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Rezension zu Worte in meiner Hand von Guinevere Glasfurd

Die "unsichtbare" Liebe des Philosophen

von RosaEmma vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Ein einzigartiger historischer Roman mit großer Ausdruckskraft

Rezension

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RosaEmmavor 9 Jahren
Nach langer Zeit habe ich mal wieder einen historischen Roman gelesen, der mich sehr bewegt hat. Dieses Erstlingswerk der britischen Schriftstellerin Guinevere Glasfurd ist sehr atmosphärisch und von einer sprachlichen Ausdruckskraft, die ihresgleichen sucht. Als Protagonisten hat sich die Autorin zwei Personen ausgesucht, die real existiert haben: Den berühmten französischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes und die holländische Magd Helena Jans van der Strom, seine "unsichtbare" Geliebte und Partnerin, von der aufgrund des Standesunterschiedes niemand wissen durfte. Was den Roman so besonders macht, ist die Gabe von Glasfurd, Hollands Goldenes Zeitalter, das 17. Jahrhundert, so detailgetreu und lebendig zu beschreiben, dass man als Leser das Gefühl hat, sich auf einer Zeitreise zu befinden und mitten im Geschehen zu sein.

Helenas Geschichte


Die Geschichte wird in der Ich-Form erzählt - mit der Stimme der Protagonistin Helena. Glasfurd legt besonderen Wert darauf, dass die zentrale Figur Helena und nicht der berühmte Descartes ist, den jeder bereits kennt.1 Zudem sollen in ihrem Roman keine altertümlichen Klischees reanimiert werden, das heißt, die Autorin hat hier bewusst die stereotypen Figuren der "mutigen Magd" und des "großen Denkers" außen vor gelassen und erzählt uns eine - wenn auch tragische - Geschichte von zwei Menschen, die ihrer Zeit weit voraus waren und dafür einen hohen Preis zahlen mussten. Glasfurd bedient sich dabei einer poetischen Sprache, die eine Klasse für sich ist. Manche Sätze waren einfach so wunderbar konzipiert und so wahrhaftig, dass ich sie mehrfach gelesen habe. Alles in allem ist dieser Roman ein echter Lesegenuß und für mich ein unumgängliches Must Read, dem man sich nicht entziehen kann.

Ein unkonventioneller Gast

Die Geschichte spielt im Amsterdam des Goldenen Zeitalters um 1634, als die Stadt Dreh- und Angelpunkt von Künstlern und Intellektuellen war. Nachdem ihr Vater auf See verschollen ist, muss sich Helena, die aus Leiden stammt, auf Bitten ihrer Mutter eine Stellung als Magd in der großen Stadt suchen, um Geld für die Familie zu verdienen. Über einen Agenten, der Mägde an reiche Familien vermittelt, soll sie eine Arbeit finden, doch niemand will eine Frau beschäftigen, die lesen und schreiben kann. Helena ist entmutigt und verzweifelt, doch dann hat sie Glück: Der Brite, Mr. Sergeant, der in Amsterdam eine Buchhandlung betreibt, stellt sie schließlich ein. Und schon bald wird ihr bis dahin eintöniges Leben völlig auf den Kopf gestellt, denn ihr Arbeitgeber beherbergt einen merkwürdigen Gast: Den aufstrebenden Freigeist und brillanten Denker René Descartes, den sie nur mit Monsieur anreden darf. Descartes ist jedoch zu dieser Zeit noch nicht der angesehene Philosoph, dessen Ausspruch Cogito ergo sum um die Welt geht. Er ist zwar bekannt und eine Persönlichkeit seiner Zeit, aber der Ruhm lässt noch auf sich warten.

Die Welt der Worte

Helena ist fasziniert von diesem Fremden, der den ganzen Tag schreibt, denn die intellektuelle Welt bleibt ihr als Frau verschlossen. Er inspiriert sie, und ihr Ehrgeiz und ihre Neugier sind schnell geweckt. Und auch der scheinbar so vergeistigte Descartes fühlt sich zu Helena hingezogen. Er ist erstaunt und beeindruckt von ihrem Wissensdurst und ihrer schnellen Auffassungsgabe und gewährt ihr schließlich Eintritt in die Welt der Worte. Bisher hatte sich Helena ganz spezielle Worte, die sie sich unbedingt merken und auch schreiben wollte, mit einer alten, in Rote-Bete-Saft getauchten Schreibfeder auf ihre Hand, Arminnenseiten etc. geschrieben, weil sie weder Tinte noch Papier besaß. Doch Descartes, der für seine Zeit eine sehr moderne Einstellung zur Rolle der Frau hat, gewährt ihr Zugang zu allem und entdeckt, dass Helena nicht nur sehr sprachaffin ist, sondern auch exzellent zeichnen kann. Ihre Begeisterung versucht sie auch auf ihre Freundin Betje, die ebenfalls als Magd arbeitet, zu übertragen und bringt ihr mit einer alten Tafel und Kreide Lesen und Schreiben bei.

Gegen den Strom


Descartes sucht immer häufiger Helenas Nähe und bald geschieht das Unvermeidliche: Sie verlieben sich gegen alle Konventionen und trotz des unüberbrückbaren Standesunterschiedes. Als Helenas Arbeitgeber, Mr. Sergeant, verreist, können sie ihre Beziehung unbeschwert leben, wenn auch nur hinter verschlossenen Türen. Doch dann wendet sich das Blatt: Als Helena entdeckt, dass sie schwanger ist und das Kind auf jeden Fall behalten will, erfährt sie die ganze Härte ihrer Zeit. Sie wird entlassen und sogar von ihrer eigenen Mutter verstoßen. Ihre Umgebung ächtet sie, und auch der wichtigste Mann in ihrem Leben ist auf einmal seltsam zurückhaltend. Doch Helena ist fest entschlossen, nicht klein beizugeben, aber die dominierende Männergesellschaft ihrer Zeit macht ihr immer wieder ganz deutlich klar, dass ihr als Frau klare Grenzen gesetzt sind und dass sie für ihr Leben gegen den Strom teuer bezahlen muss.

Wertlose Geschöpfe

Über das Goldene Zeitalter wußte ich vor Lektüre des Buches nicht sehr viel. Dieser Roman hat mir einen wirklich guten Überblick verschafft. Insbesondere die Rolle der Frau in der damaligen Zeit als wertloses, unsichtbares Geschöpf, die nur mit einem Mann an ihrer Seite eine Existenzberechtigung hat, wird von Glasfurd sehr eindringlich dargestellt. Als ihre Protagonistin Helena versucht, ihre Zeichnungen zu verkaufen, sagt man ihr unumwunden, dass man ihre Werke nur verkaufen kann, wenn sie ihren Namen entfernt, denn niemand kauft eine Zeichnung, die von einer Frau stammt.

Als Leser merkt man schnell, mit wie viel Liebe zum Detail die Autorin ihren Figuren und ihrer Zeit Leben eingehaucht hat. Und dies macht das Buch in meinen Augen auch zu einer so einzigartigen Lektüre.
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