Cover des Buches Madame Bovary (ISBN: 9783866470439)
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Rezension zu Madame Bovary von Gustave Flaubert

Ach, Emma ...

von Farbwirbel vor 8 Jahren

Rezension

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Farbwirbelvor 8 Jahren

Im Jahr 1879 wird in Frankreich der Roman „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert veröffentlicht. Kurz darauf wird er verboten und zensiert... Flaubert sprach ein Thema an, welches für damalige Verhältnisse dermaßen frivol und unchristlich war, dass es verpönt wurde. Doch warum geht es?

Zuerst einmal geht es um Charles Bovary, der mehr oder weniger ambitioniert Arzt wird und sich in einem kleinen Städtchen niederlässt. Eines Tages wird er aufgrund eines Beinbruchs zu einem Gut gerufen. Der Gutsherr wird von Charles gepflegt und dieser wiederum lernt seine Tochter Emma kennen. Wie der Name der bekannten Protagonistin schon verrät: die beiden heiraten. Charles und Emma sind zu diesem Zeitpunkt beide selig. Sie ziehen in ein anderes französisches Dorf um, welches in der Nähe Rouens liegt.

Charles, der etwas einfältig wirkt, realisiert nicht, dass Emma sich von ihm löst. Sie verlangt mehr vom Leben, fühlt sich erdrückt von der Einfältigkeit ihres Lebens und sucht vor allem die große, leidenschaftliche Liebe. Ihr Herz ist nie gesättigt. Ihre Hände fangen dauernd etwas neues an. Ihre Gedanken scheinen ein endloser Strudel von Begehren und Wünschen.

Die Liebe, glaubte sie, müsse ganz plötzlich kommen, mit feurigen Blitzen und Donnerschlägen – wie ein Himmelsorkan, der über das Leben hereinbricht, es aufwühlt, den eigenen Willen wie Blätter mit sich fortreißt und das ganze Herz in den Abgrund weht. - S. 129

Ganz nebenbei missachtet Emma die finanziellen Grenzen ihres Hauses und gibt sich dem Luxus und der Mode hin. Sie kauft vieles für den einmaligen Gebrauch, lässt sich Dinge anfertigen, weil sie leicht abgetragen wirken.

Sie lernt Léon kennen, der sich augenblicklich in sie verliebt. Die beiden trauen sich jedoch nicht, eine Affäre zu beginnen, geschweige denn ihre Gefühle zu offenbaren. Léon zieht um – die Chance verpasst? Rodolphe, ein gut situierter Charmeur – heute würden wir wohl Womenizer sagen – zieht in die Nähe Emmas und bezirzt sie inniglich.

Charles ist blind vor Liebe zu Emma und bemerkt keine ihrer Eskapaden. Er sieht ihre Verschwendungssucht genauso wenig, wie ihre Liebe zu anderen Männern... Ein Tölpel, ein Einfältiger, ein Ausgenutzter.

„Was du dir manchmal in den Kopf setzt! Ich war heute in Barfeuchères. Nun gut! Madame Liégeard hat mir versichert, daß ihre drei Töchter, die in der Miséricorde sind, Stunden für fünfzig Sous pro Sitzung erhalten, und dazu bei einer bekannten Lehrerin!“ Sie zuckte mit den Schultern und öffnete das Klavier nicht wieder. Aber wenn sie daran vorbeiging, seufzte sie (wenn Bovary in der Nähe war): „Ach! Mein armes Klavier!“ Und wenn sie besucht wurde, dann versäumte sie nicht, einen wissen zu lassen, daß sie die Musik aufgegeben habe und im Augenblick nicht wieder damit beginnen könne, aus zwingenden Gründen. Man bedauerte sie. Das war schade! Sie, die so ein schönes Talent hatte! Man redete sogar mit Bovary darüber. Man machte ihm Vorwürfe […]. - S. 315

Doch auch Emma wird einem in diesem Roman nicht sympathisch. Gleichwohl sind nur wenige Dorfbewohner auf Anhieb sympathisch... Dies liegt womöglich an der intensiven auktorialen Erzählweise. Flaubert beleuchtet die Charaktere von allen Seiten, was diese komplexer erscheinen lässt. Gerade Emma ist aber kaum als Identifikationsfigur wahrzunehmen. Sie stieß mich ab.

Es entwickelten sich durch die verschiedenen Gespräche aber auch sehr amüsante Passagen:

„Es ist wie in der Bibel; dort gibt es... Sie wissen schon... mehr als eine reizvolle Stelle... Dinge, die wirklich... schlüpfrig sind!“ Und als Monsieur Bournisien eine unwillige Bewegung machte: „Oh, Sie werden doch zugeben, daß das kein Buch ist, das man einem jungen Mädchen in die Hand gibt, und ich wäre sehr ärgerlich, wenn Anthalie...“

„Aber es sind die Protestanten, und nicht wir, die die Lektüre der Bibel empfehlen“, rief der andere ungeduldig. - S. 266

Der Roman ist in drei Bücher eingeteilt, diese wiederum in Kapitel. Die wörtliche Rede irritiert teilweise, da sie nicht in der gewöhnten Schreibung gebraucht wird.

Ich persönlich hatte bis zu der Hochzeit zwischen Charles und Emma einen lockeren Lesefluss, dann aber musste ich ca. 80 Seiten überbrücken, um wieder Fahrt aufnehmen zu können. Diese Durststrecke war parallel zu Emmas Langeweile in der neuen Umgebung und ist somit vermutlich vom Autor so angelegt. Für mich war es streckenweise etwas ermüdend.

Zudem fiel mir auf, dass ich die detaillierte Schreibweise Flauberts nicht so schätzen konnte wie Austens oder Brontës. Tatsächlich ist das Buch vor allem aufgrund der historischen Brisanz interessant und man erkennt einmal mehr, in welch aufgeschlossenen Verhältnissen wir jetzt leben dürfen. Doch auch den Mut zu haben, eine anstrengende, nervige und selbstverliebte Protagonistin zu erdenken, macht den Reiz dieses Buchs aus.

Nichts lohnte im Übrigen die Mühe, danach zu suchen; alles trog! Jedes Lächeln verbarg ein Gähnen der Langeweile, jede Freude einen Fluch, jedes Vergnügen seinen Ekel, und die besten Küsse hinterließen auf den Lippen nur die unstillbare Begierde nach einer höheren Wollust. - S. 324

Ich für meinen Teil hätte doch mehr von dem Roman erwartet, als er am Ende ablieferte. Dennoch empfand ich es als ein angenehmes Lesen und gerade die Charakterkomplexität begeisterte mich.


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