Guy Gavriel Kay "Im Schatten des Himmels"
"Jede einzelne Geschichte trägt viele weitere in sich, im Vorbeigehen vermerkt, angedeutet, gänzlich übersehen. Jeder Lebensweg kennt Gabelungen, manche sind wichtig (wenn auch nur für eine Einzelperson), und jede einzelne dieser Gabelungen steht für eine andere Geschichte."
Guy Gavriel Kay liefert uns mit seinem Roman "Im Schatten des Himmels" historical fiction, die von Chinas Tang-Dynastie inspiriert wurde. Übersetzt wurde das Ganze aus dem Englischen von Birgit Maria Pfaffinger und Ulrike Brauns.
Im Zentrum der Geschichte steht der Kriegermönch Shen Tai. Nach dem Tod seines Vaters, dem geschätzten General Shen Gao, muss Tai eine zweijährige Trauerzeit einhalten. Normalerweise muss diese zu Hause im Kreis der Familie verbracht werden, doch Tai bat um die Erlaubnis diese, in Gedenken an seinen Vater, in Kuala Nor, dem Schlachtfeld am See in den Bergen, zu verbringen und die Toten dieser Schlacht zu beerdigen, damit die Geister ihren Frieden finden. Und zwar die Toten beider Seiten, denn auf diesem Schlachtfeld ist nicht zu unterscheiden wer seine eigenen Leute sind und wer Tagure ist. Aus Dankbarkeit erhält er von der Jadeprinzessin der Taguren zweihundertfünfzig der erlesenen und seltenen sardianischen Pferde. Dieses Geschenk macht Tai von einer Sekunde zur anderen zu einem der mächtigsten Männer in Kitai. Was bedeutet, dass er am kaiserlichen Hof nun jemand ist. Und ehe Tai es sich versieht, ist er inmitten von Intrigen gefangen.
"Wir verabschieden uns von Volksglauben und Legenden, wenn die Welt der Erwachsenen unser Leben für sich beansprucht."
"Im Schatten des Himmels" ist für mich ein solider Roman in einem wirklich tollen Setting. Kay hat definitiv geschafft, dass ich mich beim Lesen im Reich der Mitte wiederfinde, was seinen großartigen Beschreibungen, der speziellen Prosa und dem Touch altem Volksglaubens, die die asiatische Mentalität gut rüberbringen, zu verdanken ist. Auch sprachlich konnte Kay mich überzeugen. So finden sich sehr viele wunderschöne Formulierungen im ganzen Buch, die ich oft auch zwei-, dreimal gelesen habe, um sie mir auf der Zunge zergehen zu lassen. Zu den Charakteren muss ich sagen, dass ich viele von ihnen ganz gern mochte. Allerdings hat Kay es im Verlauf der Geschichte nicht geschafft, dass ich mich ihnen verbunden fühle. Dass ich mit ihnen mitfieber, hoffe und leide. Hierfür fehlte mir einfach die Nähe, die ich durch die von Kay geschaffene Distanz nicht aufbauen konnte.
Was mir an dem Roman neben dem Setting auch sehr gefallen hat, war das Machtgefüge, die Intrigen, mit ihren kunstvollen Konversationen. Der Roman ist geprägt von politischem Kalkül, Ehre, Loyalität, Verrat und Liebe. Auch mochte ich die Passagen, in denen ein wenig auf den alten chinesischen Volksglauben eingegangen wird: die Geister der Toten, die Fuchsgeister und die Schamanen der Steppe. Doch auch hier hätte ich mir etwas mehr gewünscht. So gab es ziemlich zu Beginn eine Szene mit den Geistern des Schlachtfeldes, die mir sehr gefallen hat und mich hat hoffen lassen, dass das Ganze eine größere Bewandnis hat, ebenso der Fuchsgeist. Doch leider habe ich da vergebens gehofft. Allerdings hat es der Autor definitiv geschafft mich am Ende zu überraschen, einige Dinge, die sich zum Ende ereigneten, hätte ich so nicht erwartet.
Abschließend kann ich sagen, dass es ein wirklich gutes uns solides Buch ist, dass mit seinem asiatischen Setting, politischer Raffinesse und höfischen Intrigen punktet und mich auch durchaus gut unterhalten hat. Doch emotional berührt hat mich Guy Gavriel nicht und das macht halt den Unterschied zwischen einem 4 Sternebuch und einem 5 Sternebuch aus.