Cover des Buches Ein Leben (ISBN: 9783866481947)
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Rezension zu Ein Leben von Guy Maupassant

Ein wahres literarisches "trouvaille" - ein Kleinod!

von SigiLovesBooks vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Ein sehr gut lesbares literarisches "trouvaille" (Kleinod) in wunderschöner Form (mare-Verlag, 2015) - Ein zeitloser Klassiker, lesen!

Rezension

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SigiLovesBooksvor 9 Jahren
Der französische Klassiker des berühmten Schriftstellers Guy de Maupassant erschien erstmals 1883 in Paris (Une vie ou L'humble vérité), wobei dieser Originaltitel in der Neuübersetzung ins Deutsche von Cornelia Hasting und mit einem aufschlussreichen Nachwort von Julian Barnes versehen, in einer wunderschönen Buchgestaltung (Leinen in hellem bordeaux-rot mit einer Bleistiftzeichnung, spazierende Dame mit Schirm, in einem crèmefarbenen, edlen Schuber) im mare-Verlag, Hamburg, 2015 eine exquisite Wiederauflage fand.So ist es bereits eine Freude, diesen Klassiker in Händen zu halten, noch schöner jedoch ist es, die ebenfalls aus edlem Papier bestehenden Seiten umzublättern und den Roman zu lesen!
In "Ein Leben" spielt Jeanne le Perthuis des Vauds, die Tochter eines Barons und einer Baronesse gleichen Namens, die Hauptrolle: Wir begleiten sie durch ihr Leben, das Maupassant 1819 bis 1852 spielen lässt: Nach einer Erziehung hinter abgeschotteten Klostermauern fährt Jeanne mit ihren Eltern nach "Les Peuples", dem Schlösschen der Familie in der Normandie unweit des Meeres. Das erst 17jährige gefühlvolle und romantische Mädchen träumt von der Zukunft, der Liebe, von Lebensglück und -freude und verliebt sich kurz darauf in Julien, der ihr seinerseits den Hof macht, augenscheinlich ein freundlicher und höflicher Mann. "Papachen" arrangiert die alsbaldige Hochzeit mit dem gutaussehenden Vicomte und Jeanne weiß gar nicht, wie ihr geschieht, so überrollen sie die Ereignisse - und die eigenen Gefühle: Das junge Paar fährt nach Korsika, wobei Jeanne bei der Rückkehr feststellt, dass ihr Glück eine große Desillusionierung erfährt, da sich Julien als geiziger, knauseriger als auch aufbrausender Ehemann entpuppte und sie selbst entdeckt, dass es "für sie nichts mehr zu tun gibt, auch niemals mehr etwas zu tun geben würde": Diese (berechtigte) Erkenntnis und die Angst vor Leere und Eintönigkeit in ihrem Leben stellt einen Schlüsselsatz des Romans dar - und bestimmt einige Entscheidungen sowie die persönliche Entwicklung der jungen Frau mit...

Meine Meinung:
Die Natur- sowie die Stimmungs- und Gefühlsbeschreibungen von Jeanne sind von einer feingezeichneten, emotionalen, intensiven und großartigen Poesie des Autors gekennzeichnet und tragen diesen Roman in seinen Grundfesten: Auch Julien, die Eltern Jeanne's, Tante Lison, befreundete adlige Ehepaare sind sehr authentisch dargestellt; man glaubt fast, sie zu kennen. Im Sohn von Julien und Jeanne, Paul oder "Poulet" manifestieren sich dann leider viele negative Eigenschaften, die bereits dem Vater zuzuschreiben sind: Dennoch wird er mit der Liebe seiner Mutter (Jeanne) geradezu überschüttet, selbst dann, als er nur noch - inzwischen im Erwachsenenalter - Versprechungen macht und Geld von ihr fordert... Jeanne, einstmals schön, auch sentimental und aufrechten Herzens, stellt mehr und mehr fest, dass das Bild von den Menschen, das sie einst hatte, nach und nach durch Enttäuschungen und Desillusionierungen mehr und mehr zerstört und demontiert wird und eine Traurigkeit, Depression senkt sich über sie..."Zuweilen beweint man die Illusionen mit ebenso viel Trauer wie die Toten" - ein weiterer zentraler Satz, dem den anfangs sehr heitere Roman in eine gewisse Düsterkeit taucht und der auch im Nachwort von Julian Barnes zitiert wird.

Fazit:
Ein wundervoller Klassiker, der zeitlos zu lesen ist (dessen Wertung jedoch in der Zeit bleiben sollte, in der er mit großem Erfolg veröffentlicht wurde), in dem Guy de Maupassant die Intoleranz und Doppelmoral der ihm verhassten (katholischen) Kirche anprangert sowie die Geltungssucht des (niederen) Landadels und deren Unnützigkeit zur Schau stellt: "Das waren jene Leute von Etikette, deren Geist, Gefühle und Worte scheinbar auf Stelzen daherkommen" (Zitat S. 180).
Der Autor nimmt von Beginn an den Leser an die Hand und führt ihn - durch eine frühere Epoche - durch Jeanne's Leben, das nicht von vielen glücklichen Jahren bestimmt ist, aus dem Jeanne jedoch auch nicht ausbrechen kann, da sie nicht erlernen konnte, eigene Willensentscheidungen zu treffen. ("sie hatte keine Zeit zum Nachdenken). Hierin liegt für mich das Tragische an diesem Roman, der dennoch nach guten Lösungen und Auswegen sucht, die das Leben bietet: In Rosalie, die Jeanne später unterstützt, findet sich eine Art weiblichen Pendants: Tatkräftig, handlungsfähig und klug sowie willensstark verhindert das einstige Dienstmädchen den völligen Ruin ihrer früheren "Herrin" und legt ihr die Enkeltochter des recht mißratenen Sohnes in den Schoß mit den Worten: "Wissen Sie, das Leben ist nie so gut oder so schlecht, wie man glaubt".
Dazu ist das Lesen des Nachwortes von Julian Barnes überaus interessant, um den Roman in den zeitlichen und literarischen Kontext zu seiner Zeit der Entstehung bringen zu können: Die Anmerkungen der Übersetzerin sind ebenfalls überaus hilfreich; die Chronik in dem der Lebenslauf des Autors vermerkt ist, sind ebenfalls Schlüsselelemente zum Verständnis des Romans.
Die Sensibilität der Sprache Guy de Maupassant's, die noch heute sehr gut lesbar und keineswegs antiquiert ist, hat mich sehr fasziniert und macht "Ein Leben oder die schlichte Wahrheit" zu etwas Einzigartigem und ganz Besonderem für mich!Daher vergebe ich mit einer absoluten Leseempfehlung 5 Sterne und 96°.
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