Cover des Buches Krieg der Welten (ISBN: 9783257235371)
Stefan83s avatar
Rezension zu Krieg der Welten von H. G. Wells

Ein Meilenstein der Science-Fiction

von Stefan83 vor 11 Jahren

Rezension

Stefan83s avatar
Stefan83vor 11 Jahren
H. G. Wells im Jahre 1898 erschienener Roman „Krieg der Welten“ gilt nicht nur als Meilenstein der Science-Fiction-Literatur, sondern auch als erste konsequent ausgearbeitete Geschichte über eine Invasion extraterristrischer Wesen auf der Erde – ein Thema, welches bis heute in Buch wie Film unzählige Vertreter und Variationen gefunden hat und immer wieder zu neuen Spekulationen Anlass gibt. Inspiriert von den Karten des Astronomen Percival Lovell, griff Wells eine Urangst des Menschen auf, die vierzig Jahre später sogar zu einer Massenpanik an der amerikanischen Ostküste führen sollte, als die „American Broadcasting Corporation“ am Abend des 30. Oktobers 1938 eine Hörspielfassung des Regisseurs Orson Welles ausstrahlte. Nicht zuletzt aufgrund solcher Auswirkungen ist „Krieg der Welten“ eines der bekanntesten und bedeutendsten Werke des so vielseitigen Autors Wells. Die Handlung sei an dieser Stelle kurz angerissen: England, kurz vor der Jahrhundertwende. Astronomen und Hobby-Sterngucker beobachten seltsame Phänomene auf dem Mars. Weißglühendes Gas bricht in ungeheuren Mengen aus, schießt mit rasender Geschwindigkeit auf die Erde zu. Einige Zeit später schlägt schließlich ein metallener Zylinder auf der Gemeindewiese nahe dem Londoner Vorort Woking ein. Schaulustige versammeln sich um das seltsame Gefährt, in dessen Innerem rege Betriebsamkeit zu herrschen scheint. Als sich der Zylinder schließlich öffnet, entsteigen ihm seltsame Gestalten – Marsmenschen. Die trägen Wesen wirken ungefährlich, doch als sicheine Abordnung mit weißer Fahne nähert, werden diese mithilfe eines unbekannten Hitzestrahls binnen Sekunden vernichtet. Das Militär, welches kurz darauf eintrifft, um die Bedrohung auszuschalten, hat ebenfalls keinerlei Chance gegen die Waffen der Invasoren. Nachdem ein zweiter Zylinder eingeschlagen ist, beginnen die Marsianer mit ihrer Offensive. In riesigen dreibeinigen Maschinen marschieren sie unaufhaltsam gen London. Und plötzlich befindet sich das gesamte englische Empire in einem aussichtslosen Krieg, der die Menschen zu Verfolgten und Flüchtigen macht … Nimmt man Wells Klassiker heute zur Hand, fällt einem sogleich die Sprache auf, welche, im Gegensatz zu vielen seiner zeitgenössischen Kollegen, keinerlei Staub angesetzt hat und sich auch nicht in altertümlich wirkenden Formulierungen verliert. Das liegt in erster Linie am Erzählstil, der, einer Berichterstattung gleich, rückblickend von den Ereignissen des Krieges berichtet und der fiktiven Geschichte einen dokumentarischen, und damit glaubhaften Charakter verleiht. Trotz des wissenschaftliche Tons, den Wells mit Fakten und Theorien seiner Zeit äußerst autoritär untermauert, fühlt sich der Leser mittendrin im Geschehen, da uns der Autor stets Zugang zu den Empfindungen und Erfahrungen des Erzählers lässt. Und diese werden, besonders für damalige Verhältnisse, äußerst plastisch und vor allem drastisch, geschildert. Nach einem noch recht nachdenklichen und poetischen Beginn wird der Leser direkt in die Feuer eines gänzlich ungleichen Krieges geworfen. Von jetzt auf gleich ist der überlegene Mensch zur gejagten Beute geworden, wird die Idylle des ländlichen Englands zu einer verwüsteten Ebene und die Millionenstadt London zu einem brennenden Trümmerhafen. Neben seiner sprachlichen Brillanz künden diese Bilder auch von Wells' visionärem Geist, beschreibt er hier doch beinahe exakt die Verheerungen der beiden späteren, realen Weltkriege. Einfach, verständlich und doch prägnant und eindringlich, versteht es Wells mit dem richtigen Wort die richtige Stimmung zu erzeugen, die Handlung dem Leser zugänglich zu machen. Mit feiner Hand skizziert er die Reaktionen der Menschen auf die Invasion, deren starrköpfiger Hochmut bald egoistischer Panik weicht. So abstrakt das Szenario ist – Wells nutzt genau dieses für seine Gesellschaftskritik. Unbarmherzig stößt er die Menschheit, welche den Waffen der Marsmenschen nichts entgegenzusetzen hat und zu tausenden in Hitzestrahlen sowie tödlichen Gaswolken jämmerlich verreckt, vom Thron. Selbst der Stolz des Empire, die britische Flotte, versagt im Angesicht der Feinde. Ehemals prächtige Schlachtschiffe werden in der Verzweiflung sogar für Kamikaze-Angriffe verwendet. Der damals selbstverständlichen Vorstellung vom Menschen als Krone der Evolution wird durch Wells Geschichte gänzlich der Boden entzogen, (Achtung, Spoiler!) sind es am Ende doch ausgerechnet die kleinsten Lebewesen, die für den Fall der feindlichen Invasoren sorgen. „Krieg der Welten“, auf dem Höhepunkt des imperialistischen Zeitalters entstanden, zeigt, dass der überhebliche weiße Bürger des mächtigsten Reiches der Erde sich seiner Überlegenheit nicht zu sicher sein sollte – und nicht sicher sein kann. (Am Schluss wird gar eine mögliche Rückkehr der Marschmenschen in Aussicht gestellt: „Und wer kann wissen, ob die Vernichtung der Marsleute nicht nur einen kurzen Aufschub bedeutet? Vielleicht gehört ihnen und nicht uns die Zukunft.“) Der unbarmherzige Feldzug der Marsmenschen gegen die Menschen ist Wells' Art, seinen Landsleuten den Spiegel, und damit ihre Fehler, vors Gesicht zu halten. Er weist auf die Gefahren des falschen Stolzes hin und lässt uns schließlich auch den Umgang mit den vermeintlich Schwächeren überdenken. Eine zeitlose Botschaft, die diesem spannenden und oft auch sehr berührenden Buch, Nachhaltigkeit verleiht und es letztlich über viele andere Titel des Genres erhebt. Daher gilt für jeden, der sich ernsthaft mit der Science-Fiction-Literatur auseinandersetzen will: An „Krieg der Welten“ von H. G. Wells führt kein Weg vorbei. Auch mehr als ein Jahrhundert nach seiner Veröffentlichung hat dieses Werk nichts von seiner Faszination verloren.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks