HERITIER Jean

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Cover des Buches Catherine de médicis. (ISBN: 9782286002930)

Catherine de médicis.

(1)
Erschienen am 01.01.1994

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Cover des Buches Catherine de médicis. (ISBN: 9782286002930)
A

Rezension zu "Catherine de médicis." von HERITIER Jean

Andreas_Oberender
Fünf ältere Biographien über Katharina von Medici. Teil 2: Jean Héritier

Katharina von Medici (1519-1589), Gemahlin Heinrichs II. von Frankreich und Mutter der drei letzten Valois-Könige (Franz II., Karl IX., Heinrich III.), gehört zu den bekanntesten historischen Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts. Über keine andere Frau der französischen Geschichte – Madame de Pompadour und Marie-Antoinette eingeschlossen – sind so viele Biographien geschrieben worden. Katharinas Leben stand ganz im Zeichen von Renaissance, Reformation und Religionskrieg. Ähnlich wie Philipp II. von Spanien wurde Katharina Opfer einer sogenannten Schwarzen Legende: Jahrhundertelang galt sie als herrschsüchtige, skrupellose und verschlagene Intrigantin, die ihre willensschwachen Söhne manipuliert und Frankreich ins Unglück gestürzt habe. Französische Historiker und Romanciers des 19. Jahrhunderts wie Jules Michelet und Alexandre Dumas gaben Katharina die Hauptschuld an der Eskalation des Konfessionskonfliktes zwischen Katholiken und Hugenotten und an der Bartholomäusnacht von 1572. Die moderne Forschung hat dieses Zerrbild in Frage gestellt und größtenteils widerlegt. Ein wichtiger Meilenstein war die Veröffentlichung von Katharinas umfangreichem Briefwechsel zwischen 1880 und 1909. Zwei Historiker, Hector de La Ferrière und Gustave Baguenault de Puchesse, stellten in mühevoller Arbeit die mehr als 6.000 erhaltenen Briefe der Königin in einer zehnbändigen Edition zusammen. Erst dieses Quellenwerk ermöglichte eine sachliche, vorurteilsfreie und wissenschaftlichen Standards genügende Auseinandersetzung mit Katharina. Die biographische Literatur über Katharina von Medici ist umfangreich und schwer zu überschauen. Einige wenige herausragende Biographien stehen neben vielen belanglosen populärwissenschaftlichen Büchern. Gerade für historisch interessierte Laien ist es schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur die wenigsten Biographien über Katharina von Medici kommen für die Verwendung im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit in Betracht. Von den zahlreichen älteren, im 20. Jahrhundert entstandenen Biographien sind fünf noch immer in aktuellen Ausgaben verfügbar. Es handelt sich um die Werke von Jean-Hippolyte Mariéjol (1920), Jean Héritier (1940), Irene Mahoney (1975), Ivan Cloulas (1979) und Jean Orieux (1986). Diese fünf Bücher werden hier vergleichend rezensiert. Die Biographien von Héritier, Mahoney und Orieux liegen in deutscher Übersetzung vor, die Werke von Mariéjol und Cloulas nicht.

Jean Héritier (1892-1969) war in der Zwischenkriegszeit als Gymnasiallehrer und Journalist tätig. Er bewegte sich in royalistischen und rechtskonservativen Kreisen. In seinen Schriften hetzte er gegen Juden und Freimaurer. Für seine enge Kollaboration mit dem Vichy-Regime wurde er Ende 1944 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach Kriegsende wurde die Todes- in eine Haftstrafe umgewandelt. Héritier galt nach dem Krieg als "unerwünschter Autor". Es ist unklar, womit er in den 1950er und 1960er Jahren seinen Lebensunterhalt bestritt. Héritiers Biographie über Katharina von Medici erschien zuerst 1940. Rasch entwickelte sich das Buch zu einem Bestseller. Im Lauf der Jahrzehnte wurde es mehrfach neu aufgelegt, zuletzt 1994 vom Buchklub "Le Grand Livre du Mois". Für die Rezension wurde ein Exemplar dieser Ausgabe verwendet. Eine von Héritier leicht überarbeitete Ausgabe von 1959 diente als Vorlage für die deutsche Übersetzung, die 1964 beim Kohlhammer-Verlag erschien. Allerdings wurde der Text für die deutsche Ausgabe drastisch gekürzt, um nicht zu sagen verstümmelt. Wer Héritiers Biographie lesen möchte und des Französischen mächtig ist, der sollte unbedingt die Originalausgabe benutzen (siehe dazu meine separate Rezension der deutschen Ausgabe). Später brachte der Heyne-Verlag eine textlich identische Taschenbuchausgabe heraus, die bis in die 1990er Jahre hinein auf dem Buchmarkt verfügbar war. Sehr gute Französischkenntnisse sind für die Lektüre der Originalausgabe unabdingbar. In sprachlicher Hinsicht ist das Buch komplex und anspruchsvoll. Héritier hatte eine Vorliebe für verschachtelte Bandwurmsätze. Da Mariéjols und Héritiers Biographien im Abstand von nur 20 Jahren erschienen sind, liegt es nahe, beide Werke miteinander zu vergleichen. Bei einem Vergleich schneidet Mariéjols Buch eindeutig besser ab, obwohl es das ältere ist. Im Gegensatz zu Mariéjol geizt Héritier mit Fußnoten. Es ist für den Leser nicht durchgehend nachvollziehbar, auf welchen Quellen und welchen Werken der Sekundärliteratur Héritiers Ausführungen beruhen. Die Fußnoten sind so gering an Zahl, dass von einem vollwertigen Anmerkungsapparat nicht gesprochen werden kann. Héritier macht auffallend sparsam Gebrauch von Katharinas Briefen. Über das Buch verteilt finden sich nur 53 Zitate aus Briefen der Königin. Gemessen am Umfang von Katharinas Korrespondenz und im Vergleich mit Mariéjol ist das sehr wenig. Eine weitere Schwäche ist Héritiers einseitige Fokussierung auf die Politik. Aspekte wie Katharinas intellektuelle Interessen, Bautätigkeit und Mäzenatentum blendet er vollständig aus. Es entsteht kein abgerundetes Bild von Katharinas Persönlichkeit.

In vielen Fragen stimmen die beiden Autoren überein. Auch Héritier schreibt die Verantwortung für das Coligny-Attentat und die Bartholomäusnacht Katharina zu, um nur ein Beispiel zu nennen. Auf der Ebene der reinen Faktenvermittlung ist die Biographie ergiebig und zuverlässig. Problematisch sind Héritiers Einstellung gegenüber Katharina und einige Grundannahmen, auf denen die Darstellung beruht. Beim Lesen wird rasch klar, dass Héritier der Königin bewundernd und nahezu unkritisch gegenübersteht. Sein Ton gleitet bisweilen ins Schwärmerische und Pathetische ab. Irritierend sind Héritiers Auffassungen über Katharinas politisches Denken und Handeln. Katharina tritt als gelehrige Schülerin Machiavellis auf (S. 71, 122, 139, 153, 393). Héritier flicht Zitate aus Machiavellis Schriften in den Text ein und suggeriert, Katharina habe im politischen Tagesgeschäft die Maximen ihres Florentiner Landsmannes befolgt. Sei es Pragmatismus in Religionsfragen, sei es der Kampf um die Wahrung der nationalen Einheit, seien es politische Morde als Mittel letzter Wahl in einer Extremsituation – wieder und wieder unterstellt Héritier einen Zusammenhang zwischen Machiavellis Denken und Katharinas Handeln. Er geht jedoch mit keinem einzigen Wort darauf ein, wie Machiavellis Werke im 16. Jahrhundert in Europa rezipiert wurden, und er bietet keinen Beleg dafür, dass Katharina diese Werke tatsächlich kannte. Damit nicht genug. Wortgewaltig stilisiert Héritier die Königin zur verhinderten Schöpferin einer "modernen Monarchie" (S. 163, 177) und zur tragisch gescheiterten Streiterin für religiöse Toleranz. Unter widrigsten Umständen habe Katharina jahrzehntelang für Wohl und Einheit Frankreichs gekämpft. Die Zeit sei aber noch nicht reif gewesen für Toleranz und Religionsfreiheit. Erst Heinrich IV. habe es vermocht, Katharinas Traum vom friedlichen Zusammenleben der Konfessionen Wirklichkeit werden zu lassen. In Héritiers Werk spiegelt sich die Überschätzung und Verklärung Heinrichs IV., die bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Frankreich allgemein und in der Geschichtswissenschaft vorherrschte. Heutige Historiker beurteilen die Leistungen Heinrichs IV. sehr viel nüchterner und zurückhaltender als frühere Generationen. Vor allem betonen sie, dass die im Edikt von Nantes (1598) den Hugenotten gewährte Religionsfreiheit nicht als Dauerzustand gedacht war. Langfristig sollte die religiöse Einheit wiederhergestellt werden. Es ist anachronistisch, Katharina und Heinrich als Vorkämpfer der Trennung von Staat und Religion darzustellen. Die Toleranz für die Protestanten verstanden beide als Not- und Übergangslösung. Jean-Hippolyte Mariéjol sieht in Katharina eine wendige Opportunistin und überforderte Krisenmanagerin, der es hauptsächlich darum ging, das Haus Valois an der Macht zu halten. Sein Porträt der Königin ist überzeugender als Jean Héritiers Versuch, Katharina in den Rang einer großen Staatsfrau zu erheben, deren fortschrittliche, zukunftsweisende Politik von missratenen Söhnen, fanatischen Katholiken und rebellischen Hugenotten unentwegt konterkariert wurde.

FAZIT

Von den hier vorgestellten älteren Biographien über Katharina von Medici sind heute nur noch die Bücher von Jean-Hippolyte Mariéjol und Irene Mahoney lesenswert. Ergänzend kann auch die Biographie von Ivan Cloulas herangezogen werden. Die Bücher von Jean Héritier und Jean Orieux verdienen keine Beachtung. Wer sich entschließt, die Biographien von Mariéjol, Mahoney und/oder Cloulas zu lesen, der sollte sich über die neuere Forschung seit 1980 informieren, vor allem über alternative Erklärungsansätze zum Geschehen im Sommer 1572 (Bartholomäusnacht).

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