Cover des Buches Die Vegetarierin (ISBN: 9783351036539)
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Rezension zu Die Vegetarierin von Han Kang

Eine literarische Perle aus Südkorea

von kornmuhme vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Sehr intensiv, geht unter die Haut. Man steckt eben nicht drin im anderen ...

Rezension

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kornmuhmevor 7 Jahren

Inhalt:

Von einem Tag auf den anderen verändert sich Yong-Hye. Sie, die von ihrem Ehemann als absolut durchschnittlich und unscheinbar beschrieben wird, isst plötzlich kein Fleisch und auch sonst keine tierischen Produkte mehr. Wegen eines Traums, wie sie sagt. Ihr familiäres Umfeld kann damit überhaupt nichts anfangen, wird in Südkorea doch gerne und viel Fleisch gegessen. Dieser plötzliche Veganismus Yong-Hyes kommt einem Affront gleich, die Eltern sprechen gar von Ungehorsam. Man will sie zwingen, wieder "normal" zu werden. Doch Yong-Hye bleibt dabei, und nach und nach wird deutlich, dass sie psychisch krank ist. Sie wird immer verschlossener, zieht sich in sich selbst zurück, möchte viel lieber eine Pflanze sein, die sich nur noch von Licht und Wasser ernährt. Sie isoliert sich, als einzige hält noch ihre Schwester In-Hye zu ihr, doch auch sie vermag nicht mehr an Yong-Hye heranzukommen ...

Meinung:

Was kann man tun, wenn man einen Menschen nicht mehr versteht, seine Gedanken und Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen kann und mit ansehen muss, wie dieser Mensch vor die Hunde geht?

In drei Episoden aus drei unterschiedlichen Perspektiven werden Yong-Hyes Veränderung und die Reaktionen, die sie damit auslöst, beschrieben und beleuchtet. Da ist ihr Ehemann, eine lieblose und egoistische Gestalt, der in Yong-Hye eigentlich nur eine Frau für seine Bedürfnisse und die gesellschaftliche Norm sieht. Er kommt, neben ihren Eltern, am wenigsten mit Yong-Hyes Veränderung zurecht. Ein wenig Verständnis und Zuneigung erhält sie von ihrem Schwager, einem Video-Künstler, der langsam eine Obsession für Yong-Hye entwickelt, weil sie eben so ganz anders als die ihm bekannten Frauen sind. Seine erotischen Visionen mit ihr möchte er in einem Video verwirklichen. Zum Schluss begleiten wir In-Hye, die ihre Schwester in der Psychiatrie besucht. Mittlerweile hat Yong-Hye die Nahrungsaufnahme komplett eingestellt und sich von ihrer Umwelt abgekapselt. Es bleibt nur die Zwangsernährung.

Dieses Buch wird lange in mir nachhallen, das kann ich jetzt schon sagen! Das liegt sicherlich auch an dem Schreibstil, der zwar sehr nüchtern daherkommt, aber dadurch umso intensiver auf den Leser einwirkt. Es hat mich sehr betroffen gemacht, wie Yong-Hye, aber auch einige andere Charaktere, so sehr in ihren Leben gefangen sind, aus denen sie so gern ausbrechen wollen, aber so oft scheitern. Nach und nach werden Schichten freigelegt, die eine gemarterte Psyche zeigen. Man möchte helfen, aber es geht einfach nicht, weil man niemals in der Haut des Gegenübers steckt.

Auch die Episode aus Sicht des Schwagers hat mir sehr gut gefallen. Erst war ich angesichts des Perspektivwechsels überrascht, aber es hat sich schnell alles harmonisch gefügt. Was macht jemand, der tiefe erotische Phantasien, ja, Visionen hat und spürt, dass er so, wie er bisher gelebt hat, nicht weitermachen kann? Kann dieses Fieber, dieses Feuer in einem gelöscht werden?

Hin und wieder gibt es kleine Hinweise darauf, warum Yong-Hye sich plötzlich so verändert - Indizien, die darauf schließen lassen, dass ihr Verhalten nicht von ungefähr kommt. Ich fand es allerings gut, dass die Autorin sich dahingehend so bedeckt gehalten hat, so ergeben sich viele Spiel- und Gedankenräume.

Fazit:

Manchmal hat mich dieser kurze Roman an Franz Kafka erinnert, der sich auch oft mit dem Thema des vergeblichen Entkommens beschäftigt und auch ähnlich nüchtern schreibt. Mich hat das Buch sehr zum Nachdenken angeregt und mir noch einmal deutlich gezeigt, dass wirkliches Verstehen anderer Personen, vor allem jener mit einer psychischen Erkrankung, eigentlich nicht möglich, aber oftmals sehr verstörend und faszinierend sein kann.

5 von 5 Sternen

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