Cover des Buches Die Vegetarierin (ISBN: 9783839815601)
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Rezension zu Die Vegetarierin von Han Kang

Grotesk

von daydreamin vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Ein grotesker und schonungsloser Roman über den Ausbruch einer Frau.

Rezension

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daydreaminvor 7 Jahren
Yong-Hye hat nie Widerworte gegeben. Still hat sie ihr bisheriges Leben ertragen. Von der Gewalt des Vaters bis hin zur Oberflächlichkeit ihres Mannes. Doch damit soll eines Tages Schluss sein. Die an Durchschnittlichkeit nicht zu übertreffende junge Frau entsorgt in einer Nacht- und Nebelaktion jegliche tierische Produkte aus ihrem Haushalt. Kiloweise schmeißt sie Fleisch weg und macht auch vor Milch, Eiern und Lederwaren nicht Halt. Tatsächlich wird sie nicht zur Vegetarierin, wie der Buchtitel vermuten lässt, sondern ernährt sich von nun an sogar vegan. Ihrem Mann antwortet sie auf seine Nachfrage für den Grund nur "Ich hatte einen Traum". Yong-Hye beginnt sich damit von allen ihr gekannten Konventionen zu befreien und aus ihrem Leben auszubrechen. Die Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten.

Das Hörbuch wird von drei Personen gelesen, denn Yong-Hyes Geschichte wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt: Ihr Ehemann, ihr Schwager und ihre Schwester kommen zu Wort. Die Stimmen jedes einzelnen empfand ich dabei als sehr passend. Besonders der passiv-aggressive Ton des Ehemanns kam für mich gut rüber. Das Zuhören war jedoch nicht nur deswegen sehr einfach und angenehm, sondern vor allem durch Han Kangs bildliche Sprache. Sie nutzt durchweg eher kurze, direkte und unkomplizierte Sätze. Trotzdem oder vielleicht sogar gerade deswegen trifft jedes Wort den Leser (oder in meinem Fall Hörer) direkt ins Mark.

Bei näherer Betrachtung des Covers fällt schon auf, dass es in diesem Buch um mehr als die vegetarische Ernährung geht. Zwischen Blüten erkennt man Finger, einen Augapfel, Fleisch. Tatsächlich glaube ich sogar, dass der Vegetarismus nur ein Mittel zum Zweck ist. Für mich war es interessant Yong-Hyes Verwandlung zu beobachten. Ausgerechnet durch einen Traum erwacht sie aus einem sehr kontrollierten Leben, aus welchem sie dann auszubrechen versucht. Schrittweise zerstört sie dabei ihren Körper und verfällt dem Wahnsinn. Diese erschreckende Verwandlung deutete für mich auf die Frage hin, wie viel Freiheit ein Mensch überhaupt haben darf, um nicht vollkommen verrückt zu werden.

So ähnlich ergeht es übrigens nicht nur ihr. Vor allem in ihrem Schwager und ihrer Schwester schlummern groteske Sehnsüchte und Ängste, die sie vor Yong-Hyes Ausbruch ganz gut kontrollieren können. Mit ihrem Wahnsinn konfrontiert geraten die bisher verdrängten und weggeschlossenen inneren Kämpfe an die Oberfläche und Schwester und Schwager müssen sich wie Yong-Hye entscheiden: Kontrolle behalten oder abgeben?

So interessant ich diesen Grundgedanken finde, so abstoßend fand ich viele Szenen im Buchdrittel aus Sicht von Yong-Hyes Schwager. Ich muss zugeben, dass ich kurz vor dem Abbruch des Buches stand, als endlich der ersehnte Perspektivwechsel kam. Han Kangs bildliche Sprache ist gleichzeitig Fluch und Segen, denn nicht selten fasziniert und schockiert sie den Leser zu gleichen Teilen. Trotz aller bestialischer und grotesker Kapitel überwog schlussendlich doch meine Neugier und mein Wusch, dieses Buch zu verstehen. Für schwache Mägen ist dieser Roman jedoch nichts.

Fazit

Entgegen des Buchtitels geht es in diesem Roman ganz und gar nicht um die vegetarische oder vegane Lebensweise. In meinen Augen geht es viel mehr um das Ausbrechen aus Konventionen, Erwartungen und Demütigungen. Yong-Hyes Verwandlung wirft aber auch die Frage auf, ob ein kompletter Ausbruch und eine endgültige Befreiung für den Menschen die Lösung sein kann. Mit dem Ende und der damit verbundenen "Moral von der Geschicht" (zumindest so, wie ich sie verstanden habe) bin ich nicht ganz einverstanden, daher vergebe ich auch nur 3 Sterne (es wären 3.5, wenn das auf Lovelybooks gehen würde). Außerdem hat Han Kangs Stil mich zwar fasziniert, doch einige Szenen waren durch ihre bildliche und wirkungsgewaltige Sprache einfach zu grotesk und abstoßend. So kurz dieser Roman auch scheint, er ist definitiv nicht einfach zu verdauen!
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