Cover des Buches Das Kind, das nicht fragte (ISBN: 9783630873022)
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Rezension zu Das Kind, das nicht fragte von Hanns-Josef Ortheil

Rezension zu "Das Kind, das nicht fragte" von Hanns-Josef Ortheil

von WinfriedStanzick vor 11 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 11 Jahren
Nach seinen beiden wunderbaren Romanen „Die Erfindung des Lebens“ und „Die Moselreise“ legt der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil mit seinem neuen Roman „Das Kind, das nicht fragte“ einen weiteren Versuch der literarischen Annäherung an die Erfahrungen seiner eigenen Kindheit und seines eigenen Lebens vor. Beides waren Bücher über die heilende Kraft der Musik und die lebensrettende Wirkung des Schreibens und der Literatur. Bücher in denen Ortheil auf eine besondere Weise, die schon in seinen ebenfalls autobiografisch geprägten Liebesromanen "Die große Liebe" und "Das Verlangen nach Liebe" aufschien, mitfühlend vom Leben und der Liebe geschrieben hat. Ortheils Romane sind ohne jeden Kitsch und ohne jedes Pathos Werke, deren wahre Geschichten noch das härteste Leserherz erweichen konnten. So ist es auch in dem neuen Roman „Das Kind, das nicht fragte“, in dem er seinen Protagonisten Benjamin Merz seine Geschichte erzählen lässt. Ein Leben, das in der Kindheit geprägt war von Schweigen, denn Benjamin ist der jüngste in einer Familie, in der die vier viel älteren Brüder den Ton angeben, nicht nur bei den Mahlzeiten, die Benjamin meist unter dem Tisch verbringt. Benjamin ist zurückhaltend und schüchtern, traut sich nicht zu fragen, wo sein Kopf und Geist doch voll ist von Fragen. Wie Ortheil selbst in seiner Kindheit, gelingt es ihm lange nicht, zur Sprache, und damit richtig auf die Welt zu kommen. Ortheil selbst hat, wie er in „Die Erfindung des Lebens“ eindrücklich beschrieb, über die Musik und das Schreiben zur Sprache und zur Welt gefunden. Seinem Alter Ego Benjamin Merz ist das über seine Berufswahl gelungen. Als Ethnologe kann er sich in der „teilnehmenden Beobachtung“ selbst zurückhalten, und mit seinen Fragen die Menschen zum Reden bringen. Sein neues Projekt führt ihn nach Sizilien (der Traumort Ortheils) in die Stadt Mandlica. In Wahrheit heißt die Stadt Modica und war die Geburts- und Heimatstadt des Literaturnobelpreisträgers Salvatore Quasimodo, dessen Gedichte in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. Benjamin Merz mietet sich in einer Pension ein und lernt dort die beiden aus Deutschland stammenden Schwestern Maria und Paula kennen. Mit seiner in seiner in der Kindheit erworbenen Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen (weil er ja nicht fragen konnte) gelingt es ihm in dem Städtchen bald, nicht nur die beiden Schwestern, sondern auch den Buchhändler und den Betreiber eines Restaurants und bald auch den Bürgermeister und viele Frauen für sich einzunehmen. Seine ruhige Art und seine Intuition verschaffen ihm innerhalb weniger Wochen den Ruf eines Hellsehers. Ortheil gelingt es mit der Schilderung von Benjamins Forschungsmethode und deren Praxis ein sensibles und eindrückliches Sozialporträt einer sizilianischen Stadt, ihrer Kultur und Traditionen zu zeichnen und das feine, genau austarierte Netzwerk von Beziehungen und Abhängigkeiten deutlich machen. Man kann den ganzen Roman als eine Hymne nicht nur an den Lyriker Salvatore Quasimodo lesen , sondern auch als eine Liebeserklärung an Sizilien, ein Land , in dem das Licht anders ist. Natürlich geht es auch wieder um die Liebe. Denn Benjamin nähert sich über die lange Zeit seines Aufenthaltes in Mandlica der zunächst zurückhaltenden und mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigten Paula an. Eine zarte Liebe entwickelt sich, die es Benjamin gegen Ende ermöglicht, zum ersten Mal einem richtigen Menschen seine Geschichte zu erzählen. Die Grundlage hierzu hatte, als Benjamin in dem Alter war, das erste Mal zur Beichte zu gehen, ein Priester gelegt, dessen einfühlsames Gespräch mit Benjamin Ortheil ausführlich schildert, und das ich wie ein kleines Zentrum des ganzes Romans gelesen habe. Ein Gespräch, in dem der junge Benjamin lernt, dass er Gott fragen stellen kann und dass er die Antworten darauf in sich selbst finden kann. „Diese Stunde im Beichtstuhl war die Geburtsstunde meiner Frage- und Antwortspiele, die ich in schwarze linierte Schulhefte eintrug. Heute glaube ich, dass sie zugleich der Beginn meiner Leidenschaft für das ethnologische Fragen und Antworten waren.“ „Das Kind, das nicht fragte“ ist ein weiterer Baustein in einem Haus voller wunderbarer Lebens- und Liebesgeschichten, das Hanns-Josef Ortheil seit langer Zeit für sich baut, in dem wenigstens zeitweise zu wohnen er die Leser seiner Bücher einlädt.
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