Vorweg: ich bin bekennender Fan von Roland Barthes, insbesondere der späteren Texte. Die "Fragmente" standen schon ewig im Regal, ich war aber mehrfach im Vorwort steckengeblieben. Neulich neuer Anlauf und endlich im Hauptteil - ein Lexikon der Liebe - angekommen. Irritierend, wir präzise Roland Barthes Gefühle, Sehnsüchte, Sorgen, Drohungen, versteckte Signale, die Interpretationswut usw. von liebenden Menschen beschreibt. Das Buch ist nicht für die übliche Lektüre gemacht, d. h. man kann bei irgendeinem Stichwort einhaken. Allmählich lüftet sich der Schleier, der über so vielen "von der Liebe geblendeten" Wahrnehmungen lag. Ein toller Text. Hier ein kleiner Auszug aus dem Stichwort "Szene":
"Wenn sich zwei Subjekte im Sinne eines regelrechten Austausches von Erwiderungen und in der Absicht, das „letzte Wort“ zu behalten, befehden, so sind sie bereits verheiratet: die Szene ist für sie die Wahrnehmung eines Rechtes, der praktische Umgang mit einer Sprache, deren Miteigentümer sie sind; immer der Reihe nach, sagt die Szene, und das soll heißen: du nie ohne mich und umgekehrt. Das ist der Sinn dessen, was man euphemistisch den Dialog nennt: sich nicht gegenseitig Gehör schenken, sondern sich gemeinsam einem egalitären Prinzip der Teilung der Sprachgüter unterwerfen. Die Partner wissen, daß der Zusammenstoß, auf den sie sich einlassen und der sie doch nicht entzweien wird, ebenso folgenlos ist wie eine perverse Wollust."
Wie wahr.
Kalt erwischt