Cover des Buches Jeder stirbt für sich allein (ISBN: 9783351033491)
Gulans avatar
Rezension zu Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada

Widerstand des kleinen Mannes.

von Gulan vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Eine Würdigung des Widerstands des einfachen Mannes. Mit kleinen Schwächen, aber insgesamt auf jeden Fall lesenswert.

Rezension

Gulans avatar
Gulanvor 7 Jahren
Noch immer sah Quangel sie stumm an, als beobachte er den Kampf, den sie in sich kämpfte. Nun wurde sein Blick heller, er nahm die Hände aus dem Sekretär, richtete sich auf und sagte fast lächelnd: „ Aber so leicht sollen die uns nicht kriegen! Wenn die schlau sind, wir können auch schlau sein. Schlau und vorsichtig. Vorsichtig, Anna, immer auf der Hut – je länger wir kämpfen, umso länger werden wir wirken. Es nützt nichts, zu früh zu sterben. Wir wollen leben, es noch erleben, dass die fallen. Wir wollen dann sagen können, wir sind auch dabei gewesen, Anna!“ (S.182-183)

Im Sommer 1940 erhalten Otto und Anna Quangel die Nachricht, dass ihr Sohn im Krieg gefallen ist. Das Ehepaar ist tief erschüttert und beginnt seine bislang passive Rolle gegenüber dem Regime aufzugeben. Die Quangels schreiben Postkarten und Briefe mit regimekritischen und zum Widerstand auffordernden Inhalt und legen diese in belebten Treppenhäusern ab. Doch die Gestapo ist ihnen schnell auf der Spur.

Der Roman erschien erstmals 1947 und gilt als der erste eines nichtemigrierten Autors, der den Widerstand gegen den Nationalsozialismus thematisierte. Hans Fallada war zum Ende der Weimarer Republik der Durchbruch als Autor gelungen, vor allem mit dem Welterfolg „Kleiner Mann – was nun?“. Im Nationalsozialismus wurde Fallada aber schnell zum unerwünschten Autor. Er emigrierte jedoch nicht, sondern zog sich nach Mecklenburg zurück. Fallada wurde nach dem Krieg von Johannes R. Becher protegiert, dem späteren Kulturminister der DDR. Becher übergab Fallada die Gestapoakten des Ehepaares Hampel, an deren tatsächlichem Fall die Geschichte lose angelehnt ist. Der schwer alkohol- und morphiumabhängige Fallada schrieb den Roman innerhalb von vier Wochen. Die Veröffentlichung erlebte der Autor nicht mehr, er starb am 05.02.1947. Das Originalmanuskript wurde aus politischen Gründen an mehreren Stellen verändert. Der Roman erlangte erst seit etwa zehn Jahren auch eine große internationale Aufmerksamkeit. Im Jahre 2011 veröffentlichte der Aufbau Verlag erstmals den Roman nach dem Originalmanuskript.

Die Quangels sind ein stilles, aber vertrautes Ehepaar. Otto Quangel arbeitet als Werkstattleiter in einer Möbelfabrik, Anna ehrenamtlich bei der Frauenschaft. Als die Quangels die Nachricht vom Tode ihres einzigen Sohnes erhalten, wirft Anna ihrem Mann in einem Moment tiefer Trauer und Verbitterung vorwirft: „Aber das habt ihr angerichtet, […] du und dein Führer!“ Otto Quangel ist wie vor den Kopf gestoßen, doch nach langem Nachdenken reift in ihm der Entschluss, dass sie etwas tun müssen. Er überlegt sich, mit kleinen Postkarten seine Meinung gegen die Partei, den Führer und den Krieg zu äußern. Eine vermeintlich kleine Geste, aber in der Hoffnung, dass seine Botschaften sich verbreiten.

Obwohl das Schicksal des Ehepaars Quangel im Vordergrund der Geschichte steht, begleitet Fallada eine Reihe weiterer Personen durch die Story und zeichnet so ein Berliner Panorama der Kriegsjahre. Die Jablonskistraße 55, in der die Quangels wohnen, bildet dabei so etwas wie einen Mikrokosmos. Neben den Quangels wohnen dort drei weitere Mietparteien. In der vierten Etage die Jüdin Rosenthal, deren Mann bereits inhaftiert ist und die nun verschiedener Repressalien über sich ergehen lassen muss. In Eder zweiten Etage wohnt der Kammergerichtsrat a.D. Fromm, ein strenger, eigenbrötlerischer Mann, der allerdings noch in preußischen Traditionen von Ehre und Recht verhaftet ist und daher mit den Nationalsozialisten wenig anfangen kann. Ganz unten wohnen die Persickes, der Vater ein heruntergekommener Alkoholiker, der jedoch seine Söhne bei der SS und den jüngsten gar bei einer Eliteschule Napola untergebracht hat. Die Söhne terrorisieren erwartungsgemäß die Nachbarschaft. Im Hinterhaus wohnt der Gauner und Denunziant Barkhausen, der immer wieder den Nazis zuarbeitet und doch immer selbst Gefahr läuft, bei seinen schmutzigen Geschäften unter die Räder zu kommen. Des Weiteren begleiten wir auch das Schicksal von Anna Kluge, der Briefträgerin, die den Quangels die Todesbotschaft überbringt, und ihres Mannes, ein Spieler und Taugenichts. Außerdem von Trudel Baumann, die Freundin von Quangels Sohn Otto, eine junge, optimistische Frau trotz aller Widrigkeiten. Nicht zuletzt hat der Gestapo-Kommissar Escherich breiten Raum in der Geschichte. Escherich ist zwar kein eingefleischter Nazi, aber ein unerbittlicher Kriminalist, der sich den Gegebenheiten angepasst hat und über einen längeren Zeitraum vergeblich nach dem „Klaubautermann“, dem Briefeschreiber, fahndet und dadurch selbst in Schwierigkeiten gerät.

Man merkt schon am Personal, dass die Geschichte teilweise sehr breit angelegt ist, manchmal werden die Fäden auch etwas abrupt wieder aufgenommen oder abgebrochen. Die Sprache ist einfach, bei den Dialogen versucht der Autor sowohl den Berliner Dialekt der Unterschicht als auch die technokratische, harte Sprache der Nationalsozialisten abzubilden. Dennoch geraten einige Dialoge ziemlich hölzern und nur bedingt authentisch. Erstaunlich fand ich außerdem, dass Fallada es nur bedingt schafft, bei den Figuren die Oberflächlichkeit zu verlassen. Trotz eines auktorialen Erzählers erfahren wir zu selten etwas über das Innenleben und die Motivation der Figuren. Einige der Handlungen wirken sprunghaft, so etwa auch der Entschluss der Quangels, plötzlich ihr Schneckenhaus zu verlassen und die Postkarten zu schreiben.

Er hatte im Jahre 1940 noch immer nicht begriffen, der gute Harteisen, dass jeder Nazi zu jeder Zeit bereit war, jedem Deutschen, der eine von seiner abweichende Meinung hatte, nicht nur alle Lebensfreude, sondern auch das Leben selbst zu nehmen. (S.201)

Jetzt habe ich tatsächlich schon einige Kritik geübt, aber jetzt muss ich natürlich auch sagen, warum ich diesen Roman trotzdem lesenswert fand. Absolut beeindruckend und gleichzeitig bedrückend ist die Atmosphäre der Angst, die Fallada in seinem Buch beschreibt. Niemand ist wirklich sicher, ein falsches Wort genügt, manchmal braucht es nicht mal das, um den Argwohn der Gestapo auf sich zu ziehen. Überall lauern Denunzianten. Zwar gibt es gar nicht so viele echte Nazis, doch diese bestimmen den Ton und jeder, auch in vermeintlich sicherer Position, muss auf der Hut sein.

Zum anderen ist dieser Roman eine Geschichte über das Gewissen. In einer Stimmung der permanenten Bedrohung entscheiden die Quangels sich dafür, nicht mehr zu schweigen, sondern ihren Kampf gegen das Regime aufzunehmen. Zwar tun sie dies mit bescheidenen Mitteln und das wirklich Tragische ist, dass sie so gut wie niemanden erreichen, aber sie bewahren sich ihre Würde und ein erhobenes Haupt bis zum bitteren Ende. Diese Botschaft ist auch die wahre Stärke des Buches, so dass man dem Autor die oben beschriebenen Mängel verzeiht.

Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks