„Ach diese Lükke! Diese entsetzliche Lükke, die ich hier in meinem Busen fühle! ich denke oft! - Wenn du sie nur eimal, nur einmal an dieses Herz drükken könntest. All diese Lükke würde ausgefüllt seyn“.
Der Briefroman machte Goethe im Handumdrehen zu einem Shootingstar und gilt noch heute als Schlüsselroman des Sturm und Drang. Wir erleben, wie der Protagonist Werther an einer glücklosen Liebe (und seiner Leidenschaft) zerbricht.
Die von mir gelesene „Fischer Klassik“-Ausgabe folgt zeichengenau dem Erstdruck von 1774. Die Ausgabe wird durch nützliche Informationen zu Goethes Leben und Wirken sowie durch einen Auszug aus „Kindlers Literatur Lexikon“ zum gegenständlichen Roman abgerundet.
Das Werk zeichnet sich durch seinen leidenschaftlichen und empfindsamen Protagonisten aus, an dessen Seelenleben der Leser teilhaben darf. Der emotionale Werther verkörpert dabei die Ideale des Sturm und Drang:
„Auch schätzt er meinen Verstand und Talente mehr als dies Herz, das doch mein einziger Stolz ist, das ganz allein die Quelle von allem ist, aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elends. Ach was ich weis kann jeder wissen. - Mein Herz hab ich allein.“
Spannend in diesem Zusammenhang ist die Figur des Albert, der den Gegensatz zu diesen Idealen zu verkörpern scheint und, anders als Werther, ganz leidenschaftslos daherkommt. Albert scheint sich ganz der Vernunft verschrieben zu haben. Der Gegensatz von Werther und Albert gipfelt in der von Werther skizzierten Diskussion über Selbstmorde - Schwäche oder Erlösung?
„Die menschliche Natur, fuhr ich fort, hat ihre Gränzen, sie kann Freude, Leid, Schmerzen, bis auf einen gewissen Grad ertragen, und geht zu Grunde, sobald der überstiegen ist.“
Der moderne Leser wird sich an die etwas „angestaubte“ Sprache gewöhnen müssen, welche den Zugang zum Werk stellenweise nicht ganz leicht macht. Trotzdem ist der Werther noch immer ein echtes Leseerlebnis, denn auch heute schafft es Goethes Wortgewalt noch, den Leser die Leidenschaft des Werther spüren und bis zu einem gewissen Grad auch nachempfinden zu lassen.