Rezension zu "Demenz" von Hans Stolp
Gleich vorweg: Dieses Buch war 2019 mein absolutes Highlight! Hans Stolp hat es in diesem Werk geschafft, Demenz von einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. Der spirituelle Aspekt steht in diesem Buch im Vordergrund und lässt es zu, mit der Altersdemenz ganz anders umzugehen. Fangen wir aber am besten von vorne an...
Das Cover ist für meinen Geschmack schön und ansprechend gestaltet. Im Klappentext des Buchrückens findet man eine interessante Aussage: "Wie man die Seele erreichen kann, wenn sie den Körper bereits verlassen hat!". Es wird Hilfe in schweren seelischen Konfliktsituationen angeboten, die Angehörigen und Pflegenden neue Hoffnung schenkt. Auf der ersten Seite findet sich ein Gedicht des niederländischen Pfarrers und Buchautors. Wer nun viel Religiöses im Buch befürchtet, den kann ich beruhigen. Dass der Autor Pfarrer ist, merkt man den Texten nicht an. Ich bin sogar eher überrascht das so jemand öffentlich den spirituellen Blickwinkel in den Fokus rückt, da die Kirche ja mit Reinkarnation etc. nicht viel anfangen kann.
Im Vorwort erklärt Herr Stolp, dass die meisten Menschen diese Krankheit so empfinden, dass sie kein Sinn ergibt und einfach nur traurig und schmerzhaft ist. Meine Ansicht ist eine andere, weshalb ich das Buch auch gekauft habe: Ich bin mir sicher, dass alles im Leben seinen Sinn hat und bei Demenz ist es meiner Meinung nach so, dass die Seele sich zwischenzeitlich schon in der geistigen Welt befindet. Aber dennoch alles mitbekommt, was um sie herum geschieht, auch wenn sich dies für uns nicht erkennen lässt. Ich glaube, dass es bei diesem Prozess ums Loslassen geht, um anschließend frei in die geistige Welt hinübergehen zu können. Ich war gespannt, ob ich in diesem Buch auf eine ähnliche Sichtweise treffe. Herr Stolp schreibt schon im Vorwort davon, dass es um geistiges Wachstum geht und darum eine neue Bewusstseinsstufe zu erreichen. Er appelliert an uns, die Erkenntnisse im Buch mit offenen Herzen zuzulassen und verspricht, dass wir diese Krankheit daraufhin anders betrachten werden.
Nach dem zwei Seiten langen Vorwort liefert der Autor uns diverse Gedankenimpulse von Menschen die er zitiert. Dann geht es auch schon los mit dem ersten Kapitel. Insgesamt umfasst jedes ca. 8-10 Seiten. Im ersten zeichnet er zunächst ein Bild der Demenz, der Situation der pflegenden Angehörigen und macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Pflegende sich in den dementen Menschen hineinversetzen. Es sind von dieser Krankheit mehr Frauen betroffen, aber eins gilt für alle: Wenn z.B. der Erkrankte ziellos herumläuft und die eigene Mutter sucht, soll man diesem niemals sagen, dass diese doch schon vor Jahren verstorben ist. Für die Erkrankten ist es nämlich so, als würden sie diese schockierende Nachricht zum ersten Mal hören, mit all den Emotionen die dann ausgelöst werden. Die Betroffenen müssen diese schmerzhaften Momente dann nochmal durchleben und werden von den eigenen Gefühlen überrollt. Dies gilt natürlich nicht für die erste Phase der Demenz, so Stolp.
Im zweiten Kapitel erklärt er dann die verschiedenen Formen und Unterschiede von Demenz, z.B. Alzheimer, vaskuläre Demenz usw. Zudem gibt es vier Stadien im Verlauf der Krankheit die er in einem angenehmen, einfachen und flüssigem Schreibstil erklärt. Der Buchautor erzählt weiter, dass die Demenzkranken verdrängte Erfahrungen aus ihrem Leben in der Stille verarbeiten. Bei der Versorgung dieser Menschen, ist es wichtig, sich immer wieder klarzumachen, dass der Geist des Betroffenen nicht krank ist, sondern nur die körperliche Hülle und das Gehirn funktionieren nicht mehr wie bisher. Sie spüren die Haltung der Pflegenden ganz genau, auch wenn sie nicht mehr imstande sind dies zu zeigen. Ein Blick hinter die Dinge scheint unabdingbar zu sein, zwischen den Zeilen zu lesen, da zwar das Denken der Demenzerkrankten beeinträchtigt ist, jedoch nicht die Fähigkeit des Fühlens. Die Gefühlsebene anzusprechen ist besonders wichtig. Aus diesem Grund sind auch Musiktherapie oder Bewegungs- & Maltherapie eine Bereicherung.
Im nächsten Kapitel geht es um altersbedingte Vergesslichkeit, die nicht gleichzusetzen ist mit Demenz, aber auch darum, wie Vergesslichkeit überhaupt entsteht. Auch Euthanasie (Sterbehilfe) und die Auswirkungen auf das nächste Erdenleben werden vom Autor kurz und knapp angesprochen. Dabei schreibt er stets in einer feinfühligen Weise, die für Angehörige tröstlich erscheinen kann. Dann geht es um den allmählichen Abbauprozess des menschlichen Gehirns, sowie ums Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Dabei verliert Herr Stolp nie den spirituellen Blickwinkel aus den Augen, was ich total toll finde. Besonders gefesselt hat mich dann die Sparte "Kontakt mit dem Demenzkranken aufnehmen". Damit ist die Möglichkeit gemeint, über die geistige Ebene mit dem höheren Selbst des Dementen zu kommunizieren. Das dies definitiv möglich ist, macht er mit zwei Beispielen klar. Zweifel habe ich daran nicht.
Eines der bewegenden Beispiele in diesem Buch brachte mich sogar zum Weinen, so sehr hat mich dieses Werk in den Bann gezogen. Nachdem ein paar Tränen geflossen sind, habe ich mich dann aber wieder daran zurückerinnert, das weinen, Traurigkeit und mitleiden den Dementen nichts bringt, im Gegenteil. Dies sollten wir uns immer wieder klarmachen, wenn wir diesen Menschen wirklich helfen wollen. Dies thematisiert der Autor auch im folgenden Kapitel. Auch zeigt er auf, wie genau wir ihnen helfen können. Der richtige Umgang und auch die Validationsmethode wird im 8. Kapitel besprochen, was besonders für Pfleger und Angehörige interessant sein dürfte. Darauf folgt eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Therapieformen und der Vergabe von Medikamenten. Ich denke, dass ein Ruhigstellen der Patienten oft vermieden werden könnte, wenn man sich einfach mal mit den vielen Aspekten dieses Buches auseinandersetzt und in aller Stille darüber nachdenkt. Aber nur drüber nachdenken und begreifen hilft dem Patienten nicht, man muss es auch anwenden.
Dabei hilft auch nochmal das vorletzte Kapitel. Es wird dem Leser zu verstehen gegeben wie wichtig es ist, die wahren Bedeutungen hinter den Worten und Gesten verstehen zu lernen. Bildersprache ist dabei nur eins der Stichworte, aber auch eine Portion Humor ist ganz ganz wichtig. Zum Abschluss des Buches wird auf die terminale Geistesklarheit eingegangen, ein Thema was ich extrem spannend finde und zukünftig auch noch vertiefen möchte. Bei manchen an Demenz Erkrankten kommt es vor, dass sie kurz vor ihrem Tod nochmal klar werden und sich von den Angehörigen verabschieden. Sie äußern dann sogar oftmals, dass sie trotz der Krankheit alles mitbekommen haben, was um sie herum geschehen ist, wissen sogar was an ihrem Krankenbett alles erzählt wurde. Sie erlangen dann ihre Sprache wieder sowie ihr Erinnerungs- und Denkvermögen, obwohl dies durch die Gehirnschädigung wissenschaftlich betrachtet, nicht möglich ist. Oder auch im Koma liegenden Patienten wachen urplötzlich nochmal auf und es findet eine kurzzeitige Genesung statt. So schön dieses Erlebnis auch ist, es kündigt immer den Tod an. 50% versterben noch am gleichen Tag und die andere Hälfte innerhalb der nächsten zwei Wochen. Da ich ja selbst mal etwas Ähnliches, nämlich ein Nahtoderlebnis hatte, finde ich das Thema total faszinierend.
Mein Fazit:
Dieses Werk hat mich einfach geflasht und in meiner Entscheidung bestärkt in der Altenpflege tätig zu werden. Es sollte zur Pflichtlektüre für Pfleger werden, weil es das Potenzial hat, so vieles zum positiven zu verändern. Auch Angehörigen kann ich das Buch nur ans Herz legen, sogar denjenigen die mit "Esoterikkram" nichts anfangen können. Das Buch ist nämlich nicht total abgehoben und wenn man sein Herz öffnet, wird man den Nutzen erkennen. Herr Stolp versteht es, das Herz zu berühren und die Augen zu öffnen. Seine Warmherzigkeit spiegelt sich im kompletten Buchverlauf wider. Ich bin total beeindruckt, weil es noch besser ist als ich erwartet habe.