Eines gleich vorweg: Ich bin kein Fan! Ich habe viele Folgen gesehen, aber mehr so aus Zwang. Ich hatte immer Menschen in meinem Umfeld, die große Lindenstrasse Fans waren und jede Folge sehen wollten. Ich kann auch ganz gut ohne die Bewohner von Deutschlands bekanntester Strasse! Wirklich!
Aber ich gehöre zu denen die im Dezember 1985 die allererste Folge „Herzlich willkommen“ gesehen haben. Ich erinnere mich noch genau daran, weil ich mit meinen Eltern im Wohnzimmer saß und wir das Fernsehprogramm der TZ hatten. Auf diesem war vorne die fröhlich musizierende Familie Beimer zu sehen, mit Klausi, Benny und Marion. Natürlich in vorweihnachtlicher Stimmung. Vermutlich war irgendwo noch ein Adventskranz auf dem Bild. Mutter Beimer lächelte verklärt ob des seligen Familienidylls, doch Vater Beimer schaute schon damals gequält in die Kamera. So, als wüsste er, was da noch auf ihn zukommen würde. Helga hingegen strahlt und lacht sich seit beinahe 1000 Folgen durch die sonntägliche Serie – so als hätte sie nicht ihren Benny durch einen Unfall verloren, einen anderen Sohn mit latenter Neonazi Vergangenheit, einen rechtsradikalen Onkel, der an Alzheimer stirbt, einen Mann, der sie mit einer anderen Frau betrügt und mit dieser neue Kinder in die Welt setzt, eine Enkelin, die sich nach dem Krebstod der Mutter (Bennys letzter Freundin) völlig zurückzieht – soll ich noch mehr aufzählen? So was ist nicht normal und mir zutiefst zuwider! Menschen können nicht immer lachen! Müssen auch mal traurig sein! Aber die Rolle des depressiven Arbeitslosen hat ja schon Hansemann. Natürlich war er auch schon schlecht gelaunt, als er noch Arbeit hatte.
Überhaupt passieren in der Lindenstrasse ständig nur absolut schreckliche Dinge. Es sterben andauernd Menschen, werden ermordet, sind kriminell, haben tödliche Krankheiten, erblinden, werden taub, sterben an Drogen (manchmal auch an Tollwut), oder bringen sich um. Tanja Schildknecht zum Beispiel hat ihre gesamte Familie verloren: Ihre Schwester starb an Leukämie, ihre Mutter hat sich mit Tabletten umgebracht und der Vater hat sich halb totgesoffen und erfriert dann im Schnee. Super! Das macht Laune!
In dieser Strasse möchte ich nicht wohnen. Es gibt brutale Kleinkriminelle, die auch vor Mord nicht zurückschrecken oder andere Menschen zum Krüppel machen. Es gibt eine hysterische Hausmeisterin, die ständig alle nur anpöbelt und jetzt gibt es auch noch einen Psychopathen, der sich rächen will. Olaf Kling nämlich ist durchgedreht und will vier Frauen der Lindenstrasse erschießen (Gabi, Mary, Anna und Nina), weil er meint, diese seien schuld, dass seine Frau ihn verlassen hat. Möchte dort jemand einziehen?
Ich stelle mir immer vor, dass sich das Menschen ansehen, die nicht aus München oder Bayern kommen und gemütlich im Hamburg oder Berlin oder sonst wo sitzen und sich denken: „Mein Gott, in München geht’s ja zu!“ Denn diese Serie behauptet ja von sich immer wieder, dass sie nur das ganz normale Leben abbilde. Bitte??? Also mein Leben sieht anders aus und das meiner Nachbarn auch. Glück gehabt!
Trotzdem, die beiden Bände, die nun zur 1000sten Folge erschienen sind, sind wirklich opulent. Sie wiegen zusammen mehr als acht Kilo! Und sie sind von den Stars handsigniert – jedes von mindestens zehn. Man weiß also nicht, was man kriegt. Das Buch, das ich auf meinem Schreibtisch habe, haben zum Beispiel Andrea Spatzek, Georg Uecker, Irene Fischer, Ines Lutz, Marianne Rogée und Klaus Nierhoff signiert. Den Rest der Unterschriften kann ich nicht entziffern. Zusätzlich gibt es noch ein Riesenposter und vier Postkarten (die ich persönlich sehr scheußlich finde).
Für Fans ist das Werk jedenfalls eine wahre Fundgrube. Über 5.000 Fotos illustrieren jede der 1.000 Folgen, es gibt Infos zu allen Darstellern, ein Fotoalbum und vieles mehr. Wer also seine liebste Fernsehsippe immer bei sich haben will, der gehe los und kaufe sich eines der streng limitierten Bücher. Es wird nur 1.750 der signierten Exemplare geben.
Rezension zu "Lindenstrasse - 1000 Folgen in Text und Bild" von Hans W. Geißendörfer