Rezension zu "Das Wunder der Freiheit und Einheit" von Harald Bretschneider
Nein, niemals sollten wir es vergessen, dass von deutschem Boden ein furchtbarer Krieg sowie ein abscheulicher Genozid ausgingen. Aber da gibt es noch etwas. Niemals sollten wir vergessen, dass von deutschem Boden auch eine friedliche Revolution ausging. Und so wichtig es auch ist, sich daran zu erinnern, dass am 9. November in Deutschland die Synagogen brannten (und nie wieder darf es soweit kommen), so wichtig ist es auch, sich daran zu erinnern, dass am 9. November in Deutschland die Mauer fiel.
Dieses Buch ermöglicht es jedem und jeder, eine kleine innere Pilgerreise entlang der Stationen der Friedlichen Revolution von 1989 zu machen.
Und es hält, was es verspricht. Wenn es auch, wie bei jeder vernünftigen Pilgerreise, mühsame Passagen gibt. Dabei ist eigentlich die Struktur gut angelegt. Für jeden Tag vom 3. Oktober bis zum 9. November 1989 gibt es ein Kapitel, das immer eine Schilderung wichtiger Ereignisse an diesem Tag wiedergibt, überschrieben mit einer thematischen Überschrift und einer passenden Bibelstelle, dann je einen Abschnitt "Zeitzeugnis" und "Hintergrund". Gerade die Zeitzeugnisse sind aber nicht immer klar datiert, fassen oft individuell wieder einen größeren Zeitraum zusammen, springen von einer Zeitebene in die andere, so dass die Abfolge chronologisch etwas zerfasert. Zudem sind unter "Zeitzeugnis" meist Statements besonderer Persönlichkeiten abgedruckt, die einerseits zwar wirklich interessant sind, aber eben nicht immer das, was man sich unter dieser Überschrift vorgestellt hatte.
Aber dann ist es einfach nur wunderbar. Es ist ein Buch über den Glauben, der Berge versetzen kann, über die überragende Rolle der Kirchen, ohne die es diese unblutige Revolution nicht hätte geben können. Viele der Stellungnahmen sind Glaubenszeugnisse von Menschen, die überzeugt sind, dass hier Gott seine Finger erheblich im Spiel hatte.
Mit staunender Bewunderung lese ich, dass die DDR-Kirchen in den Achtziger Jahren begannen, den ihnen zugestandenen engen Freiraum zu nutzen, um "nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch" Oppositionszeitungen wie zum Beispiel die "Umweltblätter" herauszugeben und Bibliotheken mit eigentlich verbotenen Büchern zu eröffnen. Einiges hat mich sehr berührt, wie zum Beispiel der Abdruck des Liedes "Der Riss" von Jörg Swoboda, der inspirierende Bericht des Klavierfacharbeiters Frank-Michael Rommert, oder das kraftvolle Glaubenszeugnis eines ehemaligen Bausoldaten (als solche wurden Wehrdienstverweigerer interniert). Ausdrücklich weist das Buch darauf hin, dass der Zusammenfall des Tages der unbeabsichtigten Öffnung der Mauer mit dem Gedenktag an die einstige Reichsprogromnacht eine ganz starke Symbolik aufweist: "Ein Gnadengeschenk am Tag der größten Scham."
Und wir finden wegweisende Zitate wie dieses von Pastor Manfred Kern i.R., der einst in die DDR übergesiedelt war, um dort seine Aufgabe als Seelsorger auszufüllen, und am Tag seiner Ordination vom Mauerbau erfahren hatte (und der, wie ich finde, alle Autorität hat, einen Satz wie diesen zu formulieren):
Ich bin davon überzeugt, dass der Abbruch der Mauer bereits am Tage ihrer Errichtung begann, und zwar mit dem Durchbruch des Vertrauens zu unserem Herrn Jesus Christus, der bei uns bleibt alle Tage, dem wahrhaft gegeben ist alle Gewalt auch hinter allen Mauern der Welt.
Es ist an der Zeit, sich zu erinnern.