Cover des Buches Und dann diese Stille (ISBN: 9783462041910)
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Rezension zu Und dann diese Stille von Harriet Köhler

Rezension zu "Und dann diese Stille" von Harriet Köhler

von Clari vor 14 Jahren

Rezension

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Clarivor 14 Jahren
Schweigen und Sprachlosigkeit: Bilanzen zwischen Vätern und Söhnen.... Drei Männer trauern um eine Frau: Grethe ist tot. Die Frau von Walther, Mutter von Jürgen und Großmutter von Nicki ist an einem Schlaganfall gestorben. Das ist die nackte Tatsche, und nackt, nüchtern und erkältend in ihrer Sprachlosigkeit sind die Figuren, die um sie trauern. Walther war lange Jahre im Krieg und hat seinen Sohn Jürgen erst nach den dessen ersten zehn Jahren seines Lebens kennen gelernt. Das Verhältnis blieb kühl und fern. Nicki, der Enkel, ist mit seiner Freundin Ruth in der neuen, heutigen Zeit angekommen. Drei Männer und drei Schicksale. Ihren Spuren folgt man, um mehr über ihre Beziehungen unter einander zu erfahren. Dabei entdeckt man die Härten und Kanten, die sie zu denen gemacht haben, die sie heute sind. Jürgen, der Mittlere, der mit seinen 68 Jahren auch schon in Rente ist, beobachtet, reflektiert und spürt am meisten, was ihm fehlt: “ Er weinte und stand da und dachte an seinen Vater, der wahrscheinlich immer noch vor seiner Hecke stand, und weinte noch mehr, weil er wusste, dass seine Gefühle ungerecht waren, dass er Sohn seines Vaters war und Vater eines Sohnes und er dennoch nichts gegen das Gefühl tun konnte, völlig alleine zu sein.“ Hier ist ein Mann in seinen Kokon eingesponnen, ohne einen Ausweg zu sehen. Harriet Köhler gehört zu jenen Autorinnen, die mit Worten Emotionen beschreiben, die vertrocknet im tiefsten Inneren eines Menschen schlummern, ohne ans Tageslicht zu gelangen. Und doch: jeder der drei Männer lebte in seiner eigenen Zeit. Walther gehörte als Soldat mit anschließender Gefangenschaft zur Kriegsgeneration, für die Überleben alles war, und die für den Rest ihres Lebens geschädigt blieben. Jürgen hat die Verlassenheit des Vaterlosen erfahren, wie sie viele seiner Generation erlebt haben. Sie sahen Väter, die gebrochen aus dem Krieg zurückkamen und sich mit ihrem barschen, abgeschotteten Wesen den Rest ihres eigenen Lebens und das ihrer Familien vergällten. Frauen , die ergeben hinnahmen, dass es die Liebe nicht mehr gab,--allenfalls Gewöhnung. Ein ganzes Jahrhundert spiegelt sich in diesem Roman. Da wird nichts ausgelassen oder beschönigt, und Trost findet man auch nicht. Harriet Köhler hat sich der Beklagenswerten und Verlorenen angenommen. Ihr Stil ist stringent und die Atmosphäre wird treffend wiedergegeben. Sprache und Inhalt ergänzen sich zu einem schlüssigen Bild. Die Autorin sucht hinter der Sprachlosigkeit nach den tieferen Gefühlen ihrer Protagonisten, und es gelingt ihr, die Spur einer feinen und zarten Annäherung aufzuzeigen. Schon in ihrem ersten Roman „ Ostersonntag“ geht es Harriet Köhler um Vereinzelung und Sprachlosigkeit zwischen Familienmitgliedern. In ihrem neuen Roman führt sie uns das Thema noch einmal krass vor Augen. Es ist ihr gelungen.
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