Rezension
Aufgewachsen ist der amerikanische Autor Harry Crews (1935 – 2012) in Georgia in einer typischen „white trash“ Familie. Als Siebzehnjähriger verpflichtet er sich zum Militär und zieht in den Korea Krieg. Dank der GI Bill (Förderprogramm für Veteranen) hat er Zugang zur Universität und macht seinen Abschluss an der University of Florida, wo er anschließend dreißig Jahre Creative Writing unterrichtet.
Die Erfahrungen seiner Kindheit prägen seine Sicht auf die Welt. Schonungslos direkt beschreibt er das Leben derjenigen, für die der amerikanische Traum auf ewig eine Illusion bleiben wird. So auch in „Florida Forever“, seinem vorletzte Roman.
Wer kennt sie nicht, die Rentnerparadiese in den Vereinigten Staaten? Abgeschlossene Lebensräume für Senioren in traumhafter Landschaft, gut bewacht und komfortabel, mit allen Annehmlichkeiten, die man sich nur wünschen kann. Dort zu leben lässt sich allerdings nur dann realisieren, wenn man das nötige Kleingeld hat. Aber wo verbringen diejenigen ihren Lebensabend, denen die finanziellen Mittel für ein Luxusdomizil fehlen, die sich aber dennoch den Traum vom sonnigen Rentnerparadies erfüllen möchten? Richtig, sie mieten sich in „Forever and Forever“ in Südflorida ein.
Besitzer dieses Domizils ist der Kriegsveteran Stump, der nach einem Unfall die ausgezahlte Versicherungssumme in ein Stück Land investiert und dieses zu einem Trailer Park für Senioren ausbaut. Von Komfort keine Spur, alles ist höchst provisorisch und primitiv. Die Frage ist nur, wer auf Stumps falsche Versprechungen hereinfällt und dann auch dort hängenbleibt.
Es sind diejenigen, die nicht die Mittel haben, ihren Ruhestand in einer kostspieligen Seniorenresidenz zu verbringen, die Loser und der White Trash, die durch alle Netze des Systems gefallen sind und nun in „Forever and Forever“ mehr oder weniger vor sich hin vegetieren.
Aber glücklicherweise gibt es dort eine junge Frau, Susanna French, die sich mittlerweile Too much nennt, die achtzehnjährige Freundin Stumps, die nicht nur ihre Energie, sondern auch noch eine geballte Ladung Erotik dafür einsetzt, den älteren Herrschaften – die Betonung liegt auf Herr - Lebensfreude zurückzugeben und zu aktivieren. Sie setzt ihren Kopf durch und geht mit diesem auch durch die Wand, wenn es sein muss. Aber ist das, was sie tut, wirklich ganz uneigennützig? Geht es der jungen Frau um die Verbesserung der Lebensbedingungen in „Forever and Forever“ oder geht es hierbei nur um Macht und Einfluss?
Es ist ein Panoptikum skurriler Personen, denen wir in „Florida Forever“ begegnen. Schrill und grotesk beschreibt Harry Crews das Leben der Senioren in dem Trailer Park zwischen zweitem Frühling und dem endgültigen Sprung in die Grube. Die Widergabe dessen ist nicht gefällig, sondern schamlos direkt, provokativ und entlarvend. Oft überschreitet er Grenzen, auch die des guten Geschmacks. Aber was hat das schon zu bedeuten, wenn man als alter Mensch in einem Ghetto lebt und vom Wohl und Wehe seiner Mit-Alten abhängig ist. Dann darf man schon einmal einen entsprechenden Ausspruch hinrotzen.