Rezension zu "Abwesende Väter und Kriegskindheit" von Hartmut Radebold
Schon 2004 hatte der selbst von seinem Thema betroffene Psychoanalytiker Hartmut Radebold unter dem Titel "Abwesende Väter und Kriegskindheit" bei Vandenhoeck und Ruprecht in Göttingen eine Auswertung von zehn langfristigen Psychoanalysen vorgelegt, in der er versuchte zu beschreiben, welche langfristigen Folgen für die Lebenssituation der heute 50- bis 65 -Jährigen die Tatsache hatte, dass ihre Väter kriegsbedingt nicht für sie da waren.
Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der direkten Nachkriegszeit haben die Kindheit unzähliger Menschen tief geprägt. Ihnen selbst war meist nicht viel geschehen, doch sie erlebten schon während des Krieges und besonders danach erhebliche und für sie tiefgreifende familiäre Veränderungen. Und das hing mit ihren abwesenden Vätern zusammen. Entweder waren sie im Krieg gefallen oder jahrelang vermisst, bis sie für tot erklärt wurden, oder sie kamen als regelrechte seelische und körperliche Wracks aus dem Krieg oder der oft jahrelangen Gefangenschaft zurück und trafen auf eine Familie, die längst gelernt hatte ohne sie zu leben.
Für die Kinder aus diesen Familien ( insgesamt ein Viertel aller Kinder wuchsen damals vaterlos auf) bedeutete dieses Schicksal, dass sie mit erheblichen Entwicklungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten, die damals aber nicht erkannt oder gesehen wurden. Erst in späteren Analysen, wenn die Menschen mit ihrem Leben nicht zurechtkamen, tauchten diese Fragen auf und konnten bearbeitet werden.
Hartmut Radebold zeigt in seinem nun bei Klett-Cotta in völlig überarbeiteter und ergänzter Form wieder aufgelegten Buch, wie es seinen Patienten gelingt, nicht zuletzt durch seine durch seine eigenen Betroffenheit geprägten emotionale Haltung, einen Zugang zu finden zu ihrer bisher abgewehrten und verleugneten Kriegskindheit und ihren abwesenden Vätern.
Das Buch hat mich betroffen gemacht und mich, obwohl es eine völlig andere Situation ist, immer wieder daran erinnert, wie viele Kinder heute mit abwesenden Vätern aufwachsen müssen. Schon bald werden sich die Analytiker mit dieser Form der Vaterlosigkeit im Frieden beschäftigen und ich wage zu prophezeien, dass man herausfinden wird, dass eine Kindheit ohne Vater mit nur gelegentlichen Kontakten, für Jungen und Mädchen sicher unterschiedliche, aber doch für ihr Leben und ihre Beziehungs- und Liebesfähigkeit enorme Auswirkungen haben wird.
Wer sich dem Thema "Abwesende Väter" literarisch nähern möchte ,dem empfehle ich den neuen Roman von Harriet Köhler "Und dann diese Stille", der bei Kiepenheuer und Witsch 2010 erschienen ist.