Cover des Buches Ein deutsches Mädchen (ISBN: 9783608503753)
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Rezension zu Ein deutsches Mädchen von Heidi Benneckenstein

Dezente Diversität

von jamal_tuschick vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Ein wichtiger Beitrag zum Neufaschismus in Deutschland.

Rezension

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jamal_tuschickvor 6 Jahren
Mit der Laubsäge schneidet sie die Bögen des deutschen Grenzverlaufs von 1937 aus einem Stück Holz. Den revanchistischen Geografiebegriff rechnet sie einer höheren Wahrheit zu. Auch über die Gaskammern weiß sie besser Bescheid als die Unterwanderten. Heidrun, genannt Heidi, korrigiert ihre Deutschlehrerin, die von der Nationalhymne nur die dritte Strophe zu kennen scheint. Die Pädagogin duckt sich weg vor dem feuerfesten Hitlermädchen, das mit alternativer Attitüde seinem Weltbild die plakative Offensichtlichkeit verweigert.
Zuhause reinigt der nationalsozialistische Vater die deutsche Sprache und verwüstet die Seelen seiner Kinder. In ländlich-bayrischer Umgebung genießt der Holocaustleugner Ansehen. Man begreift ihn als engagierten Zeitgenossen. Er selbst sieht sich als antisemitisches Bollwerk gegen den Multikulturalismus. In seinem Nachwuchs erkennt er die saubere Zukunft Deutschlands. Er erzieht im Geist des politischen Soldatentums. Er zieht Führungskräfte für das IV. Reich auf.
In ihrer Aussteigerbiografie Ein deutsches Mädchen erzählt Heidi Benneckenstein von einem Faschismus im Dirndl. Sie lotet die Selbstverständlichkeit aus, mit der Faschismus stattfindet. In einer bundesweiten, durchgängig bürgerlichen Gemeinschaft werden die Töchter und Söhne an den demokratischen Strukturen vorbei zu Kadern geschmiedet. Als Erwachsene begegnet man ihnen als Verantwortliche in neonazistischen Gliederungen. Das jedenfalls behauptet Benneckenstein. Sie beschreibt eine rechte Jugendkultur ohne die Merkmale des Mobs. Eine dezente Diversität erschwert zunehmend die Identifizierung. Rechtsradikale kopieren alle möglichen Formate vom Biedermann bis zum Schwarzen Block. Die Demokratiefeinde spielen mit den Formularen der Demokratie. Sie besetzen die Räume, die von einer trägen Mehrheit preisgegeben werden. Anscheinend kann man in unserer Gesellschaft völkisch leben, ohne anzuecken.
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