Gelesen wird in unserer Familie sehr oft und auch relativ viel. Nun habe ich gemeinsam mit meinem Sohn ein Buch gelesen, bei dem wir beide (eigentlich) nicht der Zielgruppe der 9 - 11jährigen entsprachen, das uns aber schon von der Buchbeschreibung her unheimlich gut gefiel. Und so lasen wir gemeinsam erstmals ein Buch der norwegischen Kinder- und Jugendbuchautorin Heidi Linde. Und schon der Titel GLATT GELOGEN – DIE SCHRÄGSTE FAMILIE DER WELT, sowie das Buchcover weckte in uns die Leselust.
Das Cover:
Nachdem wir das Buch gelesen habe, muss ich sagen, dass das Cover außergewöhnlich gut zur Handlung passt – die einzelnen Familienmitglieder wurden treffend dargestellt: Der schnarchende Vater mit geschlossenen Augen und weit aufgerissenem Mund, barfuß und im Pyjama. Sanna, Pyms ältere Schwester, mit dem kegelförmigen Chinesenhut auf dem Kopf – auch dazu gibt es ein Kapitel im Buch. Pym, die vollkommen gewöhnlich wirkt. Sigmund mit der Gabel in der Hand, auf der ein Fleischklößchen aufgespießt ist, während auf seinem T-Shirt ist ein durchgestrichener Burger zu sehen ist. Und die Mutter, deren Augen vom ständigen Schlafmangel geschwollen sind. Während sie gähnt hält sie eine Hand vor den Mund und am Hinterkopf wirken die Haare zerzaust wie ein Vogelnest. Alle zusammen stehen sie auf einem Stück Wiese, während der Opa mit einer Rakete an ihnen vorbeidüst.
Die Handlung:
Pym ist zehneinhalb Jahre alt und das Nesthäkchen der Familie Petterson. Kurz vor den Sommerferien bekommen die Kinder als Hausaufgabe, eine Geschichte über ihre Familie zu schreiben – und zwar eine wahre Geschichte! Doch was macht man, wenn man eine ganz gewöhnliche und äußerst langweilige Familie hat? Eines ist Pym schnell klar: Sie braucht eine Familiengeschichte, die wirklich spannend ist. Doch eine solche Geschichte zu schreiben ist gar nicht so einfach , und so bleibt Pym nicht immer so ganz bei der Wahrheit. Blöd nur, wenn Hilde, Pyms Lehrerin, bemerkt, dass Pym ihre Familiengeschichte erfunden hat. Und so beginnt die Arbeit für Pym mehrmals noch einmal von vorne...
Meine Meinung:
Ein bezauberndes Kinderbuch, das Pym Pettersons Leben aus ihrer Sicht beschreibt – angefangen beim Familienleben, über die Freizeitbeschäftigung bis zu den Ereignissen in der Schule. Dabei sind die Ereignisse oft ganz banal, jedoch wurde aus den alltäglichen Begebenheiten, die für Pym nichts Besonderes darstellen, kleine, äußerst unterhaltsame Episoden.
Pym sollte, laut Arzt, eigentlich ein Junge werden. Doch oft kommt es anders, als man es erwartet und so staunt die Familie, als ein Mädchen das Licht der Welt erblickt. Und dieser Tatsache verdankt Pym ihren Namen, denn der Name Trym wurde ja ursprünglich für einen Jungen ausgewählt. Und als man sich dann nach einiger Zeit auf den Namen Victoria festlegte, wurde die Kleine längst von allen nur noch Pym genannt – und das blieb dann auch so.
Sanna ist Pyms Schwester, die etwa drei Jahre älter ist. Und wie bei Geschwistern oft üblich, sind die beiden Mädchen völlig unterschiedlich. Und so legt Sanna viel Wert auf ein Smartphone, chice Kleidung und Mädchenkram – eben für Dinge, die in Pyms Leben keine (große) Rolle spielen.
Sigmund, Pyms älteren Bruder, und gleichzeitig Sannas Zwillingsbruder fand ich auch recht unterhaltsam. Der Vater von Pym hat die Eigenschaft, dass er sehr laut schnarcht, weshalb die Mutter meist völlig übermüdet wirkt – da kann es infolge dessen schon mal vorkommen, dass sie mit zwei verschiedenfarbigen Schuhen zum Einkaufen geht.
Die Aufgabenstellung von Lehrerin Hilde stellt Pym vor ein großes Problem: In ihrer Familie ereignen sich nur Belanglosigkeiten, während in den Familien der Mitschüler immer spannende Geschichten zu finden sind. Da möchte Pym natürlich mithalten können und erfindet einige Dinge dazu – wobei sie natürlich zu maßlosen Übertreibungen neigt. Die Phantasiegeschichten sind selbst für die Leser durchschaubar und wirken alleine daher schon äußerst witzig. Wie gut, dass Pym ein Beweisstück zu einer ihrer Geschichten, in der Schule dabei hat – den „Diamanten“, den einst die Präsidentengattin Jacky Kennedy trug. Aber weshalb schenkt Hilde ihr nur keinen Glauben?
Sehr gut gefiel mir die Zusammenstellung der einzelnen Familiengeschichten von Pyms Mitschülern – manche waren eher witzig, andere dagegen sehr traurig und bedrückend. So erzählt Sofia in ihrer eher heiteren Geschichte, wie sie einst als Frühchen auf die Welt kam. Lukas dagegen erzählt, wie sein Urgroßvater in einem Konzentrationslager an einer Lungenentzündung verstarb.
Aber auch das Thema Adoption spielt im Buch eine wichtige Rolle, denn die Familie Petterson wartet sehnsüchtig auf die Ankunft der kleinen Helga Sun, einem Baby aus China. Die Kleine wird von Onkel Jan und Tante Unni adoptiert und Pym und ihre Geschwister bekommen somit eine neue Cousine, auf die sie sich schon sehr freuen.
Ganz klar, dass Kinder bei den vielen Erzählungen auch einiges dazulernen. So erfährt man beispielsweise, dass es weltweit Unmengen an Kriegen gibt und sich Schweden am 2. Weltkrieg nicht beteiligte, sondern sich neutral verhielt. Man erfährt etwas über die Mondlandung (Pym vermutet, dass keiner den dritten Mann auf dem Mond kannte), und man lernt etwas über Gene und die Vererbung.
Natürlich hat so ein Buch auch eine Botschaft: Was für einen selbst nichtssagend und belanglos ist, kann auf außenstehende Personen spannend und unterhaltsam wirken. Jede Familie ist einzigartig, und selbst in scheinbar langweiligen Familien ereignen sich stets interessante Dinge, die man als Familienmitglied selbst oft gar nicht wahrnimmt. Und so muss man nichts erfinden, sondern kann ganz getrost bei der Wahrheit bleiben.
Etwas gewöhnungsbedürftig dürfte es für die Leser sein, dass die Kinder ihre Lehrerin beim Vornamen nennen. In Norwegen, dem Land, aus dem das Buch ursprünglich stammt, scheint das wohl so üblich zu sein.
Ich finde es immer toll, wenn sich in einem Kinderbuch auch Illustrationen befinden, vor allem auch dann, wenn ein Kind kein so begeisterter Leser ist. Die meist recht kleinformatigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen in diesem Buch passen sehr gut zum Inhalt und unterbrechen den Text, laden zum Betrachten ein.
Die kurzen Kapitel mit den witzigen Überschriften sind relativ kurz gehalten, so dass sich das Buch auch als Vorlesegeschichte für jüngere Kinder, z.B. als Gute-Nacht-Geschichte eignet. Im 239 Seiten starken Buch befinden sich ganze 30 Kapitel – jedes einzelne davon konnte uns begeistern.Schön, dass sich vorne im Buch auch ein Inhaltsverzeichnis befindet. Dies macht zum einen schon einmal extrem neugierig auf das Buch, zum anderen erleichtert es die Suche ungemein, wenn man zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal etwas nachlesen möchte.
Sehr gut könnte ich mir dieses Buch als Leseprojekt in der Schule vorstellen oder als Lesestoff für eine Lesenacht, wie sie auch bei unseren Kindern in der Schule stattfand und großen Anklang fand - sowohl bei den Schülern, als auch bei den Lehrern.
Unsere Lieblingsbuchstellen:
Eine der Lieblingsstellen meines Sohnes:
Pyms Vater ist nicht unbedingt ein Vorbild für seine Tochter, wenn es um die Wahrheit geht. So muss er wegen seines lauten Schnarchens eine Nacht in einem Schlaflabor verbringen. Blöd nur, wenn der Schlaf überwacht wird, man aber hellwach bleibt. Da hilft wohl nur schummeln und sich schlafend stellen – natürlich inklusive Geschnarche. Doch ob Pyms Vater damit wohl durchkommt?
Pym besucht mit ihrer Mutter ein Einkaufszentrum und vergleicht das Parkhaus mit einem überdimensionalen Bären. Man fährt durch das Bärenmaul in das Parkhaus und die Speiseröhre hinunter in die einzelnen Magenetagen. (Die Illustration dazu wertet das Ganze noch zusätzlich auf.)
Einige meiner Lieblingsstellen:
Sigmund hat beschlossen, fortan als Vegetarier zu leben. Doch ausgerechnet an diesem Tag, als er dies der Familie mitteilt, gibt es sein Lieblingsessen. Und das besteht nun mal aus Fleisch. Die Familie freut sich bereits auf die Extraportion, die nun jeder Fleischesser erhalten wird, wenn Sigmunds Anteil unter ihnen aufgeteilt werden wird. Doch wird Sigmund dem Lockruf der Fleischbällchen widerstehen können? Fleisch oder nicht Fleisch – das ist hier die Frage...
Pym ist bei ihrer Freundin Sofia zu Besuch. Sofias kleinen Schwestern spielen mit ihren Pet-Shop-Kätzchen und möchten dass die beiden älteren Mädchen ebenfalls mitspielen, doch die fühlen sich zu alt für solche Kinderspiele. Plötzlich jedoch spielen alle gemeinsam mit den Figuren und vergessen dabei alles um sich herum, da sie vollkommen in das Spiel vertieft sind. Und so antwortet Pym, als ihre Mutter anruft mit einem Miauen.
...und natürlich waren wir auch ganz besonders von Pyms angeblichen Familiengeschichten begeistert, die sie erfunden hatte.
Fazit:
Ein sehr humorvolles und unterhaltsames Kinderbuch, das auch älteren Lesern gefallen wird. Die Sprache ist kindgerecht, die Zeichnungen passen zur Handlung und sind aussagekräftig. Die schrägste Familie der Welt? Nein, das sind die Pettersons wirklich nicht, aber Pym schildert ihre (fast) vollkommen gewöhnliche Familie als solche – dabei werden völlig normale Alltagsgeschichten zu kleinen Anekdoten, die den Leser zum Schmunzeln bringen. Die Handlung ist sehr amüsant und hat uns beim gemeinsamen Lesen viel Vergnügen bereitet. Von uns erhält das Buch daher eine absolute Leseempfehlung und 5 Sterne.