Ich muss zugeben auch mir war die Picardie bislang nicht wirklich bekannt. Bisher dachte ich wohl eher an die gleichnamigen Gläser eines französischen Herstellers, welche meine Kinder gerne in Gebrauch haben.
Zwar reizen mich Amiens und die Somme-Bucht schon länger, allerdings hatte ich mich mit der Picardie in Gänze noch nicht befasst. Das lag sicherlich auch an der bis jetzt vorhandenen Reiseliteratur zu Nordfrankreich, die den Blick doch meist in die Normandie schweifen ließ. Einen Reiseführer zur Picardie gab es schließlich nicht.
Der Trescher Verlag hat diesen Missstand nun behoben und dank der Autorin Heike Bentheimer wurde eine hervorragendes Werk geschaffen, welches gleich in Erstauflage absolut zu überzeugen weiß.
Viel erfährt man in diesem Reiseführer, sehr viel. Die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe werden, typisch Trescher, intensiv beleuchtet. Aber auch alle anderen (touristischen) Aspekte werden eingehend berücksichtigt. Ich wüsste nicht wie man diese Region in einem Reiseführer noch umfänglicher darstellen könnte.
Vor dem Reiseteil werden "Land und Leute" im gleichnamigen Kapitel sehr ausführlich vorgestellt. Zur Geographie, Sprache, Kultur, Brauchtum, Essen und Trinken erfährt man allerlei Wissenswertes. Zur Geschichte und Politik, sowie zur Kunst und Architektur werden von der Antike über die vielen Kriege bis in die heutige Zeit die Hintergründe besonders umfangreich dargestellt. Das ganze Kapitel wirkt wie ein kleines in den Reiseführer integriertes Geschichtsbuch, jedoch nicht schnöde, sondern spannend und unterhaltsam vorgetragen.
Die Hauptkapitel wurden, wie sollte es anders sein, in die drei Départements Somme, Oise und Aisne gegliedert.
Zu Beginn gibt es immer eine Übersichtskarte und eine kurze Einleitung, welche einen Vorgeschmack auf die Besonderheiten und Höhepunkte des jeweiligen Départements liefert.
Ausführlichkeit und Informationsgehalt sind in den folgenden Ausführungen ebenfalls enorm.
Die Stadtgeschichte und die kulturellen Schätze Amiens werden sehr umfassend dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit wird selbstverständlich der Kathedrale Notre-Dame zuteil. Eingehend werden die vielen Aspekte (Portale, Fenster, Domschatz, usw.) des weltberühmten Kirchenbaus (größte Kathedrale Frankreichs, Vorbild für den Kölner Dom, UNESCO-Weltkulturerbe) präsentiert.
Viel Raum nehmen auch die anderen beeindruckenden historischen Bauwerke wie Kirchen, Klöster, Schlösser und Burgen ein. Die Picardie hat in diesem Bereich auch wirklich sehr viel Sehenswertes zu bieten. Logisch, dass bei der Vielzahl gewiss nicht jedes Bauwerk, vor allem in den eher kleineren Gemeinden, Berücksichtigung findet. Die bedeutenden und touristisch gut zugänglichen Gebäude wurden, soweit ich das beurteilen kann, allerdings in Gänze in das Buch aufgenommen.
Gerade das Département Oise bietet, wie ich finde, eine unglaublich eindrucksvolle Ansammlung an derartigen Sehenswürdigkeiten. Schlösser und Burgen wie man sie in dieser Dichte und Ausgestaltung wohl kaum anderswo vergleichbar finden wird. Genannt seien das Schloss Chantilly, das Schloss Compiègne und das quasi gegenüber liegende Schloss Pierrefonds, welches (ursprünglich als Burganlage konzipiert) König Ludwig II. als Inspiration für Neuschwanstein diente.
Aber auch das Département Aisne offeriert beispielsweise mit der auf einem Tafelberg liegenden Mittelalterstadt Laon und der dortigen bedeutenden frühgotischen Kathedrale ausgesprochen sehenswerte Orte.
Freilich ist daher der kulturelle und historische Schwerpunkt des Reiseführers klar zu erkennen, trotzdem deckt das Buch auch die weiteren Facetten der Region sehr gut ab. Man erfährt ebenso interessante Gegebenheiten aus der aktuellen Zeit. Anekdoten zu berühmten Persönlichkeiten wie z. B. Jules Verne und dem aktuellen Präsidenten Frankreichs, sowie zu deren Verbindung, werden aufgeboten.Die Natur, allen voran die Baie de Somme, lässt sich gleichfalls wunderbar erkunden. Weiterhin finden sich zahlreiche Hinweise zu verschiedensten Unternehmungen, welche einen Aufenthalt für die ganze Familie erlebnisreich machen sollten. Am Ende des Buches (Reisetipps von A bis Z) gibt es neben etlichen allgemeinen Hinweisen auch einen Abschnitt zu "Reisen mit Kindern". Dort erhält man eine Auflistung der besonders für die kleinen Urlauber geeigneten Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten, jeweils mit Verweis zur entsprechenden Seite im Buch.
Überhaupt sind die Tipps und Hinweise im Reiseteil sehr vielfältig und umfassend. Ob zum ÖPNV, zu Parkmöglichkeiten, Campingplätzen, zur ärztlichen Versorgung, zu vielen verschiedenen Aktivitäten (wie Reiterhöfen, Fahrradverleih, Wassersportangebote, usw.), zu Einkaufsmöglichkeiten (Schokolade, Wein, Käse und Co.), zu Kulturveranstaltungen (wie historische Feste oder Konzerte) oder zu den klassischen Dingen wie Übernachtungs- (Hotels, Gästehäuser, Jugendherbergen, usw.) und Einkehrmöglichkeiten (Restaurant, Weinbar, Café und Co), sowie zu den vielen Museen und Sehenswürdigkeiten erhält man allerlei aussagekräftige und detaillierte Informationen. Die Autorin hat hier eine wirklich lobenswerte Fleißarbeit geleistet und dabei vielen unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung getragen.
Die tolle Bebilderung, die detaillierten Stadtpläne und die separaten textlichen Einschübe ("Extra") mit spannenden Hintergrundgeschichten runden die Darstellung perfekt ab.
Ein Reiseführer wie man ihn sich besser eigentlich nicht wünschen kann. Da hat sich das Warten doch gelohnt!