Heimito von Doderer ist für mich der Thomas Mann der untergegangenen K. und K . Monarchie. Wortgewaltig und mit feiner Ironie mäandert er in diesem Roman unter häufiger Verwendung von Vorgriffen und Rückbezügen durch einen ganzen Kosmos an Verflechtungen und Beziehungen im Wien der Jahre 1910/11 und 1923-25. Streckenweise ein wenig zu belehrend und langatmig entwickelt er ein faszinierendes, überaus facettenreiches Bild der Wiener Gesellschaft. Sicher keine leichte Lektüre, aber ein sprachlicher und intellektueller Genuss, wie man ihn nicht allzu häufig findet.
Heimito von Doderer
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Neue Bücher
Alle Bücher von Heimito von Doderer
Die Strudlhofstiege
Die Merowinger oder Die totale Familie
Ein Mord den jeder begeht
Die Wasserfälle von Slunj
Die Merowinger
Die erleuchteten Fenster oder die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal. Ein Umweg
Die Erzählungen
Tangenten
Neue Rezensionen zu Heimito von Doderer
Rastoke im gebirgigen Mittelteil von Mittelkroatien mit seinen gut erhaltenen Mühlen und den malerischen kleinen Wasserfällen (‚von Slunj‘) war eines der Ziele der Hochzeitsreise des englischen Hochzeitspaars Robert und Harriet Clayton. (Aber auch für das tragische Ende bildet dieses landschaftlich reizvolle Eck den Handlungsort.) Bei ihrer Rückkehr nach ‚Brindley Hall im südwestlichen England erfahren sie, dass Vater Clayton inzwischen in Wien ein Werk für landwirtschaftliche Maschinen errichten lässt.
Und so kann der Leser nicht nur die Geschichte der Familie Clayton über 3 Generationen verfolgen, sondern auch die des Maschinen-Werks ‚Clayton und Powers‘. Nebenbei erfahren wir auch vom beruflichen Aufstieg von Josef Chwostik: von seiner Stellung in der Devotionalien-Erzeugung (+ seiner beengten und seltsamen Wohnverhältnissen) zum Kanzlei-Chef. Auch von einer Gruppe Gymnasiasten, dem Metternich-Club, und von Mann und Frau, denen es nicht gelingt, ‚einen wirklichen Kontakt zu bekommen‘ lesen wir.
‚Es kommt halt immer was vor‘ hat einmal ein Wiener Beisl-Kellner in Ottakring es so schön zusammengefasst.
Dieses Buch gewährt uns einen Einblick in die ‚dritte Gesellschaftsschicht‘ – das Unternehmertum – des Wiens um 1900 mit Droschken, mit Dienstmädchen und allem, was dazugehört. Überrascht hat mich, dass zu der damaligen Zeit im Hotel ‚Britannia‘ schon geduscht werden konnte (S 343), schwappte doch die Erfindung der Dusche erst 1879 von den französischen Gefängnissen in den deutschsprachigen Raum des damaligen Europas.
Begeistert hat mich der Aufbau der Geschichte: Wie bei einer filigranen Klöppel-Handarbeit wurden manche Fäden (Personen) dazwischen unbeachtet gelassen, später wieder aufgenommen und ich staunte immer wieder über die faszinierenden Zusammenhänge! Viele Ausdrücke waren für mich ungewohnt, da nicht mehr gebräuchlich, und ich musste auch durch die Länge der Sätze höllisch aufpassen, dass ich nichts überlas. Zum Schnelllesen ist dieses Buch völlig ungeeignet!
Was mich jedoch sehr abstieß und zusehends nervte: die überhebliche, abwertende Art, mit der der Autor manche Personen beschrieb: ‚das Knollengewächs‘, ‚die alte Runzel‘, ‚das Dickerchen‘ mit ‚seinem fetten Lachen‘ usw. (die Wirkung wurde auch nicht durch x Wiederholungen besser)! Das schmälerte meinen Genuss erheblich, so dass ich in meiner Bewertung nicht über 3,5 Sterne hinauskomme, aufgerundet auf 4!
Die geschilderten Vorgänge im Wien von vor 100 Jahren berühren mich nicht in einem Maße, um mich 900 Seiten bei der Stange zu halten. Das Beziehungskonstruckt ist verwirrend komplex, es gibt Naturbeschreibungen die ich nicht mag. Die Sprache ist antiquiert austrizistisch, daher etwas schwer verständlich, hat quälend langweilige Passagen aber auch brillante und witzige Stellen. Sehr ambivalente Lektüre. Hat mir eher nicht so gut gefallen.
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