Cover des Buches Professor Unrat (ISBN: 9783499100352)
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Rezension zu Professor Unrat von Heinrich Mann

Rezension zu "Professor Unrat" von Heinrich Mann

von Morgenröte vor 15 Jahren

Rezension

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Morgenrötevor 15 Jahren
Das Buch "Professor Unrat", welches Jahre nach seinem Erscheinen mit Marlene Dietrich in der Hautrolle als "der blaue Engel" verfilmt wurde, ist ein - aufgemerkt nun also!, wie Unrat sagen würde - wunderbar groteskes, gesellschaftskritisches Werk. Unser Protagonist, der Gymnasialleher Prof. Raat, wird von allen Bewohnern seiner kleinen Stadt nur Unrat genannt. Der Professor ist ein typischer Welthasser, der seine Schüler als Feinde betrachtet, die hineingelegt werden müssen. Sein größer Gegner ist dabei der Schüler Lohmann, welcher aus reichem Hause kommt, gut aussieht und sich während des Unterrichts meist mit seiner privaten literarische Bildung beschäftigt. Als der Lehrer in dessen Klassenheft ein Gedicht an die herre Künstlerin Fröhlich entdeckt, sieht er die Gelegenheit gekommen, Lohmann endlich zu entlarven und begibt sich auf die Suche nach diesem Weibsbild. Nach langer Suche findet er sie in einer Hafenspelunke, dem blauen Engel, und hält sich in der Absicht, seine Schüler von der Sängerin fernzuhalten, immer öfter in deren Garderobe auf. So geschieht es, dass auch Unrat in den Bann der Fröhlich gezogen wird, diese auf ein Podest stellt und öffentlich ihre Ehre verteidigt. Als logische Konsequenz daraus, wird Unrat Gespött der Gesellschaft und aus dem Schuldienst entlassen. Aber auch dann kommt er nicht von Rosa los, heiratet sie und beginnt mit ihr ein ausschweifendes Leben. Um diesen kostspieligen Lebensstil aufrecht zu erhalten bedient sich das Ehepaar Raat recht ungewöhnlicher Mittel und plötzlich scharrt sich die ach so moralische Gesellschaft um das ehemalige Objekt ihres Spotts. Letztendlich gehen die meisten, einschließlich dem ungleichen Paar, daran zu Grunde. Nur diejenigen die sich nicht in den Sog des Lasters ziehen lassen haben, allen voran Lohmann, überleben die ganze Geschichte schadlos. Heinrich Mann beschreibt in seinem Roman die Wandlung des Schulsystems in der Kaiserzeit vom humanistischen Bildungsideal zum militärischen Drill einer Beamtenlaufbahn. Aber meiner Meinung nach war diese Sozialkritik nicht Hauptinhalt des Romans. Im Vordergrund steht vielmehr die Beobachtung der Gesellschaft, der vorherrschenden Doppelmoral und der kleinen und großen Schwächen der Menschen. Da wäre unserer Professor Raat, der sein tyrannisches Verhalten nur an den Tag legt, um seine Scheu und seine Ängste zu verbergen und sich nur in seiner Rolle als autoritärer Unrat richtig wohlfühlt. Seine Feindseeligkeit den Schülern gegenüber kann er nie aufgeben und benutzt sogar seine Frau dazu, wieder einen zu "fassen". Aber nicht nur in Unrats Verhalten zeigen sich die Auswirkungen eines mangelnden Selbstwertgefühls. Auch Rosa Fröhlich ist, genauso wie Dora Breetpoot übrigens, auf ständige Lobhuldigungen angewiesen. Erst dadurch wird ihr Unrat sympatisch und aufgrund dieser Komplimente fühlt sie sich selbst als etwas Besonderes. Durch ihr verändertes Auftreten als feine Dame, wird sie nun auch von der Gesellschaft anders aufgenommen und auch das wirkt sich wieder auf ihr Selbstbildnis aus. Mein geheimer Favorit ist aber Lohmann. Er ist der einzige, der ernüchtert feststellt, dass wir manchmal nur einer Illusion nachlaufen: "Die Sehnsucht bedarf keines Geldes, die Erfüllung ist es nicht wert." Aufgrund dieser Erkenntnis, seines Geistes und seiner Schlagfertigkeit fällt er als einziger nicht auf Rosa herein und geht ohne Schaden aus der Geschichte hervor. Viele andere aus der Geselllschaft konnten sich hingegen nicht aus dem Sog des Lasters befreien, obwohl es bei ihnen zu großen Verlusten geführt hat. Hier führt uns Mann nochmal vor Augen, wie moralisch wandelbar und schwach unsere Gesellschaft doch ist. Was zuerst noch als absolut verwerflich angesehen wurde, hat zum Schluss doch einen solchen Reiz ausgeübt, dass es zum eigenen Unglück beigetragen hat. Keiner kann eben von sich behaupten, dass gewisse Sehnsüchte nicht auch in ihm vorhanden wären. Auch sprachlich ist das Buch absolut kraftvoll. Hat man sich erst einmal in den nun schon 100 Jahre alten Text eingelesen, so findet man sich wunderbar darin zurecht. Mann hat jedem Protagonisten seinen eigenen unvergleichlichen Stil gegeben. Da gibt es Matrosen und Handwerker, die Dialekt sprechen oder das Fräulein Fröhlich mit ihrer koketten Art, die doch immer ihre Herkunft verrät. Da ist aber auch Lohmanns mit seiner stets höflichen, korrekten Ausdrucksweise. Aber nicht zuletzt spiegelt sich Unrats Charakter in dessen oft wiederholten Satzteilen wider. Wer würde nicht denken, dass oben angeführtes "aufgemerkt nun also!" von einem autoritären Lehrer stammt, der alles dafür tut, sich Respekt zu verschaffen. Meiner Meinung nach ein absoluter Klassiker der deutschen Literatur!
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