Rezension zu "Der betrunkene Berg" von Heinrich Steinfest
Katharina Kirchner ist Buchhändlerin und betreibt auf 1765 Meter Höhe eine Buchhandlung mit "Bergliteratur". Ihre Buchhandlung befindet sich neben einem bewirteten Schutzhaus, das aber für die Monate zwischen Herbst und der Windersaison geschlossen ist. Allein Katharina Kirchner bleibt das komplette Jahr dort und genießt die einsamen Tage. Auf ihrer täglichen Gipfeltour findet sie einen viel zu dünn gekleideten Mann, der kurz vor dem Erfrierungstod steht. Mit Mühe schafft sie es ihn zu ihrer Buchhandlung zu bringen und ihn inˋs Leben zurück zu holen. Das gelingt ihr zwar, jedoch ist der "Wiederauferstandene" verwirrt und desorientiert. Jegliche Erinnerungen an sein bisheriges Leben sind ausgelöscht.
Die beiden entwickeln eine gemeinsame Tagesstruktur, es wird gekocht, gewerkelt und gegessen. Abends lesen sie sich gegenseite die Geschichte der Gipfeleroberung oberhalb der Buchhandlung vor. So tauchen auch wir als Leser:innen in die Geschichte des jungen Pfarrers ein, der mit einer jungen Fotografin vor 100 Jahren die Erstbesteigung des Berges und die Kreuzsetzung gelungen ist.
Stück für Stück kommen bei dem Mann Erinnerungssplitter zurück, einzelne Bruchstücke, die sich auch in einer besonderen Begabung zeigen. Als in der Nähe unerwartet eine Lawine abgeht, bebt nicht nur die Erde, sondern auch bei den Protagonisten kommt lange "Verschüttetes" ins Bewußtsein.
Es geht um Schuldfragen in der Vergangenheit, lange Verdrängtes und in der Erinnerung "zurechtgebogenes". Vor der eigenen Vergangenheit kann man nicht davonlaufen, auch wenn sie lange zugedeckt ist, rumort es irgendwann im Inneren und sie kommt an die Oberfläche. Heinrich Steinfest schreibt bildgewaltig und seine Personifikationen sind grandios. Die Würze sind wunderbare Sätze, wie z.B. auf S. 76: "Das wesentliche Element des Menschen ist die Krise. Die Kunst versucht dieser Kriese eine "schöne Gestalt" zu verleihen und sie mittels Schönheit erträglicher zu machen". Insofern machen Steinfests Bücher das Leben vielleicht etwas erträglicher, auf jeden Fall aber unterhaltsamer!