Über Aus- und Eingänge im Leben
„An der Rezeption des Glissando können Gäste alles verlangen und bekommen, ganz egal, was“.
Und da Frederick Barrandov Senior, nach einer Haftstrafe, die mit dem Reparieren von Uhren zu tun hatte (was mit dem speziellen Hintergrund der Zerstörung dieser Uhren mehr zu tun hat, als mit den Uhren selbst) als Hausmeister und Faktotum in diesem Hotel arbeitet; und da seine Frau, im herrschenden System durchaus einflussreich, unter beruflichen Druck gerät (was in jenem System kein besonders optimistisches Zeichen für die Zukunft ist), steigt der mütterliche Drang, ihren Sohn, Frederick Barrandov Junior, zu einer sinnvollen und sicheren Tätigkeit als Nachfolger seines Vaters zu führen.
Freddy allerdings hat damit wenig im Sinn. Zunächst. Und spürt doch den Druck der Enttäuschung seiner Mutter, mit Folgen.
Denn neben seiner Wohngemeinschaft (mit Pierre, der eine ganz besondere Fähigkeit besitzen soll, wie Aisha, von Freddy umschwärmte Frau, bedauerlicherweise persönlich zu wissen scheint) und seiner Arbeit (Konzentration ist gefordert, eine Ahnung von dieser Arbeit zu bekommen, was sich allerdings recht bald bei fortschreitender Lektüre als überflüssig erweisen könnte) und seinem Drang hin zu Aischa wird auch Freddy eher unverhofft eines Tages um etwas gebeten.
Und wie bekannt, im Glissando bekommt jeder Gast, was er begehrt (außer einer Sache, die nebulös Grenzen setzt, wo keine sein sollten. Während Begrenzungen dort fehlen, wo sie nicht unwichtig wären, was das Wohlergehen eines Promi-Paares angeht).
So macht Freddy sich auf den Weg, den Wunsch des Mannes zu erfüllen. Und zieht den Leser mit in eine Melange von Realitätserweiterungen, DNA Tests und im Lauf der Zeit fast zwanghafter Versessenheit des jungen Mannes, einen Keil zwischen das Paar zu treiben.
Warum? Wozu? Und was geht es ihn an? Das benötigt Fantasie und Vertiefung in den teils assoziativen Text, den Oyeymemi mit vielen Anspielungen, mythischen Wendungen und einem herrlichen Sinn für den Unsinn von Realitäten sprachlich intensiv auf den Weg bringt.
Und obwohl die einzelnen Geschichten im Buch thematisch in sich abgeschlossen vorliegen, liegt einer der Schlüssel zum Verständnis der bildreichen Blicke auf „Schlüssel“ im wortwörtlichen und hoch übertragenen Sinne (für Freddy ist seine Aufgabe natürlich auch eine Art „Schlüssel“ zur Anerkennung seiner Mutter und zum Eintritt in die Welt seiner Eltern und seiner Schwester. Wenn das wirklich erstrebenswert sein sollte) im Buch vielleicht einige Seiten zuvor und wäre dort unter dem Stichwort „Präsenz“ zu finden.
Dort, wo „J“ Jill dem Gespräch mit „J“ Jacob, ihrem Mann, lieber tagelang ausweicht. Fantasien sind eben realer als die eigentlichen Fakten, zumindest, wenn man die Fakten lieber nicht hören möchte.
Ein Ausweichen, innerhalb dessen Oyeyemi die gesamte innere Geschichte dieser Ehe und der Person Jills vor den Augen des Lesers in markanter und bildreicher, fantastischer und weggleitender, Sprache ausrollt. Während Jacob ein Programm der „Präsenz“ entwickelt, eine „Implosion der Erinnerungen“. Bei denen man hier und da nicht alleine sein könnte, auch wenn die Türen verschlossen bleiben. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass alles, was (nicht nur) in dieser Geschichte erzählt wird, nur eine Schilderung dessen ist, was das Programm eigentlich anbieten sollte. Was eine gewisse Kälte erklären würde, die im Experiment dann massiv eintritt. Was viewlleicht nicht ohne Grund an „The Sixth Sense“ erinnert.
Doch klare Auflösungen, einfache Handlungen mit verständlichem Ende, dem sperrt sich Oyeyemi durchweg und ermöglicht dem Leser so ein ungewohntes, mehr und mehr aber faszinierendes Verbleiben in der eigenen Fantasie und den eigenen Realitäten, für die Oyeyemi dennoch Anstöße zum tieferen Verständnis und gedanklichen Erweitern auch der eigenen Möglichkeiten durchaus liefert.
Wenn man sich auf diesen außerordentlichen, fantasie- und bildreichen Stil einlässt. Um damit eine ganz eigene Welt zu betreten, die auf jeder Seite anregt und andere Blickwinkel auf (eigentlich) vertraute Dinge ermöglicht.