Zitate aus dem Rezensionsbuch
S. 147 "An dieser Stelle setzt die theologische Arbeit des Lukas ein, die ihn zu einem eigenständigen Typus neben Paulus und Johannes macht. Lukas stellt sich der Aufgabe, die (weitergehende) Geschichte der Welt, in der sich das Christusereignis zugetragen hat, und die neue Welt Gottes, die Christus gebracht hat, aufeinander zu beziehen. Dabei übernimmt er bestimmte Theologumena von Paulus und aus der johanneischen Tradition. Die „heilsgeschichtliche“ Schau des Paulus und der „individualistische“ Ansatz der johanneischen Tradition werden dialektisch aufeinander bezogen. Auf diese Weise entsteht eine theologische Konzeption, die den Schöpfungscharakter der Welt bewahrt, über die geschichtliche Gestalt der Kirche theologische Aussagen machen kann und das Problem der Vergangenheit des Heilsgeschehens theologisch bewältigt. Wir stellen dies zum Abschluß nochmals zusammenfassend dar.
1. Von der Christusoffenbarung her wird der Schöpfungscharakter der Welt sichtbar. Von hier aus kann die Welt als für Gottes Handeln
offene Welt dargestellt werden. Wie in Jesus Christus der wahre Adam, der Mensch nach dem Willen Gottes erschienen ist (Lk. 3, 23. 38), so
zielt die Areopagrede in Auseinandersetzung mit dem hellenistischen Denken auf eine Darstellung der schöpfungsmäßigen Strukturen der
Welt hin. Ebenso werden im Schema von Frage und Antwort alte und neue Welt so aufeinander bezogen, daß die Situation der alten Welt,
die sich in der Frage (oder Bitte usw.) an Jesus äußert, von der Antwort Jesu her korrigiert wird. Die Botschaft Christi dringt in die
Sozialstruktur der alten Welt ein und gestaltet sie um zur Offenheit für das Wort.
Wird damit dem weltlichen Leben eine gewisse Anerkennung und Eigenständigkeit zuteil, so wird die Welt doch keineswegs heilig ge-
sprochen. Sie steht als gefallene Welt unter dem Gericht Gottes, das
vorlaufend schon an den Juden vollstreckt wurde. Die Christen wer-
den zur Geduld im Leiden ermahnt (Lk. 21, 19). Die Notwendigkeit
solcher Entweltlichung wird an der Stellung des Lukas zum Besitz gut
sichtbar. Die Gefahren des Reichtums sind scharf gesehen und rück-
sichtslos angeprangert (Lk. 12, 13-34; 16, 14 f. 19 ff.; 6, 20 f.). Aber
die Güter der Welt sind nicht als solche böse. Mehrfach sind Gott oder
Christus im Gleichnis als reiche Herren dargestellt (15, 11 ff.; 16, 1;
19, 12 ff.). Die Güter sollen verantwortlich verwaltet werden (19, 13;
16, 9; 14, 13 f.; 6, 34 f.)°. Eine hellenistische Verachtung der Welt ist
damit ausgeschlossen. In den Wundern Jesu und in den neuschöpferi-
schen Kräften des Heiligen Geistes in der Gemeinde ist die neue Welt
Gottes, auf die die Gemeinde zugeht, schon zeichenhaft gegenwärtig.
Von diesem neuen Heilshandeln Gottes her ist die alte Welt immer
schon überboten. Sie ist anerkannt als Schöpfung und zugleich in dem
Größeren, das mit Christus gekommen ist, aufgehoben.
2. Die irdische Gestalt der Kirche ist in einer ähnlichen Dialektik
gesehen. Sie ist der Ort, an dem der Erhöhte sich vergegenwärtigt und
der Heilige Geist neuschaffend wirkt, d.h. sie ist der weltliche Ort, der
für Gottes Heilswirken offen ist. Dieser Ort ist durch einen bestimm-
ten geschichtlichen Raum (Jerusalem) und einen bestimmten Personen-
kreis (die zwölf Apostel) abgegrenzt. Aber diese apostolische Kirche
ist nach zwei Seiten hin offen. Einmal lassen sich die Leiter der Gemein-
de ständig durch das überlegene Wirken des Geistes korrigieren (Apg.
11,17 £.; 16, 6 ff.) und sind offen für Christen mit besonderen Gnadengaben (Paulus, Stephanus). Zum andern ist die Gemeinde nach außen
unabgeschlossen (Lk. 12, 41). Neben den Jüngern steht das Volk (oder
„alle“, wie Lukas gern sagt), das fragend, sich verwundernd und noch
unentschlossen vor dem Christusgeheimnis steht. So ist die irdische
Gestalt der Kirche ernst genommen und zugleich durch das total über-
legene, qualitativ völlig verschiedene „himmlische“ Christusgeschehen
begrenzt und überboten.