Cover des Buches Alles ist gut (ISBN: 9783827012029)
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Rezension zu Alles ist gut von Helmut Krausser

Alles wird gut

von rallus vor 8 Jahren

Rezension

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rallusvor 8 Jahren

Marius Brandt ist ein verkannter und etwas heruntergekommener Komponist der alten Schule. Nachdem ihn seine Freundin verlässt steckt er in einem tiefen Tal der Leiden und des Alkohols.
Zufällig wird er stolzer Besitzer von geheimnisvollen Noten, die auf den ersten Blick nichts besonderes verheißen, aber nach einem nächtlichen Einfall im Traum, kennt er plötzlich einen Weg diese Noten zu decodieren, denn der äußere Schein verbirgt ein paar außergewöhnliche Melodien. Diese baut er in eine Auftragsarbeit ein. Bei der Uraufführung erleiden drei Personen einen Herzinfarkt, bei dem einer der Personen schlussendlich zu Tode kommt. Ist seine Musik daran Schuld? Er beginnt zu forschen woher diese Noten kommen und fördert erstaunliches zu Tage.

Für Marius Brandt ist Musik das Allesbeherrschende im Leben. Sogar den (vermeintlich) vorgetäuschten Orgasmus seiner neuen Freundin kann er musikalisch erklären:

"Aber es waren eben nur Orgasmusbehauptungen, aus Höflichkeit oder Taktgefühl. Andere Männer hätten den Unterschied womöglich nicht bemerkt. Aber ein Komponist spürt die organische, tripelfugenartige Abfolge der komplexen Rhythmen, die Verkürzung der Metren, die Übergänge von Sechzehntelkeuchern zum Zweiunddreißigstelwinseln, dann die Klimax, verschärft von Triolen und Quintolen mit synkopierten Beckenbwegungen der Lust darunter, bis alles ins große Final mündet, in den gewaltigen Schlußakkord, von jetzt völlig wilden, unregelmäßig gesetzten Baßfiguren durchwoben. Drüber die Fanfaren, die Blitze im Gehirn. Und das Gleiten ins Meer der Ruhe, in die lange Fermate am Ende der Triumph der Befriedigung, während ein durchgedrehtes Kontrafagott noch ein paar akustische Fähnchen der Begeisterung hißt. Die Tonqualöität war ja grade deshalb ein solcher Erfolg in der Menschheitsgeschichte, weil sich mit ihren Mitteln Sex musikalisch adäquat darstellen ließ."

Das ganze Musikbusiness, gerade Intendanten sind faul, korrupt und inkompetent. Sie lassen sich verleugnen, schaffen ihre Arbeit nicht und hindern junge Musiker wie ihn daran ihre Stücke aufführen zu können und bekannt zu werden.

Der erste Teil von Helmut Krausser 'Alles ist gut' (übrigens ein Fragment von Hölderlins Hyperion) ist literarisch eine Offenbarung, ein Sprühen von Adjektiven und Wortneuschaffungen. Doch bei Helmut Krausser weiß man nie so genau woran man als Leser ist.
Meint der das ernst? Spielt der nur? Langsam geraten ihm mythische Dinge in sein Roman, ein Rennpferd redet mit Marius und will dass er Geld auf es setzt. Eine Stimme holt ihn vom Urlaub, zurückkommend stellt er fest, dass seine Küche fast abgebrannt wäre.

Aber was sollen diese Einschübe?! Der zweite Teil wird zu einer Geschichtsstunde der Juden in Polen, wo das alte Manuskript herkommt. Plötzlich tauchen zwei 'Racheengel' auf, die Menschen mit plattgedrücktem Brustkasten hinterlassen, fast eine Hommage an 'American Gods'

Herr Krausser wo soll das alles hinführen? Wo es hinführt lest selber - es macht jedenfalls einen riesigen Spass. Leider nicht auf der Shortlist gelandet, auf die Dodoliste hätte es aber dicke gelangt!
Zum Weiterlesen ist das vom Autor aufgearbeitet Buch Melodien zu empfehlen, aber man kann 'Alles ist gut' auch gut ohne den Vorgänger lesen.

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