Rezension zu "Die Weltverschwörer" von Helmut Reinalter
Helmut Reinalter ist Professor in Innsbruck mit dem Spezialgebiet Freimaurertum. Und er hat uns ein Buch über Verschwörungstheorien geschrieben. Solche Theorien oder ihre Negation werden entweder irgendwann bewiesen und verschwinden dann aus dieser Kategorie, oder sie bleiben weder beweis- noch widerlegbar. Der Autor befasst sich fast ausschließlich mit noch existierenden, aber historischen Verschwörungstheorien.
Bereits in der Einleitung macht er zwar nicht direkt, aber dennoch unmissverständlich klar, dass er Verschwörungstheorien im klassischen Sinne für zweckgerichtet in die Welt gesetzten Unsinn hält, den er im Folgenden klassifiziert und untersucht.
Das kurze 2. Kapitel dient vor allem der Begriffsbildung und Abgrenzung. Dort lesen wir: "Verschwörungstheorien und -ideologien stellen in der Regel eine starke Reduzierung der komplexen Wirklichkeit dar. Daher erleichtern sie vermeintlich als Erkenntnisinstrument die Durchschaubarkeit komplexer Entwicklungen, die ansonsten schwer erklärbar sind." Um diese Grundaussage rankt sich der gesamte Text.
Im folgenden Kapitel erhalten wir eine kurze Darstellung der Geschichte des Verschwörungsdenkens von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Der Autor vertritt dabei die Grundthese, dass besonders Juden und Logenbrüder für die Rolle von Sündenböcken geeignet waren, da sie als privilegierte Minderheiten galten.
Um Typologien des Verschwörungsdenkens geht es im nächsten, zentralen Kapitel, das zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber nach Ansicht des Autors repräsentativ ist. Betrachtet werden: (1) die Verschwörung der Templer, (2) die Verschwörung der Aufklärer und Philosophen im 18. Jahrhundert, (3) die Verschwörung der Freimaurer und Illuminaten, (4) die Französische Revolution und die Verschwörung der Jakobiner, (5) die Verschwörung der Carbonari, (6) die sozialistische und kommunistische Verschwörung, (7) die jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung und (8) heutige Verschwörungstheorien.
Liest man die Ausführungen zum Templer-Orden, dann findet man zwar dort dessen Geschichte kurz geschildert, worin aber die angebliche Verschwörungstheorie besteht, blieb mir dabei verschlossen. Den Aufklärern des 18. Jahrhunderts (2) wurde vorgeworfen, sich gegen die gottgegebene Ordnung zu verschwören und die Gesellschaft moralisch auszuhöhlen. Da einige Aufklärer auch Freimaurer waren und die Freimaurer nach Ansicht des Autors nicht unwesentlich zur Erosion der höfisch-aristokratischen Standeskultur und zur Entstehung einer bürgerlichen Oberschichtenkultur beigetragen haben, besitzt die Entstehung einer entsprechenden Verschwörungstheorie doch offenbar einen sehr realen Hintergrund. Auch die nachfolgenden Ausführungen zu den Illuminaten beinhalten eine Reihe von Tatsachen, die zeigen, dass diese Gruppe durchaus zu Verschwörungen neigte.
Bereits mit den ersten drei Abschnitten dieses Kapitels wird also deutlich, dass es für Verschwörungen oder ein konspiratives Vorgehen der genannten Gruppierungen durchaus Belege gibt. Fraglich ist dementsprechend nur, ob die Ausmaße der in "Theorien" behaupteten globalen Verschwörungen zutreffen. Zweifel an solchen absoluten Behauptungen sind immer angebracht, da die historische Realität sich in der Tat, wie vom Autor erläutert, komplexer darstellt als vereinfachende Erklärungen, auch wenn diese durchaus einen gewissen realen Hintergrund besitzen. Die Abschnitte (4) und (5) lassen denselben Schluss zu.
Ob man es eine Verschwörungstheorie nennen kann, dass Sozialisten und Kommunisten das kapitalistische Wirtschaftssystem auf der ganzen Welt abschaffen wollen (6), ist eher zweifelhaft, denn dies ist ein offen erklärtes Ziel. Unsinnig ist dagegen offensichtlich die Behauptung, dass dahinter die Juden stecken würden, denn der latente Antisemitismus in der Sowjetunion war nun wirklich kein Geheimnis.
Die "Theorie" von der angeblichen jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung (7) beruht im Wesentlichen auf den mysteriösen "Protokollen der Weisen von Zion" oder vielmehr - wie der Autor herausarbeitet - auf deren Existenz. Insbesondere die Nationalsozialisten nutzen diese Verschwörungstheorie als ideologische Begründung für ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Juden. Der Autor erklärt in diesem Abschnitt, dass es auch für diese Verschwörungstheorie scheinbare Indizien gibt, die sie erst zu einer solchen werden ließen.
Abschließend geht der Autor auf neuere Verschwörungstheorien ein. Dabei widmet er sich insbesondere kurz solchen, die den 11. September 2001 betreffen und lässt dabei erkennen, dass auch er weder von diesen, noch von der offiziellen Theorie überzeugt ist. Im Gegensatz zur Vergangenheit, in der Minderheiten und Geheimbünde im Mittelpunkt von Verschwörungstheorien standen, sind nun Geheimdienste und andere abgeschottete Gruppierungen in Administrationen in diese Rolle geschlüpft. Ob auf solche Verschwörungstheorien die Thesen des Autors noch zutreffen, ist eine spannende Frage, auf die das Buch nicht antwortet.
Fazit.
Titel und Aufmachung dieses Buches lassen auf Sensationen schließen ("Was Sie eigentlich alles nie erfahren sollten."). Doch zwischen seinen Deckeln finden wir eine gut lesbare wissenschaftliche Abhandlung, die versucht, Verschwörungstheorien zu klassifizieren und zu typisieren. Auf diese Weise lernt man bekannte historische Verschwörungstheorien und ihre Hintergründe sehr gut kennen. Dabei zeigt sich, dass die meisten von ihnen reale Hintergründe aufweisen, die zu propagandistischen Zwecken übersteigert wurden. Eine generelle Theorie über Verschwörungstheorien scheint wenigsten mir problematisch, da es eben auch Verschwörungstheorien gegeben hat, die sich als wahr erwiesen haben. Sie fallen dann aber sofort aus der Kategorie heraus, was zu einem schiefen Bild führt. Eine Theorie zur Verschwörungspropaganda wäre vielleicht sinnvoller.