Rezension zu "Flirren" von Helwig Brunner
„Was einst die Evolution war, ist heute die Bastelstube der Gentechnik.“ (S. 18)
Leonard ist Vergangenheitsforscher und lebt in einem Humanareal. Humanareale sind die einzigen Behausungen, in denen zu leben noch möglich ist. Die Welt besteht nicht mehr aus schöner grüner Natur, vielen Menschen und Tieren. Das einzige Naturschauspiel sind die starken Winde, wüstenartige, vegetationslose Landschaft und ein Überfluss von Sonnenlicht. Dies ist gefühlt das einzig Positive, denn diese Winde und die starke Sonnenenergie befüllen die Windräder, die den Strom erzeugen, der zur Kühlung der Areale und dem Überleben dienen. Nahrung muss gezielt angebaut werden, Vitamine und Mineralien werden täglich zugeführt. Wasser ist Mangelware und für alle begrenzt. Informationen erhalten die Menschen durch digitale Uploads direkt in ihre Köpfe. Alles wird durch KI gesteuert und beobachtet.
Als Verhaltensforscher hat Leonard bei der Behörde einen „Stein im Brett“. In seiner Rolle als Forscher erhält ein besseres Quartier mit einem Fenster nach außen, hat es sozusagen etwas bequemer. Beim Lesen tauchen wir tief in die Gedankenwelt von Leonard ein, der - aufgrund der Historie und jetzigen Lebenssituation auf diesem Planeten – Ideen zu Auswegen herbeiführen soll. Seine Arbeit sollte grundsätzlich in einem „Think Big“ münden. Im Grunde ein Job der „eierlegenden Wollmilchsau“. Das Setting generiert beim Lesen Düsternis und Beklemmung.
Positive Vibes generieren die Erinnerungen an seine Lebensgefährtin Lea, die leider viel zu verstarb. Lea war Leonards Lebensmensch – ihr Bild, das er täglich ansieht, gibt der düsten Note im Buch etwas Sanftes. Sein Gedankendschungel ist logischerweise erschütternd und er leidet an der düstern Realität seiner Existenz. Was bleibt eigentlich noch vom Leben, wenn man in so einer Zelle hockt und die Sonne den Menschen buchstäblich eine „drüber brät“. Wenn Sonneneruptionen und Sonnenstürme auf die Erde drauf hageln und man im Grund ganz genau weiß, dass die Menschheit ein Ablaufdatum hat.
Brunner‘s „Buchexperiment“ ist vermutlich nicht so weit davon entfernt, wie es einmal sein wird. Er skizziert einen Überwachungsstaat durch KI, der emotionslos Entscheidungen trifft, wenn Dinge der Gemeinschaft nicht (mehr) dienlich sind. Das Spiel mit dem Feuer (und da sind wir im Buch bei ca. 50 Grad Celsius), das wir Menschen auf dieser Welt täglich spielen, ist Teil einer logischen Schlussfolgerung.
„Und während man ringsum einem drastischen Artenschwund zusah, der wie ein Flächenbrand über die Biosphäre hinwegzog, schien die Erde ohne unsere Spezis, ohne diese eine Spezies Homo sapiens, geradezu undenkbar. Denn der Gedanke an die eigene Abwesenheit ist ähnlich schwierig zu denken wie jener an das Nichts.“ (S. 90)