Unterhaltende Angebote sind „not only entertainment“, sondern „für die Entwicklung von Denkweisen, Sinnentwürfen und Weltanschauungen bedeutsam“. Mit dieser Feststellung startet Hendrik Buhl seine konkrete Untersuchung der Reihe „Tatort“ der ARD.
Eine Feststellung, die der Erfahrungswelt des Lesers durchaus zugänglich ist. Man denke nur zurück an die breite und heftig geführte Diskussion um die Entwicklung der Figur „Schimanski“ in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und auch heute noch gelingt es immer wieder Beiträgen der (auf Unterhaltung ausgerichteten) Kriminalserie, den Weg in die Schlagzeilen und damit in die öffentliche Diskussion zu finden.
Auftreten der Kommissare, Sprache, Gewaltdarstellung, Themen wie Kindesmissbrauch oder Flüchtlingsproblematik, immer wieder legen die Macher der Serie hohen Wert auf die Verarbeitung aktuell relevanter, gesellschaftspolitischer Themen.
„Im Tatort erkennen wir die Realität der Bundesrepublik wieder, wie sie ist, wie sie sein könnte und vor allem, wie disparat und vielfältig sie sich entwickelt“. (Hickethier 2010)
Wie aber geschieht dies genau? Wie trägt die Reihe zur „Produktion von Formen von Wissen bei“. Das „Was“ und das „Wie“ der Darstellung somit sind die zentralen Anliegen dieser Untersuchung von Hendrik Buhl, der er sehr differenziert, allerdings auch sehr komplex in Sprache und Stil, nachgeht.
Umfangreiche Produkt- und Textanalysen bilden hierbei den methodischen Schwerpunkt.
Der Nachweis der „Übertragung“ der Inhalte durch aktuelle gesellschaftliche Fragen in die Serie hinein und die Deutung innerhalb der Darstellung aus der Serie dann wieder heraus in die Gesellschaft sind die inhaltlichen Ergebnisse, die Buhl in seiner weitergehenden Analyse dann liefert.
Anhand zunächst der historischen und der genreorientierten Einordnung und der darauf folgenden Klärung von Begriffen und Konzepten (auch im Allgemeinen, was die Verbindung von „Politischem und Populärem“ angeht), legt Buhl zunächst die Verständnisgrundlagen für das spezielle Feld des „Tatort“.
Im Hauptteil der Arbeit arbeitet Buhl sodann konkrete Themen des „Tatort“ in sehr breiter Form fundiert und nachvollziehbar heraus.
„Gewerkschaft und Arbeit“ (mit Verweis auf „Lidl-Affären“), Arbeitswelt allgemein (Integration, Leiharbeit, Personal, Zeitmangel in pflegerischen Berufen, Arbeit, die nicht lohnt u.v.m.) zeigen schon beim ersten Überblick die grundlegende Verdichtung gesellschaftlich relevanter Fragen im „Tatort“ auf,
Alkoholismus (auch im Blick auf Ermittler und damit Hauptfiguren der Reihe), Wohlstandsverwahrlosung und Drogen, Fragen der sexuellen Identität, Migration und Integration, häusliche Gewalt, Demenz, Terrorismus, im Verlauf der Lektüre wird geschärft deutlich, dass so gut wie alle je zu Zeiten aktuell bewegenden Themen der „Öffentlichkeit“ Eingang in die Redaktion und Produktion der Serie gefunden haben.
Mehr noch, anhand konkreter Themen (Profitgeschäft Esoterik, Prostitution, Bisexualität u.a.) gelingt es Buhl überzeugend ebenfalls aufzuzeigen, wie Themen von allgemeiner Relevanz durch einen konkreten „Tatort“ dann zu einer überhaupt oder zumindest gesteigerten öffentlichen Diskussion geführt haben. Der „Tatort“ setzt damit auch Themen, genauso, wie er stark Themen aufgreift.
Im Gesamten ein anregendes, interessantes Buch, das dem Leser Idee, Konzept und gesellschaftspolitische Relevanz des „Tatort“ umfassend vor Augen führt.