Cover des Buches Niamhs Weg (ISBN: 9783942641982)

Leserunde zu "Niamhs Weg" von Henni Decker

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Verlosung beendet

Liebe Leser*innen, herzlich Willkommen zur Leserunde von "Niamhs Weg – Wilde Arduinna"!

Die keltische Kriegerin Niamh wird auf ihrer Reise an die Donau für die Rebellion gegen Caesar mit ihren Abgründen konfrontiert. Niamhs berührende Entwicklung und die leidenschaftliche Beziehung zum Druiden Kia stehen vor dem Hintergrund des Alltags der Kelten und ihrer Verbundenheit zur beseelten Natur.

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HenniDeckervor 2 Jahren

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, Euch hier zum Austausch über meinen Roman "Niamhs Weg – Wilde Arduinna" begrüßen zu dürfen.

In meiner Jugend beobachtete ich, dass die Menschen, ich selbst eingeschlossen, lange nicht so glücklich waren, wie es für unseren Wohlstand in Mitteleuropa angemessen gewesen wäre. Einige Freunde von mir nahmen sich sogar das Leben. Dadurch aufgerüttelt machte ich mich auf die Suche nach dem verlorenen Glück, in der Hoffnung, Heilungsmöglichkeiten zu finden.

Als ich damals begann zu recherchieren, hätte ich mir nicht erträumen können, dass daraus einmal eine Roman-Reihe wird.

Ich studierte Völker- und Volkskunde, denn ich hatte festgestellt, dass Menschen, die noch in einer ursprünglichen natürlichen Lebensweise lebten, sehr viel glücklicher waren, als wir in den Industrienationen. Über verschiedene Ausbildungen in Psychotherapie, mit deren Hilfe Traumata bearbeitet und mehr Leichtigkeit erreicht werden können, landete ich schließlich bei den Kelten, unseren Vorfahren. Ich entdeckte, dass sie in ihrer Verbundenheit mit der beseelten Natur, die uns bis heute umgibt, an eine ungeahnte Quelle von Kraft, Weisheit und Unterstützung angeschlossen waren. In mir erwachte der Wunsch, den Zugang zu diesem Wissen möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, woraufhin meine Freunde mich ermutigten, Romane zu verfassen.

Vor allem möchte ich Euch mit "Niamhs Weg" natürlich gut unterhalten und Euch die Kelten näherbringen. Wenn ich darüber hinaus ein wenig zu Erkenntnissen, Freude und Heilung beitragen kann, wäre ich überglücklich.

Eure Henni


Leseprobe

Kapitel 1

Feuer knisterte im Kamin, hungrig fraßen sich die Flammen durch harzduftendes Holz. Flackernde Lichtpunkte huschten über honigfarbene Lehmwände, tanzten weiter in übervolle Regale, über Kräuterbündel und Papyrusrollen und ließen silbrige Skalpelle und Wundhaken aufblitzen. Kia Ye Lanur nahm all das nicht wahr, er brütete über einer ledernen Landkarte, die vor ihm auf dem Holztisch ausgebreitet lag. Es war spät geworden und er hatte nicht einmal bemerkt, dass sich die strohgedeckten Dächer seiner Hofanlage in eine stillverzauberte Schneelandschaft verwandelt hatten.

Dumpfes Klopfen drang über den nächtlichen Hof. Kia Ye Lanur beachtete es nicht. Seine Hände nahmen Maß und schätzten Entfernungen auf der Lederhaut. Könnte es sein, dass Caesar den Unseren den Weg hierher nach Vindelia versperrt?, fragte er sich. Lauerte der Römer mit seinen Scharen nur eine Handbreit weiter nördlich, riegelte er den Zugang nach Vindelia, der Stadt an der Dana, ab. Bilder schossen Kia Ye Lanur in den Kopf, ahnungslose Menschen, in einen Hinterhalt gelockt, gefesselt, frierend … ein Schauer überlief ihn. Mit zusammengepressten Lippen beugte er sich tiefer über die Linien, Flussläufe und Wegzeichen. Suchend wanderte sein Blick von Vindelia mit ihren vielen Tausend Einwohnern, beschützt von berittenen Kriegern auf Wällen rings um die Stadt, die Dana entlang flussaufwärts und schließlich hinüber zum Renos. Er fürchtete, dass sein Plan nicht aufgehen könnte, und fragte sich, ob die Reise auf den zugefrorenen Flussläufen zu riskant war. Was, wenn das Eis die Ersehnten nicht trug? Auf der Suche nach anderen, sicheren Wegen tasteten seine Finger die alte Salzstraße ab, die an Nebenflüssen entlangführte. Doch vor seinem inneren Auge stürmten Wegelagerer aus den Büschen am Straßenrand hervor und griffen den Tross an, auch seine Liebste wäre in Gefahr. Kia Ye Lanur wurde schwer ums Herz, instinktiv suchte seine Hand sein Wams, fand das kleine Tuch und ließ den weichen Stoff, Niamhs Geschenk, durch seine Finger gleiten.

Die Schläge am Tor wurden lauter. »Mara!«, entfuhr es ihm. Er ballte die Hand zur Faust. »Schick’ jedweden fort! Wer auch immer es sei, er kommt ungelegen.« Die Magd, die nebenan in der Küche werkelte, steckte den Kopf zur Tür herein und streifte die bemehlten Hände an ihrer Schürze ab. Hefeduft drang in den Raum. Kia Ye Lanur schaute auf. »Ich habe zu tun«, brummte er, fuhr sich durch das dichte, braune Haar und wandte sich wieder der ledernen Landkarte zu. »Und wenn jemand in Not ist, etwa eine schwierige Niederkunft?«, gab Mara zu bedenken. Erneut hallte der Türklopfer vom Tor herüber. Abrupt richtete sich Kia Ye Lanur auf. »Ich bin nicht der einzige Heilkundige im Ort. Mag sich heute ein anderer um die Kranken kümmern!«, polterte er.

Mara betrachtete ihn nachdenklich. Seit Tagen schon pflegte Kia diese üble Laune. Nicht einmal den Braten hatte er angerührt. Seltsam, was mochte der Grund sein? Sie erinnerte sich, wie Kia vor Kurzem von einem Freund wegen eines vereiterten Handballens aufgesucht worden war. Kia hatte seine Arbeit unterbrochen und mit dem Verletzten übers Wetter geplaudert, während er einen kleinen Schnitt machte, den Missetäter, einen Dorn, dann mit einer Pinzette entfernte und Mara die Wunde schließlich mit Schafgarbensud auswusch. Als der Freund jedoch von einer ungewöhnlichen Wärme berichtet hatte, die am Oberlauf der Dana den Schnee zum Schmelzen brachte, hatte sich Kias Ausdruck schlagartig verdüstert. »Das kann im Leben nicht sein!«, hatte Kia gedonnert. Statt den Patienten wie üblich mit Kräuterauflagen und Genesungswünschen zu versehen, hatte der sonst so geduldige Kia ihn grußlos aus dem Behandlungsraum geschoben. Mara hatte noch immer vor Augen, wie dem Freund der Mund offenstand, als sie ihn zur Tür gebracht und ihm an Kias Stelle gute Besserung gewünscht hatte.

Mara schüttelte den Kopf. Warum in aller Welt versetzt das Wetter Kia in derartige Aufregung?, fragte sie sich. Und aus welchem Grund hockt er seitdem wie ein Besessener über dieser Karte? Immer wieder trommelt er auf eine besonders schmale Stelle eines Flusslaufes. Was denkt sich Kia bloß dabei? Er sollte sich lieber um seine Patienten kümmern! Ärgerlich drehte sie sich um und verließ den Raum. Als Mara die Haustür öffnete, fegte ihr der kräftige Wind eisige Flocken ins Gesicht und so eilte sie zurück in Kias Behandlungsraum und griff nach ihrem wollenen Überwurf, den sie auf einem Schemel vergessen hatte. »Es ist kälter geworden«, murmelte sie entschuldigend. »Kälter, ist das wahr?!«, fuhr Kia auf, schenkte ihr ein Lächeln und vertiefte sich augenblicklich wieder in seine Studien. Mara verkniff sich eine Bemerkung, warf sich den Umhang über, schlüpfte aus dem Haus und stapfte durch den pulvrigen Schnee im Hof zum Tor. Unter Einsatz ihres gesamten Gewichts zog sie an einem der beiden hölzernen Flügel, schlüpfte durch den Spalt und trat einen Schritt auf den Fahrweg hinaus. Eiskristalle peitschten ihr entgegen, wie Funken prickelten sie auf ihren Wangen. Schützend hob sie die Hand vor die Augen und ließ den Blick über die schneebestäubten Pelze eines Fremden und sein Packpferd gleiten. »Was wünscht Ihr?«, fragte sie, denn wenn auch Kia keine Zeit hatte, ein Obdach am Feuer wollte sie einem Reisenden bei diesem Wetter nicht verwehren. »Ich muss zu Kia Ye Lanur«, erklärte der Mann, seine Atemwolke wurde vom Wind fortgerissen und er hustete. »Ihr benötigt einen Heilkundigen«, stellte Mara fest. »Leider ist Kia Ye Lanur beschäftigt. Nur zwei Gehöfte weiter …« »Ich fürchte, soviel Zeit bleibt ihr nicht, der Todgeweihten, die ich gefunden habe«, fiel ihr der Fremde ins Wort und wendete sich einem Bündel auf dem Rücken des Pferdes zu. Erst jetzt erkannte Mara in dem zusammengesunkenen Etwas einen Menschen, oder was davon übrig war. Sie riss die Augen auf. »In dieser Eiseskälte wird sie erfrieren, schnell in den Hof mit Euch«, entschied sie, stemmte den Torflügel auf und trat einen Schritt zurück, damit die Hilfesuchenden dem Schneesturm entfliehen und in den Schutz der Hofanlage treten konnten. Unter dem Knirschen des Schnees brachten sie das Bündel durch die Winternacht ins Haus.

»Ach Mara«, klagte Kia, als sie kurz darauf die behagliche Wärme seines Studierzimmers betrat und ihn stumm von unten herauf ansah. »Sind wir mit den Menschen bekannt?«, stöhnte er. Mara schüttelte den Kopf. Er holte tief Luft, richtete sich auf, verharrte. »Nein!«, presste er dann hervor und seine Stimme klang rauer als gewöhnlich. »Reiche ihnen einen Teller Suppe und schicke sie zu den Tempelbezirken. Sollen sich die Druiden ihrer annehmen.« Mara räusperte sich. »Die Kranke stirbt vielleicht in diesem Augenblick«, erklärte sie leise und schenkte ihm ein Lächeln. Stirnrunzelnd und mit verschränkten Armen sah Kia sie an. Dann seufzte er, warf den Landstrichen auf der Karte einen letzten vorwurfsvollen Blick zu und folgte Mara in die Kochstube. In dem nur spärlich von der Glut der offenen Herdstelle beleuchteten Raum machte er einen in schneebestäubte Felle gepackten Fremden aus. Dieser deutete auf ein Bündel Tuch zu seinen Füßen. »Als ich sie gestern stromaufwärts gefunden habe, war sie noch bei Sinnen.« »An der Dana, sagt Ihr, flussaufwärts? Stimmt es, dass das Eis getaut ist?«, wollte Kia wissen. »Ja …«, stottert der Mann. »Die Kranke verlangte, unter allen Umständen zu Euch gebracht zu werden. Ihr seid doch Kia Ye Lanur?« »Ja, wer sonst?« Kia machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sagt mir, seid Ihr einer Schar Krieger begegnet? Keine Römer, sondern unsere eigenen Leute von den Stämmen. Schwer bewaffnet. Zwei bis drei Dutzend müssten es wohl sein.« Der Fremde hob die Hände. »Ich … ich glaube nicht … ich meine … nein.« Er schnappte nach Luft und hustete. »Hört! Ich tue dieser armen Seele hier einen Gefallen. Werdet Ihr Euch ihrer nun annehmen, oder nicht? «Gedankenverloren schüttelte Kia den Kopf und wendete sich der Gestalt auf dem Boden zu. »Wie lautet ihr Name?«, fragte er. »Ich weiß es nicht«, kam achselzuckend die Antwort. »Kaum, dass ich sie und ihr Pferd am Straßenrand aufgelesen hatte, verlor sie die Besinnung.« Kia blickte auf, nickte und umrundete das Paket. Ein süßlich fauliger Geruch, wie ihn Eiterherde verströmen, ließ ihn instinktiv die Luft anhalten. Unter dem schmuddeligen Tuch, das den Kopf der Patientin umhüllte, nahm er verfilzte Locken wahr. Zwischen den Strähnen war das fahle, im Dämmer der nächtlichen Küche leblos wirkende, Antlitz einer Frau zu erahnen. Schläfen und Wangenknochen der Kranken traten hervor. Er legte ihr die Hand auf die Stirn, wie Pergament überspannte die trockene Haut den Schädel. Ihr Körper glühte. Als Kia sich vorlehnte, um dem Rasseln ihres Atems zu lauschen, setzte dieser aus. Ein Ruck ging durch Kias Körper. »Sie muss sofort in meinen Raum!«, stieß er hervor und schüttelte sie. »Setz’ Wasser auf!«, wies Mara einen Knecht an, der nun aus dem Hintergrund der dämmrigen Kochstube hervortrat und das Herdfeuer schürte. Funken stoben, polternd fielen Holzscheite in die Flammen und der Wasserkessel wurde herabgelassen. Für einen kurzen Moment übertönte das Klirren der Ketten die Stimmen. Zu Kias Erleichterung setzte das Atemgeräusch der Kranken im nächsten Augenblick wieder ein und so nahm er das Bündel Haut und Knochen auf. Erst jetzt bemerkte er, dass die Lumpen um den Leib der Fremden noch immer gefroren waren. Reste von Lederriemen verrieten, dass sie offenbar an ihrem Reittier festgebunden gewesen war. Aber warum hatte sie ihren Retter gebeten, sie ausgerechnet zu ihm, Kia Ye Lanur, zu bringen? Die Kälte, die ihn mit einem Mal erfasste, schob er auf das vereiste Tuch in seinen Händen. Er musste die Kranke so schnell wie möglich davon befreien! Mit dem federleichten Bündel in den Armen wendete er sich um und stieß mit dem Fuß die Tür zum Behandlungsraum auf.

Als er eintrat, umfing ihn der belebende Duft von Rosmarin und Kia Ye Lanur atmete auf. Er wartete, bis Mara an ihm vorbeigehuscht war und die Karte vom Behandlungstisch genommen hatte. »Zünde weitere Lichter an«, raunte er und Mara beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Das Feuer, das noch von seinen Studien her brannte, strahlte fiebrige Hitze ab. Doch Kia zitterte, als er die Kranke behutsam auf den Tisch bettete und an den Lederbändern nestelte. Seine Finger waren steif von den eisigen Lumpen. Als Mara sah, dass es ihm nicht gelang, die Knoten zu lösen, kam sie ihm zu Hilfe. Dankbar sah Kia zu, wie sie ein Messer aus der Schürzentasche zog und die Fesseln durchtrennte. Als er die verdreckten Stofffetzen aus dem Gesicht der Fremden schob, entfuhr ihm ein Laut des Entsetzens. Mara zuckte zusammen, kam herbei und schaute in das schwer gezeichnete Gesicht einer jungen Frau. Unverständliche Worte kamen über Kias Lippen. »Niamh!«, stieß er schließlich hervor. Sie war kaum wiederzuerkennen, so sehr hatten die erlittenen Strapazen ihre Gesichtszüge verändert. Bleich und mit blauen Lippen lag sie mehr tot als lebendig vor ihm. Eine Flut von Fragen schoss ihm durch den Kopf. Was war geschehen? Waren ihre Begleiter den Römern in die Hände gefallen, oder waren sie durch das Eis des Renos gebrochen und in den Fluten umgekommen? Was auch immer geschehen ist, ist meine Schuld! Verzweifelt fuhr sich Kia durchs Haar und seine Gedanken wanderten zurück zum vergangenen Sommer, als Niamh von der Rebellion gegen Caesar erfahren hatte. Sie war von der Idee, an der Seite der Eburonen und Treverer zu kämpfen, überaus begeistert gewesen. Von den damit verbunden Gefahren hatte sie nichts wissen wollen, sie sei eine Kriegerin, hatte sie Kia hitzig entgegengehalten und darauf beharrt, sich von ihm nichts vorschreiben zu lassen. Ebenso wenig würde sie sich in seine Berufung einmischen, hatte sie gesagt, und nichts mehr davon hören wollen.

Vor Sorge um ihr kostbares Leben war Kia schier die Wände hochgegangen und hatte in seiner Verzweiflung schließlich eine List ersonnen. Unter einem Vorwand hatte er die Ardennen verlassen, in denen die Kämpfe ausgetragen werden würden, um für Niamh und sich andernorts ein neues Leben aufzubauen und die Geliebte dann aus dem Gefahrenbereich zu locken. Da Caesar offenbar kein Interesse an den Landstrichen östlich des Renos besaß, hatte Kia den breiten Strom überquert und war ins Stammesgebiet der Vindeliker gereist. In Vindelia angekommen, hatte Kia eine Hofanlage erworben und sich dann der Frage um Niamhs Sicherheit auf der langen Reise zu ihm gewidmet. Zahllose schlaflose Nächte später war er auf die rettende Idee gekommen. Für den geplanten Aufstand benötigten die Rebellen große Mengen von Waffen, Caesars allgegenwärtige Spione würden ihm jedoch die Zunahme von Betriebsamkeit in den eburonischen Schmiedewerkstätten zutragen. Doch auch Vindelias Schmiede waren für die hervorragende Qualität ihrer Schwerter und Lanzenspitzen berühmt. Kia hatte seine guten Beziehungen zu nutzen gewusst und einen Waffenhandel zwischen den Vindelikern und Rebellen in die Wege geleitet. Diese mussten nur noch eine Abordnung losschicken, um die Waffen abzuholen. Die Stammesfürsten der Eburonen und Treverer würden eine so große Menge Goldes, den Gegenwert für die Waffen, nicht unbewacht an die ferne Dana schicken und in diesem Tross wäre auch Niamh geschützt.

Alles war nach Plan gelaufen. Wie glücklich war Kia gewesen, als Niamh zugestimmt hatte, ihre Leute zu begleiten und ihn, den Geliebten, im fernen Vindelia zu besuchen. In dem Geleit aus mehreren Dutzend Kriegerinnen und Kriegern wäre auch sein Schatz sicher, hatte Kia gedacht. Was für ein Irrtum! »Niamh, meine Niamh«, hauchte er. Bilder von Misshandlung und Leid jagten durch seinen Kopf. Hätte er die Geliebte doch nur selber nach Vindelia geholt, anstatt einen Plan zu schmieden, der diese Aufgabe anderen überließ! Tränen rannen über sein Gesicht. Zitternd zeichneten seine Hände die Linien ihrer Wangen und Schläfen nach. Mein Versuch, dich zu retten, hat dich fast das Leben gekostet, dachte er, als sein Blick plötzlich auf ein ihm unbekanntes Amulett fiel, das an einer Lederschnur um Niamhs Hals hing. Das etwa Fingerkuppen große Schmuckstück war aus einer schüsselförmigen, in Leder gefassten Goldmünze gearbeitet. Die Vorderseite zierte ein wilder Eber mit aufgestelltem Nackenhaar, auf der Rückseite blickte Kia das von wilden Locken umrahmte Gesicht einer Frau entgegen.


Kapitel 2

Niamh zog die Zügel an, Tari tänzelte und fiel dann in langsamen Schritt. Von dem Schmuckstück, das Indutiomarus Niamh soeben zugeworfen hatte, blickte ihr eine Frau mit lockigem Haar entgegen. Warm und golden lag das in Leder gefasste Kleinod in ihrer Hand. Sie drehte es um. Die andere Seite zierte ein wilder Eber. Eine Münze!, dachte sie, wie wunderschön! »Für mich, ein Geschenk?«, fragte sie und traf Indutiomarus’ Blick. »Arduinna soll dir Glück bringen.« Der Krieger strahlte sie vom Rücken seines Pferdes aus an. Wie jedes Mal, wenn sie ihn dieser Tage ansah, musste sie grinsen. Der Treverer hatte sein blondes Haar am Hinterkopf zu einem Knoten drapiert. Einzelne indigofarbene Strähnchen schauten aus der Frisur heraus, eingeflochtene Muscheln und Federn vollendeten die Pracht. Im Druidinnenkloster von Weris hat er sich nie so herausgeputzt, dachte sie. Wenn sie hinter ihm ritt und er es nicht bemerkte, zog das Spiel seiner Muskeln ihre Augen an wie der Mond das Wasser. Ihre Hände hätten nicht ausgereicht, um seine Oberarme zu umspannen; gewiss konnte er einen Stier niederringen, auch wenn er sicher längst Großvater war. Eine Vielzahl feiner Narben zeugte davon, dass sich der Krieger in unzähligen Schlachten bewährt hatte. Goldene Armreife zierten die sonnengebräunte, sorgfältig geölte Haut. Man könnte meinen, dass er auf Brautschau geht, dachte sie und richtete die Augen auf das Schmuckstück in ihren Händen. Wollte Indutiomarus ihre Gunst gewinnen?

Auch Ambiorix, der Stammesfürst der Eburonen, hatte ihr ein Geschenk gemacht – an ihrer Seite spürte sie das Schwert, das sie seitdem keinen Augenblick abgelegt hatte. Was Ambiorix wohl davon halten würde, wenn er wüsste, dass sein Freund Indutiomarus sie ebenfalls so reich beschenkte? Wenn ihr glaubt, ihr könnt mich bestechen, habt ihr euch geschnitten, dachte sie lächelnd. Die beiden Stammesfürsten konnten nicht wissen, dass ihre Sehnsucht einem anderen galt. »Dein Gewinn!«, hörte sie seine Stimme, dunkel wie die eines Bären. Sie hob den Kopf und errötete – der Krieger hatte sie beobachtet. Indutiomarus war hingerissen von ihrer Wildheit und ihrem Übermut. Gerade mal zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig Sommer hatte sie gesehen. Sanfter Wind trieb ihr das Haar ins Gesicht und die lange dunkle Mähne umspielte ihr verschmitztes Lächeln – kein Wunder, sie hatte ihn soeben im Pferderennen besiegt. Immer wieder würzten sie die Reise mit kleinen Sprints. Die Tiere liebten die Abwechslung und gaben ihr Bestes. Zugegeben, einen Stich versetze ihm die erneute Niederlage schon. Nun gut, dachte er, ihr Pferd hat schließlich weniger zu tragen. Sie verzichtet nicht nur auf einen Sattel, sondern ist trotz ihrer Kraft ein Leichtgewicht. Wohlig und stolz reckte er seine starken Schultern, während er den Blick weiterhin über seine Begleiterin schweifen ließ. Ihre dunklen, vor Leben sprühenden Augen brannten sich in sein Herz. Indutiomarus grinste, wendete sein Pferd und drückte ihm die Schenkel in die Flanken. Wie ein Blitz schoss der Braune davon, Niamh auf Tari hinterher. Diesmal bog er jedoch in einen der schmalen Wildwechsel ein, die den breiten Fernwanderweg in regelmäßigen Abständen kreuzten. Der enge Pfad durch das Unterholz forderte seine ganze Aufmerksamkeit und sein reiterliches Geschick, um den ständig auftauchenden Hindernissen auszuweichen. Hier im Dickicht würde Niamh nicht an ihm vorbeikommen. Ein Stück weiter voraus verriet die zunehmende Helligkeit jedoch freieres Gelände; er musste sich etwas einfallen lassen, um Niamh aufzuhalten. Ein junger Baum am Wegrand kam ihm gerade recht. Er erhob sich im Sattel, packte den Schössling, zog die Spitze mit sich, um sie dann plötzlich loszulassen. Niamh erkannte die Falle. Um nicht vom Pferd gerissen zu werden, griff sie instinktiv nach einem Querholz über ihrem Kopf, klammerte sich an den Ast und ließ Tari unter sich davonziehen, während das Baumgeschoss knapp an ihrem Gesicht vorbeischnellte. »He, wie gemein von dir!«, brüllte sie, doch Indutiomarus lachte nur und Niamh pfiff Tari herbei, um wieder aufzusteigen.

Vor nicht allzu langer Zeit hatten Ambiorix und er ihre kriegerischen Fähigkeiten herausgefordert. Sie hatten wissen wollen, wem sie einen so großen Schatz anvertrauten, wie ihn der Gegenwert für die Waffen der Vindeliker darstellte – ein Beutel Gold, der heimlich, still und leise ins ferne Vindelia gebracht werden sollte. So jedenfalls hatte es der Rat der Rebellen, bestehend aus den beteiligten Stammesfürsten sowie ihren jeweiligen druidischen Beraterinnen und Beratern beschlossen. Ohne zu zögern, hatten die Druidinnen von Weris Niamh für diese Aufgabe vorgeschlagen, die Stammesfürsten jedoch hatten Bedenken, ob die junge Kriegerin der Aufgabe gewachsen wäre. Schließlich war man sich einig geworden und Niamh hatte unter Beweis stellen müssen, dass sie sich zu verteidigen wusste. Den gemeinsamen Angriff von Ambiorix und Indutiomarus hatte sie mit Bravour pariert. Es hatte sich gezeigt, dass sie mit allen Wassern gewaschen war. Keinen Wimpernschlag nach Indutiomarus’ Attacke hatte er ihr bereits zu Füßen gelegen – zur großen Belustigung der Zuschauer hatte sie ihn mit einem Trick zu Fall gebracht. Sie konnte sich jetzt also nicht über Gemeinheiten beklagen. Niamh entgegnete seinem Brummen mit einem weiteren hellen Auflachen. Wäre es nach ihr gegangen, hätten sie den ganzen Tag mit Wettstreiten verbracht. Tänzelnd warf ihre Stute den Kopf in den Nacken – offenbar hätte sie die wilde Hatz ebenfalls gern fortgesetzt. Doch eine weite Reise lag vor ihnen, und so musste die Kriegerin das Pferd schonen. Bedauernd zügelte sie es und lenkte es neben das Reittier des treverischen Stammesfürsten.

Der festgefahrene Lehmweg führte nun an einem kleinen Flusslauf bergab; die Abendsonne färbte die zu dieser Jahreszeit bereits blätterlosen Wipfel der Bäume rot und golden. »Wir sollten uns eine geeignete Tarnung für dich ausdenken«, schlug Indutiomarus vor. »Ich könnte mich als Bäuerin ausgeben«, überlegte Niamh. Indutiomarus fand die Vorstellung einer rotbäckigen Niamh, die körbeweise Äpfel mit sich führte für ihre Zwecke viel zu reizvoll. »Besser wäre eine Verkleidung, in der du keine Aufmerksamkeit auf dich ziehst«, wandte er ein. »Wie wäre es mit einer Köhlerin, die Wangen verrußt und mit Bündeln von Reisig beladen«, meinte Niamh. In den Höhenlagen der Ardennen, die sie in den vergangenen Tagen durchquert hatten, verdienten sich viele Menschen mit Herstellung von Holzkohle ihren Lebensunterhalt. Noch immer hatte Niamh das graue Antlitz einer besonders verhärmt wirkenden Frau vor Augen. Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie plötzlich unwillkürlich die Luft anhielt und sich die Hand vor den Mund schlug, weil sie würgen musste. Ein schneller Seitenblick zu Indutiomarus zeigte, dass dieser ebenso angeekelt das Gesicht verzog. Wenige Schritte weiter tauchte hinter den Bäumen eine einsame Hütte auf, umgeben von einer Vielzahl in den Boden eingelassener Becken, aus denen ein unbeschreibliches Aroma aufstieg. Eichenlohe, Urin, Hühnerkot und anderen Chemikalien, verliehen dem darin eingeweichten Leder Haltbarkeit und Elastizität. Kein Wunder, dass die Kunst des Gerbens zum Himmel stank! »Heilige Schweinescheiße«, entfuhr es Niamh, doch sofort bereute sie die Worte, weil sie nun gezwungen war, Luft zu holen. Um dem Verwesungsatem zu entkommen, presste sie ihrer Stute die Schenkel in die Flanken und preschte an dem Ort der Verdammnis vorbei. In sicherer Entfernung wendete sie ihre Stute und wartete auf den Treverer, der auf seinem Brauen um die Wegbiegung geschossen kam. Niamh schüttet sich aus vor Lachen. »Widerlich!«, strahlte sie. »Nein!«, widersprach Indutiomarus, als er begriff, was Niamh vorhatte. »Nein, das wäre unzumutbar!« »Du hast selbst gesagt, dass wir alles tun müssen, um nicht die Aufmerksamkeit von Caesars Spionen auf uns zu ziehen«, führte Niamh ins Feld. »Nicht umsonst liegen die Höfe der Gerber fernab der Dörfer – niemand will mit ihnen zu tun haben, das ist perfekt!« Am Ende der hitzigen Diskussion lenkte Indutiomarus schließlich ein. In seiner Feste angekommen, würde sich Niamh in eine arme Gerberin verwandeln. Der widerwärtige Gestank ihrer Handelsware, eine Ladung halb verwester ungegerbter Felle, würde unerwünschte Bekanntschaften verhindern. Niemand würde einen Schatz unter den Lumpen vermuten, die Niamh auf ihrer einsamen Reise nach Vindelia als Tarnung dienen würden.

Es dämmerte bereits, Zeit, für eine Unterkunft zu sorgen ...


Ende der Leseprobe

© 2022 Henni Decker





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