Rezension zu "Das Feuer" von Henri Barbusse
"Zwei sich bekämpfende Armeen sind nur eine große Armee, die Selbstmord begeht." Diese und andere einprägsame wie auch leider wahre Aussagen legt Henri Barbusse seinen Kameraden im Ersten Weltkrieg in den Mund und fasst damit immer wieder diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts schmerzlich zusammen.
Als erste literarische Bearbeitung des Ersten Weltkrieges wurde "Das Feuer" von Barbusse bereits 1916 noch mitten im Krieg - ohne die vollen Ausmaße dieses verheerenden Krieges kennen zu können -, veröffentlicht. Barbusse verarbeitet hierin seine Erlebnisse während der ersten eineinhalb Kriegsjahre an der Westfront im nördlichen Frankreich. Relativ banal beginnt der Roman mit Eindrücken aus dem Soldatenalltag der Frontsoldaten. Er gehörte dabei den Truppen an, die vorrücken und neue Gräben ausheben sollten. Und genau das ist auch so bezeichnend für den Ersten Weltkrieg: Es war ein reiner Stellungskrieg aus den Schützengräben heraus. Direkten Feindkontakt gab es selten. Das einfache Fußvolk diente lediglich als Kanonenfutter. Über Wochen und Monate konnten die Soldaten in ihren nassen, kalten, todbringenden Gräben feststecken, der ständigen Gefahr durch die feindliche Artillerie ausgesetzt. Dabei wird der Autor nicht müde, den Unterschied zwischen den einfachen Arbeitern und Bauern und den (schon vor dem Krieg) privilegierten Armeeangehörigen der höheren Schichten in seinem Buch zu betonen. Er dokumentiert wie in einem Tagebuch, schreibt mithilfe eines Ich-Erzählers, der jedoch hinter den Schilderungen der Geschehnisse fast vollkommen verschwindet. Der Einzelne ist hier nicht ausschlaggebend. Barbusse führte erstmalig in einer neuen Form die direkte Rede in die Welt der Literatur ein. Er lässt sogar einen Kameraden fragen: "Wenn du im Buch uns Grabenschweine reden läßt, läßt du uns dann auch so reden, wie wir es wirklich tun, oder frisierst du das?" Man sei beruhigt: Er zeichnet die Soldaten genau nach dem Leben und lässt sie auch ihre derben Worte sprechen. Wirklich eine wichtige Erfahrung, um die Erlebnisse authentisch wiedergeben zu können.
Der Roman gewinnt meines Erachtens besonders in der zweiten Hälfte an Eindringlichkeit, wenn immer deutlicher wird - auch anhand von steigenden Verlustzahlen -, dass es in diesem Krieg für die einfache Bevölkerung, zu der die Soldaten gehören, auf beiden Seiten (!) nur Verlierer geben kann. Barbusse zeigt den nackten Krieg mit Schanzarbeiten und Läusen, genauso wie mit Trommelfeuer und Sturmangriff. Mehr als Literatur auch ein Plädoyer für Pazifismus und (tatsächlich in Ansätzen schon) die kommunistischen Ideen der späteren Werke des Autors. Der Krieg wird hier eben nicht als ein unabwendbares Unglück, sondern vielmehr als ein Verbrechen, dessen Schuldige Barbusse geißelt - die privilegierten Machthaber.
Prophetisch wird der Roman, wenn einzelne Soldaten realisieren: "Weder die anderen noch wir werden es im Gedächtnis behalten! All das Unheil ist umsonst gewesen!" und "Nach so einem Krieg darf kein zweiter mehr kommen!". Was Barbusse zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste und auch bis zu seinem Tode zwar nur ahnte, aber nicht verhindern konnte: Es kam noch ein zweiter und dieser mit ganz anderen, ungeahnten Grausamkeiten.
Eine empfehlenswerte, aufschlussreiche Lektüre, durch die man zwar nicht das große Ganze des Ersten Weltkrieges erklärt bekommt, aber ganz nah am einfachen Menschen erlebt: „Dieser Krieg ist mehr als der Sturmangriff, der einer Parade gleicht, mehr als die offene Schlacht, die sich wie eine Standarte erhebt, sogar mehr als Nahkampf, bei dem man schreiend aufeinanderstürzt – dieser Krieg ist mehr als das alles: Er ist die furchtbare, die grenzenlose Erschöpfung, Wasser bis an die Hüften, der Morast und der Schlamm und der widerwärtige Schmutz.“