Henry de Monfreid war eine schillernde Figur: aus einer künstlerisch-akademischen Familie, ursprünglich Chemiker von Beruf, lockte ihn die Liebe zur Freiheit in ein Abenteuerleben. Ein Leben, von dem andere Autoren nur in ihrer Phantasie träumen. Ein männliches Leben, denn seine Abenteuer spielen am Horn von Afrika unter Piraten und Waffenschmugglern, unter Perlentauchern und Sklavenhändlern. Er entführt uns in die koloniale Zeit vor dem 1. Weltkrieg in diese entfernter Weltgegend, wo Franzosen, Briten, Türken und Italiener ihre „Claims“ abgesteckt hatten und um Besitz und Einflussnahmen rivalisierten. Die Arabische Halbinsel war Teil des Osmanischen Reiches, die Briten saßen in Ägypten, im Sudan und im nördlichen Teil von Somalia fest, der Rest von Somalia unterlag dem italienischen Machtanspruch. Die Franzosen nannten Djibouti ihr eigen. Nur Abessinien, das heutige Äthiopien, hatte sich seine Unabhängigkeit bewahren können.
Dieser Roman seiner Abenteuer am/im Roten Meer ist de Monfreids Debüt als Schriftsteller.
De Monfreid schreibt autobiographisch, sein erzähltes Leben speist sich aus Wagemut, Unbekümmertheit und seinem Freiheitsrausch: ohne erfundene Ausschmückungen aben-teuerlicher Phantasien wie bei Karl May. Weder Jack London, noch Lawrence of Arabia, Thesiger oder Richard Burton waren bei ihren Abenteuerr,-Forschungs- oder Eroberungsreisen so sehr auf die persönliche Freiheit fixiert.
Er kauft eine Dhau und sucht sich eine Mannschaft, Ahmed, Abdi und den Schiffsjungen Fara, um mit der Perlenfischerei sein Geld zu verdienen, um finanziell ein freier Mann zu bleiben.
Bei seinen diversen Abenteuern, die auch den Waffenschmuggel nicht auslassen, trifft er auf windige Händler von Perlen, Waffen und Sklaven und auch Drogen sowie auf Piraten.Er lernt Völker und Stämme kennen wie die Danalkil (auch unter dem Namen Afar bekannt), die Issa, die Zaranig, Seeräuber, die ein ehrbares Leben führen, aber trotzdem keine Piraterie auslassen, denn die ist für sie weniger grausam als die Jagd: Menschen können sich wehren, Tiere nicht; die Warsengeli, die Schiffbrüchige retten und sie verpflegen, aber die Schiffsladung und das Wrack für sich beanspruchen; die Midgan,Unberührbare, und die Majerteens, beides somalische Stämme.
Er bewundert deren einfaches, primitives Leben. Und das Leben seiner zivilisierten Zeitgenossen sieht er fremdbestimmt und eingeengt von Gendarmen und Zöllnern, Gefängniswärtern, Soldaten und Gouverneuren. Wobei de Monfreid vergisst, dass auch die „Primitiven“ Zwängen und Regeln unterliegen. De Monfreid kleidet sich wie die Einheimischen, spricht ihre Sprachen (zumindest Arabisch) und achtet ihr Wesen und ihre Mentalität und ihre Religion. Er konvertiert sogar zum Islam und nimmt den Namen Abd el Hai an.
Das Buch enthält viel Sozialkritik und Auflehnung gegen den Hochmut der Weißen, wobei er nicht die wechselseitige Verachtung von Afrikanern und Arabern verschweigt. Viel Nachdenkliches über den Einfluss des Westens auf das Leben und die Kultur, damals schon. Er konstatiert auch bei sich selbst eine koloniale Denkweise (z.B. zu Rassen oder Juden), aber er hinterfragt sie. Immer wieder schreibt er voller Achtung von den Muslimen und ihrem „fatalistischen“ Glauben, in dem diese ihr jeweiliges Schicksal als unabwendbar ansehen, denn Allah sei so mächtig, dass er seine Meinung nicht ändern wird. Alles sei bereits geschrieben: Maktub.
Geographische Namen tauchen auf wie Djibouti, Aden, Massaua, Assab, Mokka und viele unbekannte kleine Inseln (Vorschlag an den Verlag: die Integration einer kleinen Karte zur Orientierung). Menschen werden vorgestellt wie Ato Joseph, Jaques Schouchana, einen Israelitischen Tunesier, Zanni, der Grieche, Said Ali, Cheik Issa, Sergent Chevet, sein Freund Lavigne, Monsieur Cocalis und die verschiedenen Beamten (Zöllner, Gouverneure).
Hoch interessant die Wissenseinsprengel z.B. zu den Perlen „die es bevorzugt in Regenjahren gibt, weil dann eine bestimmte Rochenart auftritt, die einen mikroskopisch kleinen Parasiten ausscheiden, der sich im Fleisch der Auster festsetzt und dabei einen Teil der Perlmutt sekretierenden Epithelzellen mitzieht, wodurch sich eine Zyste bildet: die Perle.“
Oder: „Man zeigt ihm Gläser mit Regenwasser, in dem die Perlen gesammelt sind. Wasser, das nie die Erde berührt hat, hervorgegangen aus der Vereinigung des Himmelfeuers mit den weißen Wolken. Perlen sind Tautropfen, die in Mondnächten vom Himmel fallen und in die Tiefe des Meeres etwas von dem herrlich sanften Licht des Gestirns mitnehmen, das unsere Tage zählt. Die Perlmuttaustern bergen diese wertvollen Tränen der Nacht in ihre seidenen Mäntel und im Mysterium des Meeres entstehen die Perlen als Töchter von Himmelwasser und Mond.“
Er beschreibt die Klänge der Tambura, die immer und überall Begleiterin der Eingeboren ist: von ihren Klängen, die „so leicht wie Insektenflug und wie ein Gebet vom Nachtwind wie Gespenster in die Ferne getragen werden: für diese einfachen Männer die Verbindung mit dem Universum.“
Auch das Erlebnis einer Hexenheilung prägt sich ein, bei der ein von einem Lanzenstich durchbohrter Magen aus dem Körper geholt wird und durch Zangenbisse von Termiten Biss für Biss vernäht werden: der Bauch wird abgeknipst, der Kopf bleibt in der Haut.
De Monfreids Lebensbericht endet durch Intrigen: natürlich ist ein intelligenter freiheitsliebender Mann, der die schon damals üblichen Manipulationen um Macht und Geld aufdeckt, seine Waffenschmuggelei und sein Rauschgifthandel, den engstirnigen moralinsaueren Hütern von Recht und Ordnung ein Dorn im Auge. Er wird verhaftet und inhaftiert, sein Besitz wird beschlag-nahmt und verkauft. Ihm wird der Rest seiner Strafe erlassen, wenn er als Soldat in den gerade ausgebrochenen 1. Weltkrieg zieht. Er nimmt an, aber er schwört sich, wiederzukommen und seine Niederlage zu „rächen“.
Dieser Roman ist ein lebenspralles authentisches Werk, nicht zu vergleichen mit der heute eher seichten Reiseliteratur, die doch nur eine Art privilegierter Aussteiger-Literatur ist. Anschaulich werden die einzelnen Charaktere der indigenen Bevölkerung wie auch der ansässigen Weißen skizziert. Meereslandschaften beschreibt er aufwühlend und farbig: Meerespoesie. Aber auch die erdigen und himmlischen Landschaften sind mitreißend poetisch verewigt. Seine poetische Sprache ist malerisch, wie mit dem Pinsel geschrieben.
Wer ein Faible für das Meer und die See hat, wer wahrheitsgetreue virile Abenteuer in exotischen Landstrichen und Meeresbuchten schätzt – dem Seemännischen wird in epischer Breite gehuldigt – wer zudem noch wissbegierig ist zu nicht alltäglichen Fakten, für den ist dieses Buch ein Schatzkästlein.
Dieses ist wahrhaftig kein papiernes Schriftstellerleben, sondern strotzend vor Leben. Es ist ein Beweis für Amor fati.
Interessant, das Damals mit dem Heute zu vergleichen: überall der Orient klischeehaft in Szene gesetzt, kaum noch Ursprüngliches.