Zunächst möchte ich dem Autor Herbert Kummetz ganz herzlich für das Rezensionsexemplar danken. Ich habe mich sehr darüber gefreut, “Heimliche Gefährten” lesen zu dürfen. Wie’s mir gefallen hat, verrate ich jetzt.
WORUM GEHT'S?
Obwohl der 13-jährige Alvin, die 15-jährige Julika und der über 70-jährige Nils auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben, gibt es doch etwas, das sie verbindet: sie haben heimliche Gefährten, die für andere nicht sichtbar sind. Imaginäre Freunde, Halluzinationen, wie auch immer man sie nennen möchte. Und dabei tauchen diese Gefährten aus ganz unterschiedlichen Gründen auf.
Durch Zufall kreuzen sich die Wege der Drei und sie freunden sich an. Während Nils den jungen Alvin auf ein Metal-Konzert mitnimmt und ihm die wilde Seite des Lebens zeigt, entsteht zwischen Julika und Alvin ein inniges Vertrauensverhältnis, das auch nicht einreißt, als das Mädchen aus Mazedonien einen schizophrenen Schub bekommt.
Eine Geschichte von ungewöhnlichen Freunden und Zusammenhalt in schwierigen Zeiten.
MEINE MEINUNG
Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht. Man ist sofort im Geschehen und lernt Alvin und seine imaginären Freunde Morgenstern, Samantha und Tebasile kennen. Über den Namen “Tebasile” bin ich etwas gestolpert, weil ich ihn noch nie davor gehört hatte und nicht wusste, wie man ihn richtig ausspricht. Aber im Laufe der Geschichte kam ich hinter das Geheimnis dieses seltsamen Namens (wird an dieser Stelle aber nicht verraten).
Spoiler im Klappentext
Zunächst keine kurze Beschwerde: wieso wird bitte im Klappentext so viel verraten? Ich fand das echt schade, denn es hat mir etwas die Spannung genommen. Vor allem, der letzte Satz ist ein Spoiler hoch zehn. Ich will doch selbst herausfinden, was mit dem heimlichen Gefährten passiert. Deshalb lese ich das Buch doch.
Wechselnde Perspektive
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Alvin und einem allwissenden Erzähler geschildert. Die Perspektivwechsel sind dadurch gekennzeichnet, dass jede Perspektive ihre eigene Schriftart hat (einmal mit und einmal ohne Serifen). So kommt man auch nicht durcheinander.
Mir hat diese abwechselnde Erzählweise sehr gefallen. Man lernt einerseits den Protagonisten Alvin hervorragend kennen, andererseits aber auch die anderen Figuren, die immer wieder auftreten.
Keine Klischee-Figuren
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und waren mir größtenteils sofort sympathisch. Alvin ist der Typ “Junge von nebenan” und man kann sich sofort mit ihm identifizieren.
Was mir besonders gefallen hat, ist, dass der Autor Klischees bricht und die Figuren so einzigartig macht. Da wäre zum Beispiel der über 70-jährige Nils, der es mag, auf Heavy-Metal-Konzerte zu gehen. Oder Julika, die gerne mit den Jungs Fußball spielt.
Ich liebe es, wenn typische Rollenbilder aufgebrochen werden. Das macht eine Figur doch erst richtig interessant.
Schwulenfeindlichkeit und Rassismus
Was mich ein bisschen gestört hat, war der Umgang mit dem Thema Schwulenfeindlichkeit, das in der Geschichte eine Rolle spielt. Da sich das Buch an Jugendliche richtet, hätte ich mir gewünscht, dass auch eine Gegenseite gezeigt wird.
Der Protagonist Alvin findet nur durchs Internet heraus, was “schwul” bedeutet, es bleibt aber unklar, was er darüber denkt (er bekommt lediglich “rote Ohren”). Das Buch setzt zudem voraus, dass man weiß, was “schwul” heißt. Den meisten Leser*innen dürfte das ein Begriff sein, aber gerade Jugendliche haben sich damit möglicherweise noch nie beschäftigt und haben kein klares Bild davon. Ich finde, da hat das Buch eine Chance verpasst, zumindest ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten. Wenigstens in einem kurzen Abschnitt.
Auch gibt es keine Figur, die Schwule verteidigt oder zumindest schwulenfreundlich eingestellt ist. Meiner Meinung nach hat das dem Buch eindeutig gefehlt. Auch die Kapitelüberschrift “Schwulitäten” fand ich nicht so gelungen.
Die Familie aus Mazedonien (damit ist vermutlich das heutige Nordmazedonien gemeint) muss zudem mit rassistischen Anfeindungen kämpfen. Auch hier hätte ich mir manchmal einen sensibleren Umgang gewünscht, bzw. ein paar (erwachsene) Figuren, die sich klar gegen den Rassismus aussprechen.
Alvin sagt in einer Szene zu Julika, dass nicht er und die Jungs schlecht über ihre Familie denken und reden würden, sondern nur ihre Eltern. Aber ich fand das sehr schade, dass alle Erwachsenen schlichtweg so negativ der mazedonischen Familie gegenüber eingestellt waren.
Im Übrigen möchte ich damit nicht sagen, dass das Buch selbst rassistisch und schwulenfeindlich sei. Es sind lediglich Themen, die darin eine Rolle spielen.
Warum ich es trotz der Kritikpunkte gut fand, dass der Autor Rassismus und Schwulenfeindlichkeit thematisiert, erläutere ich am Ende der Rezension genauer.
Ich musste schmunzeln
Eine große Stärke des Buches ist definitiv der erfrischende Schreibstil von Herbert Kummetz. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich das Buch manchmal kaum weglegen wollte.
Vor allem mochte ich den trockenen, aber nicht bösartigen Humor des Autors. Es gab einige Stellen, die mich wirklich zum Schmunzeln gebracht haben, weil die Szenen sehr lebensnah sind und man sie aus dem eigenen Alltag kennt.
Hier ein Beispiel:
“Iljana hat zwei Kleider aufgehängt, deren bunte Muster in Rot und Gelb leuchten. Die Rauten und Kreise sind sorgfältig gestickt, das beeindruckt selbst Frau Lemke. Die benutzt diese Gelegenheit, um ausgiebig davon zu erzählen, was sie gern stickt und häkelt. Alvins Mutter steht neben ihr, sie muss sich alles anhören.”
(Quelle: Kummetz, Herbert: Heimliche Gefährten, Berlin. Lehmanns. 2021. S. 80)
Wer kennt das nicht, dass jemand einen Redeschwall bekommt und man leider direkt daneben steht und nicht mehr “flüchten” kann?
Oder auch diese Szene kennt jeder aus seinem Alltag:
“Stavros versucht, probeweise seinen Beamer zu starten, verbindet ihn mit seinem Laptop. Nachher will er seine Bilder aus Mazedonien zeigen. Irgendwas funktioniert nicht, wie es soll. Sofort umringen ihn die anderen Männer, geben Stavros gute Ratschläge.”
(Quelle: Kummetz, Herbert: Heimliche Gefährten, Berlin. Lehmanns. 2021. S. 82)
Fachsimpelnde Männer rund um ein technisches Gerät – egal ob sie sich wirklich damit auskennen oder nicht – sind einfach so ein typisches Bild, dass ich bei der Erwähnung schmunzeln musste.
Viel “Denkmaterial”
In erster Linie hat mich “Heimliche Gefährten” aber nicht nur gut unterhalten, sondern auch zum Nachdenken gebracht. Ich selbst hatte als Kind zwei imaginäre Freunde, weshalb ich Alvin gut verstehen konnte. Ich glaube, meine imaginären Freunde haben mir damals sehr geholfen, meine Kindheit durchzustehen, Probleme zu verarbeiten, Wünsche und Träume zumindest in meiner Fantasie auszuleben.
Und den Eindruck hatte ich auch bei Alvin, Nils und teilweise Julika (obwohl bei ihr auch die Krankheit noch eine Rolle spielt). Imaginäre Freunde sind überhaupt nichts “Verrücktes”. Im Gegenteil, sie helfen uns oft in schwierigen Lebenslagen und wenn wir diese dann gemeistert haben, verschwinden die imaginären Freunde auch wieder.
Ich fand es daher echt toll, dass Herbert Kummetz sich diesem Thema angenommen und ein Jugendbuch darüber geschrieben hat.
Auch die vorhin kritisierten Abschnitte über Schwulenfeindlichkeit und Rassismus fand ich an sich gut, weil sie dazu anregen, sich mit dem Thema näher auseinanderzusetzen. Wie gesagt, ich hätte mir an manchen Stellen einen anderen Umgang mit den Themen gewünscht, aber ich mochte es trotzdem, dass Herbert Kummetz sie in seinem Buch angesprochen hat.
Denn es sind wichtige Themen, die uns leider immer wieder im Leben begegnen und über die sich jeder einmal Gedanken machen sollte – ganz besonders Jugendliche. Denn im jungen Alter bildet man sich oft Meinungen, die einen im späteren Leben prägen.
Menschen, die nicht direkt von Rassismus und Schwulenfeindlichkeit betroffen sind, beschäftigten sich häufig erst gar nicht damit und sind dann überfordert, wenn es doch mal in ihrem Alltag auftaucht (ähnlich wie die Figuren im Buch).
MEIN FAZIT
Bis auf wenige Kritikpunkte, ein wirklich gelungenes Jugendbuch, das durch seinen humorvollen Schreibstil besticht und zum Nachdenken anregt.