Rezension zu "Der Große Krieg" von Herfried Münkler
Es reicht ein Blick auf die beiden politischen Landkarten von vor dem Ersten Weltkrieg und nach dem Großen Krieg, wie er In Frankreich und Groß-Britannien genannt wird. Gegebenenfalls auch noch ein Blick auf eine geographische Karte mit eingezeichneten Staats- und Ländergrenzen. Schlagartig wird deutlich, welche sich auch heute noch auswirkenden Folgen die Jahre zwischen 1914 und 1918 haben.
Der Nahost-Konflikt, treffender ausgedrückt die Kriege, die seitdem in der Region immer wieder aufflammen. Mit ein Ergebnis der Zerschlagung des Osmanischen Reiches, der (Geheim-) Abkommen zwischen Frankreich und Groß-Britannien. Die rücksichtslose Aufteilung des Maghreb-Gürtels, des so genannten Nahen Ostens, die Enstehung der ehemaligen UdSSR als indirekte Folge des Ersten Weltkrieges, der Aufstieg der ehedem nach Neutralität strebenden USA zur Weltmacht, der Niedergang des Britischen Empires, die Reduzierung Frankreichs auf die heutige 'Nebenrolle' in der Weltpolitik und so weiter.
Was die 797 Seiten dieses Buches so lesenswert macht? Der Autor legt sein thematisches Schwergewicht nicht unbedingt und ausschliesslich auf die zahlreichen Schlachten mit ihren Hunderttausenden von Toten. Diese werden selbstverständlich auch erläutert. Mitsamt ihren Fehlentscheidungen, der sich immer weiter entwickelnden Technik der Tötungsmaschinen, um einmal den treffendsten Ausdruck für Maschinengewehre, Panzer, Giftgasgranaten zu verwenden.
Herfried Münkler geht ebenso auf die Empfindungen und Eindrücke mancher individueller einfachen Soldaten ein. Er begründet die Wankelmütigkeit von Kaiser Wilhelm, die Durchtriebenheit Ludendorffs, die zu erkennende Persönlichkeit Hindenburgs.
Genauso wie die 'Charakterzüge' der politischen und/oder militärischen Entscheider Frankreichs, GBs, Italiens, des der kuk-Monarchie der Habsburger wie aller anderen Beteiligten Staaten und wichtigen Personen.
Wie die Ereignisse des Großen Krieges sich in der Literatur niedergeschlagen haben, welche Auswirkungen diese Ereignisse auf das soziale Gefüge in den beteiligten Ländern hatten (Stichwort 'Heimatfront'), all das macht das Buch nicht weniger lesenswert.
Der typische deutsche Blick auf den Ersten Weltkrieg mit der Schlacht um Verdun (als ob dies die einzige resp. schlimmste gewesen sein...) wird revidiert. Die Schlachten in Flandern waren mindestens ebenso schlimm. Das weiss man nach der Literatur des Buches. Gallipoli? Wer in Deutschland weiss schon um diese mörderische Zeit? Hier setzt auch eine Kritik an: die Vorgänge auf der Halbinsel, warum, weswegen, mit welcher Zielsetzung und so weiter, denen hätte Herfried Münkler mehr Raum geben können. Wer sich für diese Ereignisse interessiert: der Titel "Der Untergang des Osmanischen Reiches" klärt auf.
Reproduktionen von Schwarz/Weiß-Fotos, Ausschnitte von Landkarten mit Frontverläufen: das Entsetzen über die Ur-Katastrophe wird immer deutlicher spürbar.