Rezension zu "Maynard's House (English Edition)" von Herman Raucher
Erstaunlich! In der literarischen Welt gibt es offenbar noch so viel wiederzuentdecken! Das gilt zum Beispiel für den amerikanischen Autoren Herman Raucher, aus Brooklyn / NYC. 1928 geboren, 2020 gestorben.
Durch puren Zufall habe ich ihn als "neuen" Autoren für mich entdeckt. Es würde sich durchaus lohnen, wenn noch mehr Leser / innen sich diesem unvergleichlich exquisiten Autoren zuwendeten. Hach, ich bin regelrecht euphorisch!
Dieses Buch ist in den USA 1981 erschienen, erstmals und mir ist nicht bekannt, ob es eine deutschsprachige Ausgabe gibt oder gab. Es ist sein einziger Horrorroman. Und was für ein Buch!!!!
Austin Fletcher ist ein junger, von PTBS geplättet Veteran des Vietnamkriegs. Sein guter Freund und Vertrauter, Kamerad an der Front, Maynard Whittier, wurde durch eine Explosion in jenem südostasiatischen Land getötet. KIA! (Killed in Action).
Er vermacht Austin sein kleines Haus im nördlichen Maine. Es ist tiefste Winterzeit. Austin zieht dort ein. Einst wurde dort, auf diesem Grundstück eine vorgebliche Hexe zur Zeit der Salem Hexenprozesse exekutiert.
Das Haus liegt einsam tief in den Wäldern. Es gibt zwar exzentrische Nachbarn, aber eben nicht in unmittelbarer Rufnähe. Das Innere ist gemütlich und behaglich eingerichtet. Es gibt Regale voller Bücher und man hat es schön warm.
Die Gegend ist ohnehin eine rauhen, eher unwirtliche, isolierte Landschaft. Der Winter hält Hof und macht es durch Eis, Schnee und Bibberkälte nicht gerade besser.
Austin ist allein im Haus, einsam, allein, isoliert, solitär. Klaustrophobische Anwandlungen lauern angriffsbereit in seiner Amygdala. Flashbacks quälen ihn.
Als ob das nicht reichte, scheint etwas dem Hause innezuwohnen, das rational nicht greifbar ist. Das nicht von unserer Ebene des Lebendigen zu stammen scheint.
Unheimliche Geräusche in der Nacht, ein Schaukelstuhl, der sich von allein bewegt. Das ist noch der vermeintlich harmlose Anfang.
Es zehrt beharrlich an Austin. Was ist real oder seiner PTBS geschuldet? Oder stecken übersinnliche Finger dahinter?
Als er es über hat und es nicht mehr länger aushält, will er die Kurve kratzen. Aber ein Blizzard macht ihm einen Strich durch die Rechnung und er hat diese ohne den Wirt gemacht, was immer es ist.
Er sitzt erst einmal ausweglos fest, ganz allein, mit was auch immer mit ihm im Haus ist. Aber das wahre Grauen beginnt nach dem Präludium erst so richtig ...
Herman Raucher ist wie eine verlockende, männliche Sirene. Er zieht einen betörend in sein Buch mit seiner eleganten, doppelbödigen Prosa. Er versteht es, in seinem vitalen Narrativ, alles durcheinanderzuwirbeln, daß du nicht mehr weißt, wo oben oder unten ist.
Das Setting ist lebendig und grandios plastisch, daß man direkt in Nordmaine ist.
Die Perspektive Austins ist kongenial eingefangen. Grenzen verschieben sich, fließen ineinander, lösen sich auf. Was ist real, übernatürlich oder Wahn des geschädigten Austins? Seine Wahrnehmung als auch sein Handeln werden zunehmend fiebrig. Er redet mit toten Menschen. Einbildung oder Geister?
Es hat etwas Somnambules, wie Austin immerzu an Rande des Alptraumhaften entlangzugleiten, ohne zu wissen, ob er sich selbst noch trauen kann. Etwas zerfasert die Ränder seines Verstandes. Wird ihm seine Fragilität zum Verhängnis, bis hin in den Wahnsinn? Oder legt etwas im Haus es genau darauf an?
Was auch immer an potentiell Übernatürlichem sich im Haus immerzu präsenter zeigt und dem damit verbundenen blanken Horror treibt Austin zu schwarzen, brodelnden Abgründen.
Gruselig, unheimlich, Puls - und Herzrate beschleunigend. Das Ende ist meisterlich gelungen.
Ein großartiges Vexierspiel der Doppeldeutigkeiten, wo zwischen eventuellem Wahnsinn oder potentiell realer Heimsuchung des Übernatürlichen changiert wird.
Der Autor schreibt in einem suggestiven Stil, der dir tief ins Hirn fährt und in deine Emotionen. Du fühlst intensiv mit Austin, der sehr sympathisch ist und rätselt lange, was nun Sache ist. Auf sublime Art schockierend und man wünscht Austin nur das Allerbeste. Das Buch wirkt lange nachwirken.
Na? Möchtest du ganz allein in einem Haus tief in den Wäldern Nordmaines leben? 👻💀