Rezension zu "Gesammelte Werke. [5.]. Die Schuldlosen" von Hermann Broch
Der ganze Roman ist total künstlich, beziehungsweise gekünstelt. Das beginnt schon beim geschwätzigen, eitlen manierierten Herumgeschwafel, die Sprache ist schwülstig formuliert und mit Gewalt auf intellektuell philosophisch gebürstet. Die Dialoge und Monologe sind so gestaltet, wie nie jemand, nicht mal in der höchsten bildungsbürgerlichen Schicht formulieren würde, geschweige denn die in den Plot eingewebten Figuren, die teilweise nicht mal einen ordentlichen Schulabschluss absolviert haben.
Das ist aber noch nicht alles, was an diesem Werk, das ich mal ganz salopp als artificial writing bezeichnen möchte, kritisieren muss. Analog zum artificial landscaping, das die Natur pervertiert und ableht, entstellt Broch zudem zutiefst die menschliche Natur. Die Handlungen aller Figuren werden zwar erklärt, wenngleich sie psychologisch komplett unverständlich und unlogisch sind. Ich habe hier durchaus die historischen Moralvorstellungen vergangener Jahrhunderte in Betracht gezogen, die ich sehrwohl in der Literatur von Zeitzeugen schlüssig erklärt bekam. Keine der Figuren von Zeitgenossen wie Schnitzler, Roth, Musil etc. verhalten sich so … - naja bekloppt.
Da fühlen sich Menschen für Taten von Anderen verantwortlich, die eigentlichen Intrigantinnen und Täterinnen haben indes überhaupt keine Gewissensbisse oder Schamgefühle, im Gegenteil, sie können die Schuld auch noch anscheinend qualifiziert auf jemanden übertragen. Protagonist Andreas nimmt sich aus Schuldgefühl sogar das Leben, für eine Tat, die eigentlich Hildegard begangen hat. Er hatte doch seine Geliebte Melitta zum Zeitpunkt ihres Selbstmordes noch gar nicht betrogen oder verlassen, alles war eine Intrige von Hildegard. Und anstatt dem bösen Weib dies nachzutragen, lässt er sich einfach die Schuld am Selbstmord anhängen, weil er am Abend, Stunden nach dem Selbstmord und noch nicht wissend, was passiert war, so etwas wie ein sexuelles Erlebnis mit der Intrigantin hatte. Im Gegenteil, er übernimmt sogar noch für die ihm recht fremde Hildegard und ihre Mutter zur Belohnung für die schändliche Tat auch noch die finanzielle Obsorge.
Jetzt könnte man meinen, das böse Weibsbild hätte ihm mit Sex den Kopf verdreht, was ein bisschen verständlich wäre, aber nix da, außer dieser komischen Nacht mit Gekuschel und Gebeiße spielt sich sexuell nie mehr etwas ab. Hildegard und die Intrigantin Zerline, die die eigentlichen Schuldigen in diesem Drama sind, profitieren und leben fröhlich dahin, während der unschuldige Andreas auch zehn Jahre ohne Gewissensbisse ein erfülltes Leben verbringt und sich erst Angesichts Melittas Vater plötzlich vor Schuld so verzehrt, dass er spontan beschließt, sich umzubrigen – ich muss das noch mal sagen, das ist so bekloppt.
Ein weiterer Grabstein in Brochs gekünsteltem Universum ist der Plot, der zu Beginn ein wirres Chaos an Szenen produziert, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben und die sich erst nach und nach und viel zu langsam zu einer konsistenten Geschichte zusammensetzen lassen. So baut man halt auch keine literarisch sinnvolle Handlung auf. Handwerklich gut gemachte Dramaturgie geht anders, da hätte Broch mal beim Meister Joseph Roth in die Lehre gehen sollen.
Habe ich mich unlängst bei Fouché beschwert, dass Stefan Zweig ein eitler pathetischer bildungsbürgerlicher Schwafler ist? Na da habe ich den Broch noch nicht gekannt, denn der potenziert die manierierten Geschwätzigkeiten nicht mit dem Faktor 2 sondern mindestens mit 5. Zudem kann Broch schlüssige Figurenentwicklung gar nicht, da hätte er einmal bei Herrn Doktor Schnitzler oder Freud nachfragen müssen, wie sich Menschen wirklich verhalten. Zum Schluss wäre dann noch ein Dramaturgiekurs für Anfänger vonnöten gewesen, dann klappt es auch mit dem Plot.
Ich finde, Broch hätte in der Mathematik bleiben sollen, denn ein fiktives Universum auf der Prämisse 2+2=5 aufzubauen mag in Mathe theoretisch möglich sein, in der Literatur ist das Werk für mich als literarische Realistin Zeitverschwendung und Leserverarsche.
Den zweiten Stern gibt es übrigens von mir für die vier Reden des Studienrates Zacharias, denn er beschreibt, wenn man den ganzen eitlen sprachlichen Ballast wegstreicht, genau die deutsche Seele in der Zwischenkriegszeit, die narzisstische Gekränktheit, ob des verlorenen Krieges und des Absinkens in kulturelle und politische Bedeutungslosigkeit in Europa, das Umdeuten der deutschen „Tugenden“ und die Erziehung der jungen Generation zu Kadavergehorsam, die einen Hitler eigentlich schon aus Menschlichkeit oder Rebellion gegen die Elterngeneration hätten unterbinden können.
Fazit: Eitles für mich sinnloses Geschwafel, handwerklich schlecht gemacht, das man gnädiger Weise als Philosophie framen könnte, um die ganzen Unverständlichkeiten zu kaschieren, wenn das Universum Brochs nicht so fundamental gegen die menschliche Natur verstoßen würde.
Wenn ich pöhse sein will, dann behaupte ich, ein verkappter Möchtegern eskaliert germanistisch gleichzeitig in allen Disziplinen. Sprache, Plot und Figuren. Jeder Germanist weiß, Literatur-Regeln kann man auch brechen, um das Werk interessant zu machen, aber nicht alle gleichzeitig.
Für mich ist dieser Autor nun abgeschlossen, bin aber froh, dass ich die Möglichkeit hatte, ihn für mich beurteilen zu können. Da lese ich lieber noch alle wirklich schlechten Fitzelchen von Roth, alle Musils, die mir fehlen, jeden Zweig und auch alle Fingerübungen von Schnitzler, die er selbst gar nicht veröffentlichen wollte.